Die Frau am Klavier

Sigrid Nieberle über Frauen, Musik und Literatur im 19. Jahrhundert

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einleitend diskutiert Sigrid Nieberle das Thema 'Frau und Musik' als Chiffre für das Andere in der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft. Schließlich galt seit der Romantik die Musik als die bessere und authentischere Ausdrucksform des Menschen, deren Pflege im häuslichen Bereich meist den Frauen übertragen wurde. Bürgertöchter mussten im 19. Jahrhundert unbedingt Klavierspielen können, auch wenn sie wenig Neigung und Begabung dafür hatten. Nieberle interpretiert dies als repressive Beschäftigungstherapie, die verhindern sollte, dass junge Mädchen auf 'dumme Gedanken' kommen.

Zuviel Begabung und Neigung zum Klavier oder zum Gesang war hingegen nicht erwünscht, denn öffentliche Musikausübung war eine männliche Domäne. Weibliches Musizieren hatte sich auf den Salon oder die gute Stube zu beschränken; wer zur Bühne ging, verlor seinen guten Ruf und galt als unschicklich. Bei der Beschreibung des Musikbetriebs des 19. Jahrhunderts steht der Autorin manchmal ihr Differenzansatz im Weg. Sie nimmt die bürgerliche Weiblichkeitsideologie für eine realistische Beschreibung der Wirklichkeit und hinterfragt nicht, ob der zweifelhafte Ruf der beispielsweise Sängerinnen anhaftete, nicht durch zahlreiche Vorteile ausgeglichen wurde, den Ruhm und die materielle Unabhängigkeit. Außerdem lebte es sich leichter, wenn der gute Ruf erst mal ruiniert war; für Künstlerinnen galten großzügigere moralische Verhaltensregel als für ihre gutbürgerlichen Schwestern. Die erfolgreichen Sängerinnen Caroline Unger-Sabatier und Wilhelmine Schröder-Devrivent jedenfalls galten der Schriftstellerin Fanny Lewald durchaus als Vorbild für eine autonome Künstlerinnenexistenz.

Der große Stellenwert der Hausmusik bescherte vielen Mädchen immerhin eine relativ gründliche Ausbildung am Klavier, die oft gründlicher war, als die Schulbildung. Angesichts der Tatsache, dass es im 19. Jahrhundert eine recht große Anzahl von Schriftstellerinnen mit einer Doppelbegabung für Literatur und Musik gab, fragtNieberle, ob nicht die moralische Diskriminierung von professionellen Künstlerinnen dazu beigetragen hat, dass sich Frauen oft für eine Existenz als Schriftstellerin entschieden haben. Zumal die ruhige private Arbeitsform des Schreibens eher zum weiblichen Rollenklischee passte als die Tätigkeit der professionellen Musikerin. Demgegenüber ist einzuwenden, dass von den Frauen, die Nieberle zur Illustrierung der Doppelbegabung heranzieht, kaum eine ins traditionelle weibliche Rollenbild passt und einige, wie Dorothea Schlegel und Fanny Lewald, gegen die Gesetze weiblicher Schicklichkeit verstießen.

Bieten Nieberles theoretische Erörterungen zum Themenkomplex Frau, Musik und Literatur insgesamt einige interessante und neue Aspekte, von denen man manche ausführlicher behandelt wünscht, schaffen es ihre Interpretationen nicht, dem Verhältnis von Musik und Literatur gerecht zu werden. Das liegt zum einen an den ausgewählten Werken, weder Bettina von Arnims "Die Günderode", Dorothea Schlegels "Florentin", noch Fanny Lewalds "Jenny" oder Johanna Kinkels Werke sind ausgesprochene Musikromane, sondern nur Werke, in denen Musik eine untergeordnete Rolle spielt. Nieberle unterlässt es bei ihren Einzelanalysen meist, die Bedeutung des Musikaspektes im Verhältnis zum restlichen Roman zu untersuchen und fragt auch nicht nach dessen narrativer Funktion.

Ihr Beurteilungsmaßstab bleibt das Ausmaß, in dem die Texte sich ernsthaft mit Musik beschäftigen und positiv zur Emanzipation der Musikerin Stellung nehmen. Bettina von Arnim und Dorothea Schlegel finden dabei Nieberles Wohlwollen, Johanna Kinkel und Fanny Lewald werden abqualifiziert. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den meisten der diskutierten Werke um fiktionale Texte handelt, erscheinen Nieberles Urteilskriterien nicht angemessen. Die Simplizität des literarischen Urteils steht in deutlichem Kontrast zur Sprache von "FrauenMusikLiteratur", die zwar nicht komplex, aber doch recht kompliziert und jargonüberladen daherkommt.

Titelbild

Sigrid Nieberle: FrauenMusikLiteratur. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im 19. Jahrhundert.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 1999.
272 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3476016730

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