Wirres Sammelsurium
Über Julia Francks Roman „Rücken an Rücken“
Von André Schwarz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass Julia Franck eine große Erzählerin sei, hörte man in den letzten Jahren häufig. Nachdem sie sich mit beachtlichen Erzählungen einen Namen gemacht hatte, war ihr dritter Roman „Lagerfeuer“ eine Überraschung. Die Geschichte um zwei DDR-Flüchtlinge im Notaufnahmelager Marienfelde beschrieb eine seltsame Zwischenwelt, die Protagonisten hatten zwar ihr bisheriges Leben verlassen, waren aber in ihrem neuen noch nicht angekommen. Mit einer unprätentiösen Sprache, mit genauen Beobachtungen lotete die Autorin das Leben ihrer Figuren aus. Im folgenden Buch, dem mit dem Deutschen Buchpreis 2007 ausgezeichneten Roman „Die Mittagsfrau“ (siehe literaturkritik.de 10/2007) wurde aber auch bereits deutlich, worin die Schwächen dieser Autorin liegen: Einzelne Figuren und so manche Szene war auch in der „Mittagsfrau“ sehr gelungen, doch ein bedenklich großer Teil des Textes driftete eher in Richtung Klischee.
In ihrem jüngsten Werk „Rücken an Rücken“ ist das alles noch schlimmer geworden: Es handelt sich um einen Roman, der von holzschnittartigen Charakteren und Floskeln geradezu wimmelt. Die einstige Stärke der Autorin, die Figurendarstellung, sie scheint hier völlig verlorengegangen zu sein. Denn die Figuren erfüllen so ziemlich jedes Klischee, das sie finden konnte: Die Mutter, Käthe, Künstlerin und überzeugte Sozialistin, vernachlässigt die Kinder. Der Junge, Thomas, ist zwar begabt, aber zu weich und zu verträumt, wird von allen gequält. Das Mädchen, Ella, eher extrovertiert, wird vom Lebensgefährten missbraucht und später magersüchtig, schwänzt die Schule und trinkt. Alle Figuren leiden an irgendetwas, seelische Grausamkeit und asketische Strenge bestimmen ihr Leben. Das könnte sogar noch ganz interessant sein, ist es aber nicht. Denn Franck reiht diese ganzen Grausamkeiten, Erniedrigungen und Verzweiflungstaten schlicht aneinander. Empathie für die Figuren entsteht nicht, den Handlungen fehlt eine Stringenz, sie wirken eher wahllos als durchdacht.
Zudem ist das Ganze in einem blumigen, die Stilblüte nicht scheuenden Stil geschrieben, der einem die Tränen in die Augen treibt. Manche Passagen könnten auch ohne Weiteres in einem beliebigen, pathetisch angehauchten Groschenroman stehen. „Jeder lädt Schuld auf sich, Tag für Tag – nur geboren wird man unschuldig. […] Ella lächelte trunken, manchmal dachte Thomas ganz einfach, beinahe schlicht“ – und dies ist noch eine der harmlosen Stellen. Besonders schlimm wird es, wenn der Sozialismus thematisiert wird. Da fühlt man sich an eine Lehrstunde in Helmut Kohl´scher Geschichtsschreibung erinnert: Die Kommunisten sind natürlich alle böse, die DDR ist ein blanker Unrechtsstaat, alle, die an den Sozialismus glauben, sind verblendete Ideologen, blind für Familie, Liebe und persönliches Glück. „Deine Partei ist ein Knast“ bekommt man immer wieder gesagt, „meinst Du, im Westen haben sich alle alten Nazis zusammengerottet und hier herrscht das Gute?“. Die hartherzige Mutter jedoch, eine verfolgte und mit dem Leben davongekommene Jüdin, die ist „besessen von der Neugeburt einer Gesellschaft“, „verblendet“ und strahlt nur, „wenn sie von der besseren Gesellschaft träumt“. So weit, so schlicht.
Nur im Verhältnis zwischen den Geschwistern, die sich „Rücken an Rücken“ mal erinnerte, mal erfundene Geschichten von ihrem verstorbenen Vater erzählen, schafft es Franck, ihr Talent gelegentlich nochmal aufblitzen zu lassen. Die gemeinsame Flucht von Ella und Thomas etwa, die sie nach der Rückkehr von Käthe unternehmen – die hatte die Kinder 14 Tage lang alleine ihrem Schicksal überlassen –, hier schwingt etwas von dem mit, was Franck eigentlich hat: ein Gespür für Timing, für Atmosphäre, ein liebevoller Umgang mit ihren Figuren. Doch diese Momente sind äußerst selten: Viel häufiger sind die Szenen zwischen Ella und Thomas eher peinlich, etwa im Restaurant, in der die betrunkene Ella ihren „Mann“ Thomas blamiert, oder gar nervig, wenn die beiden beispielsweise in eine Art Fantasie-Kindersprache verfallen und man stellenweise nur noch Lautreihen wie „Schlabbidiwabb“, „Ahhhksi, lissizumma“ oder „Pizzi… pi’ri k’h… z’h’o… f’hu… L’iiiii“ liest. Gänzlich an den Haaren herbeigezogen und an manche misogyne Theorie erinnernd sind die Passagen, die eine inzestuöse Annäherung der Geschwister andeuten.
Julia Francks „Rücken an Rücken“ ist ein wirres Sammelsurium an willkürlich aneinandergereihten Klischees, platten Symbolen und schaler Kommunistenschelte, bevölkert von unglaubwürdigen, stereotypen Figuren, sprachlich krude und bisweilen überaus kitschig. Was die Autorin bewogen hat, diesen Roman auf diese Weise zu schreiben, wird ihr Geheimnis bleiben. Doch dass sie eine große Erzählerin ist, das kann man nach diesem Buch guten Gewissens definitiv nicht mehr behaupten.
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