Kriegsherren

Der deutsche Politikthriller hat in Ulrich Ritzel einen guten Repräsentanten, „Schlangenkopf“ zeigt ihn auf der Höhe seines unterhaltsamen Könnens

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die besten Autoren des Politikthrillers stammen aus dem englischsprachigen und französischen Raum. Dominique Manotti oder immer noch John le Carré sind die derzeit wohl bekanntesten Namen. Deutsche Krimis haben im Vergleich zu solchen Meistern meist etwas Betuliches an sich, Ulrich Ritzel zeigt aber, wie unnötig das ist.

Mit „Schlangenkopf“ entwirft er ein Politikspektakel, das auf den ersten Balkankrieg kurz nach 1989 zurückblickt. Im Wesentlichen dreht sich der Plot um die illegalen deutschen Waffenlieferungen an die kroatische Kriegspartei, in die Bundespolitiker, Banker, Manager und Bundesbehörden verwickelt waren. Material der abgewickelten Volksarmee wird dazu genutzt, eine Seite im Balkankrieg aufzurüsten, die zudem medial zur guten ausgerufen wird. Eine in sich schlüssige Idee, deren Wahrheitsgehalt dadurch angezeigt wird, dass Ritzel seinen Krimi zwar im Berlin der Gegenwart ansiedelt, es dabei jedoch bei Ähnlichkeiten belässt: die Politikerin im Kostüm, die sich vor jedes Mikrofon drängelt, Zeitungen, die beinahe so heißen wie die bekannteren Großstadtblätter, und so weiter.

Es ist eben alles beinahe so oder könnte so gewesen sein. Allerdings, die Geschichte für plausibel zu halten, kommentiert der Autor in seiner Nachbemerkung, kann eben auch nur mit einem bedauerlichen Mangel an Vertrauen in die staatlichen Behörden zu tun haben. Also aufpassen.

Es ist die Geschlossenheit des Plots, die Konstruktion der Zusammenhänge und der Motivationen und die recht hohe Souveränität des Erzählvermögens, das Ritzels Krimi auszeichnet. Eine mehrsträngige Handlung über 400 Seiten zu führen und zusammenzuhalten, ist eben doch eine sehenswert gelöste handwerkliche Herausforderung. In das Ganze eben nicht nur korrupte Politiker und Konsorten, sondern auch noch erfolgreich durchgeknallte Killertypen einzubauen, die die Helden quer durch Deutschland jagen und vor keiner blutrünstigen Tat zurückschrecken, ist auch nicht ohne und zumeist sonst in den deutschen Krimis nicht eben gelungen. Düsseldorf als Chicago? Berlin-Wedding als die Bronx? Naja. Geht aber alles, Ritzel zeigt das. Nun müsste nur noch jemand das Ganze verfilmen, der so etwas auch kann, und das sind in Deutschland nicht viele.

Die Handlung beginnt mit einem Raub und endet mit einem kroatischen Kaffee, was uns wirklich freut. Aber der idyllische Ausklang steht in einem hilfreichen Spannungsverhältnis zu der Handlung zwischendrin. Der aus Kroation zugewanderte Zlatan, der in Berlin in einem Hotel als Kellner arbeitet, wird auf dem nächtlichen Heimweg vom Job von einem jungen Mann überfallen, der ihm ein bisschen Geld und die Jacke abnimmt. Kurze Zeit später wird der Dieb  überfahren und getötet. Ein Verkehrsunfall, wie die Berliner Polizei annimmt. Sein Onkel aber, Änderungsschneider in der Nachbarschaft von Hans Berndorf, beauftragt den ehemaligen Kriminalkommissar damit, nach dem Täter zu fahnden.

Was nach Fahrerflucht aussieht, entpuppt sich nach und nach als große politische Intrige mit dem Ziel, den Kriegsflüchtling Zlatan aus dem Weg zu räumen, weil dieser etwas weiß, was er nicht wissen darf, und jemanden wiedererkannt hat, den es gar nicht mehr gibt. Das schlägt fehl, aber was einmal misslingt, wird gelegentlich doch erfolgreich umzusetzen sein, sagt sich die Killerin und nichts wie hinterher.

Mit von der Partie, wenn auch in unterschiedlichen Rollen und Erzählsträngen (die dann irgendwann mal aufeinander zulaufen müssen), sind ein Heranwachsender, dessen Mutter verschwunden ist und der sich alleine durchschlägt, deren ehemaliger Lover, der den kleinformatigen Anlagebetrüger gibt und die Chance seines Lebens wittert, ein Politiker, der gegen die Fraktionslinie intrigiert, hier ein Banker, dort ein BND-Vertreter, ein Staatsrechtler, der dem Staat gern die Grenzen zeigt, Berndorfs Lebensgefährtin, die sich nicht auf ihr Professorinnendasein beschränken will, eine osteuropäische Killerin und eine sehbehinderte Frau, die zur Beerdigung ihres Erbonkels nach Frankfurt am Main will. Ein echtes Varieté-Personal, das irgendwie doch sehr gut in diesen Roman passen will, in dem es mächtig losgeht.

Die Bedrohung, der sich Berndorf und der gesuchte Zlatan ausgesetzt sehen, ist dabei keineswegs gut deutsch provinziell, wie in jedem mittelmäßigen Fernsehkrimi zu bewundern wäre. Da schlagen harte und gewissenlose Killer zu. Die Mafia hat sogar einen Kurzauftritt und die Hetzjagd ist angenehm spannend gemacht. Alles in allem kann man sich also über Ritzels Politikthriller nicht beschweren, außer darüber, dass auch er mal aufhört. Aber dieses Schicksal haben ja alle Bücher. Und nicht alle wehren sich so vehement dagegen wie Tolkiens Mittelerde-Schmonzette, die es um Weihnachten wieder einmal zu besichtigen gab.

Titelbild

Ulrich Ritzel: Schlangenkopf. Roman.
Goldmann Verlag, München 2011.
446 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783442752973

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