Die geheimen Workshops in der schlesischen Provinz

Die fünfte Stuttgarter Stauffenberg-Gedächtnisvorlesung zeichnet die Geschichte des Kreisauer Kreises nach

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer an den Widerstand im „Dritten Reich“ denkt, dem kommt in den allermeisten Fällen zuerst Stauffenberg in den Sinn, der Name jenes Mannes, der für das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler verantwortlich war und kaum 24 Stunden später standrechtlich erschossen wurde. Sein Name steht seither für die vielen verzweifelten Versuche, dem Nazi-Regime entgegenzutreten.

Stuttgart, die Stadt, in der Claus P. M. Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder einen Teil ihrer Kindheit und Jugend verbrachten, hat im Alten Schloss eine Erinnerungsstätte eingerichtet, die Stauffenberg und seinem Bruder Berthold gewidmet ist. Dort werden die Lebenswege der Brüder bis zu ihrem gewaltsamen Tod im Widerstand gegen Hitler nachgezeichnet. Seit einigen Jahren finden dort auch, immer um den 15. November, Stauffenbergs Geburtstag, herum, Vorträge zu Stauffenberg und seinem Kampf gegen Hitler statt. Diese Stuttgarter Stauffenberg-Gedächtnisvorlesungen, wie sie offiziell heißen, werden zudem vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg und der Baden-Württemberg Stiftung gGmbH als Büchlein herausgegeben; eine Geste, die die Bedeutung sowohl der Veranstaltung als auch der gehaltenen Reden unterstreicht.

Der vorliegende Band enthält die Rede vom 11. November 2010, die dem inzwischen ebenfalls recht bekannten Kreisauer Kreis gewidmet ist, jener losen Gruppierung von Freunden, Verwandten und Bekannten, die, auf dem Gutshof Helmuth von Moltkes im niederschlesischen Kreisau, Ideen und Entwürfe für das Deutschland nach Hitler entwarf.

Dabei darf man sich den Kreisauer Kreis nicht als offiziell gegründet vorstellen, als mit Mitgliederlisten und Vereinssatzung ausgestattet; nichts von alledem, und das beginnt bereits bei dem Namen, denn die heute geläufige Bezeichnung ‚Kreisauer Kreis‘ ist erst entstanden, als es die Gruppierung in dieser Form schon nicht mehr gab – zur Zeit der Gestapo-Verhöre nach Stauffenbergs Attentat auf Hitler, als sich längst schon 13 Mitglieder des Kreisauer Kreises in Haft befanden, von denen die meisten, allen voran Helmuth von Moltke, im Januar 1945 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurden.

Die Vorgeschichte des Kreisauer Kreises beginnt um die Mitte der 1920er-Jahre, als sich aus dem Freundes- und Bekanntenkreis der von Moltkes eine Gruppe einflussreicher Männer und Frauen zusammenfindet, die sich aktiv mit den sozialen Problemen auseinandersetzen und realistische Lösungsansätze entwickeln möchte. Geprägt sind diese Bestrebungen von Beginn an von zwei Komponenten, zum einen von einem auf christlichen Werten basierendem Denken, und zum anderen auf der Beobachtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstände in ihrer unmittelbaren Umgebung, vor allem im Waldenburger Steinkohlerevier im südwestlichen Niederschlesien, nicht weit entfernt vom Sudetenland, wo die Wechselwirkungen von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und prekären Wohnverhältnissen besonders drastische Ausmaße annehmen. Im Oktober 1927 entsteht aus den ersten Zusammenkünften die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft, die sich zur Aufgabe macht, Arbeitslager zu veranstalten, die Orte der Begegnung von jungen Arbeitern, Bauern und Studenten werden sollen. Es finden mehrere solcher Arbeitslager – heute würde man sie Workshops nennen – statt, bis die Weltwirtschaftskrise die Aktivitäten merklich bremst, ohne sie jedoch ganz zum Erliegen zu bringen.

Als 1938 Reichskristallnacht und Sudetenkrise die politische Situation in Deutschland drastisch verschärfen, beginnt Helmuth von Moltke, gezielt regimekritische Gleichgesinnte für ein gemeinsames Anliegen – die Vorbereitung einer neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung nach dem Fall des Nazi-Regimes – zu verpflichten und das erste gemeinsame Treffen für den Sommer 1940 vorzubereiten. Im Verlaufe der nächsten drei Jahre befassen sich verschiedene Gruppen mit verschiedenen Grundsatzfragen zur Zukunft Deutschlands nach Hitler: Ihre Erkenntnisse und Ergebnisse dokumentieren sie in so genannten Grundsatzerklärungen. Das Ende des Kreisauer Kreises wird im Januar 1944 mit der Verhaftung Helmuth von Moltkes eingeleitet, die, Ironie des Schicksals, mit seinen Kreisauer Aktivitäten in keinem Zusammenhang steht. Diese Verhaftung und die sich ohnehin immer weiter zuspitzende Lage in Deutschland begünstigen die Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen, besonders zu der um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, sodass eine Reihe von Kreisauern aktiv an den Vorbereitungen für das Hitler-Attentat vom 20. Juli beteiligt wird. Insgesamt 13 Kreisauer werden im August 1944 verhaftet, fast alle erwartet im Prozess vor dem Volksgerichtshof ein Todesurteil. Helmuth von Moltke wird noch im Januar erhängt, weitere Vollstreckungen folgen.

Eine Tradition der Stuttgarter Stauffenberg-Gedächtnisvorlesung ist es, dass sie von Weggefährten oder engen Angehörigen gehalten wird, die sich aus eigener Anschauung heraus erinnern und aus einer persönlichen Perspektive heraus betrachten und berichten. Im Fall des Kreisauer Kreises ist es der Sohn Carl Dietrich und Margarete von Trothas – enge Weggefährten, Freunde und auch Verwandte der von Moltkes, die wie durch ein Wunder von der Gestapo nicht behelligt wurden und auf diese Weise nach dem Krieg erzählen konnten, wie das war mit den Kreisauer Freunden.

Einige von ihnen, darunter auch Carl Dietrich von Trotha selbst, versuchen auch nach dem Krieg, die Ideen des Kreisauer Kreises weiterzuentwickeln und als Beitrag zu einer geistigen Neuordnung zu formulieren. Inwieweit dies geglückt ist, mag man angesichts der aktuellen gesellschaftspolitischen Schwierigkeiten kaum fragen. Umso beruhigender ist es, zu wissen, dass mit dem Fall der Mauer der Kreisauer Gutshof als Begegnungszentrum für europäische Jugendliche zu neuen Ehren gekommen ist – die Arbeitstreffen und Workshops, die heute dort abgehalten werden, dürften das Herz eines jedem echten Kreisauers höher schlagen lassen.

Titelbild

Klaus von Trotha: Carl Dietrich und Margarethe von Trotha - Kreisau und der Kreisauer Kreis.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
75 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-13: 9783835309258

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