Les Mots du Mal

Zur Neuauflage von Georges Batailles „Die Literatur und das Böse“

Von Martin EndresRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Endres

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich habe den Eindruck, daß Literatur, die sich dem Bösen entzieht, sehr schnell eintönig und langweilig wird“ – nur die Konfrontation des Lesers mit seiner »Angst, daß eine erzählte Handlung möglicherweise schlecht ausgehen“ könnte, „erzeugt eine Spannung, die die Literatur vor der Langeweile bewahrt“. Diese Äußerung Georges Batailles aus dem Jahr 1958, mit der er in einem Fernsehinterview zu seiner kurz zuvor erschienenen Erstausgabe von „Die Literatur und das Böse“ die grundsätzliche Untrennbarkeit der Literatur vom Bösen skizziert, ist eher eine grobe Vereinfachung für das angesprochene Publikum denn eine angemessene Zusammenfassung seiner komplexen Überlegungen.

So sind die Studien zu Emily Brontë, Charles Baudelaire, Charles Michelet, William Blake, dem Marquis de Sade, Marcel Proust, Franz Kafka und Jean Genet, die der Band „Die Literatur und das Böse“ versammelt, zentral mit der Frage nach Überschreitung, Provokation, Exzess und Moral verbunden – der Frage, die nicht nur die späten theoretischen Schriften Batailles aus dieser Zeit maßgeblich prägt, sondern sein gesamtes literarisches Werk kennzeichnet. Sowohl das einführende Nachwort des Herausgebers Gerd Bergfleth, das sich den Texten Batailles anschließt, als auch die Erstübersetzung des Aufsatzes von Daniel Leuwers, der ebenfalls im Anhang der Neuausgabe von „Die Literatur und das Böse“ beigegeben ist, bieten einen guten Überblick über diesen programmatisch im Titel genannten Themenhorizont.

Entsprechend ist der Anspruch des Bandes nicht im Entwurf einer Poetologie des Schauerlichen oder einer Ästhetik des suspense zu suchen, sondern im Spannungsfeld von Souveränität und Transgression, in dem sich Batailles Denken generell bewegt. Dichtung, so schreibt Bataille bereits 14 Jahre zuvor in „L’Expérience intérieure“, widersetzt sich der narkotisierenden und nur scheinbar stabilen Wissensordnung der Rationalität, indem es diesen allgegenwärtigen Bewusstseinszustand harmonistischer Beruhigung mit aggressiven Missklängen konfrontiert, mit Perversion, Gelächter oder rauschhafter Ekstase – kurz: mit dem, was die Vernunft ausschloss und immerzu ausschließen muss, um sich zu bewahren.

Dieses ‚Böse‘ ist für Bataille aber nicht einfach nur ein zersetzender Gegenimpuls zur falschen bürgerlichen Moral und ihren erstarrten Konventionen; vielmehr stellt es für ihn die Kraft dar, die dem Menschen auf schmerzliche Weise seine grundsätzliche Insuffizienz aufzeigt. Die Kunst und insbesondere die Literatur betreiben dabei aber keine blinde Destruktion, sondern ermöglichen erst eine transzendentale Einsicht in die Bedingung der Möglichkeit von ‚Souveränität‘: Mit dem Sturz der falschen Götzen, den Bataille gleich an mehreren Stellen in seinen Schriften mit dem ‚Tod Gottes‘ im Sinne Nietzsches gleichsetzt, mit dem Sturz einer einzigen für absolut erklärten Größe, schafft die Dichtung die Erfahrung des Unmöglichen, des Nichts, des blinden Flecks, der sich nie ausmerzen, nie aufheben lässt, und der doch permanent unser gesamtes Denken und Handeln mitbestimmt. Wahre Souveränität und wahre Freiheit ist für Bataille daher allein dann gegeben, wenn die haluzinatorische Folie des Konformismus, vor dem wir unsere Wirklichkeit errichten, durchlässig wird und ihren eigenen Abgrund sichtbar werden lässt.

Das mise en jeu der Literatur, das Wagnis, alles sicher Geglaubte aufs Spiel zu setzen und dem Absurden und Abartigen zu opfern, ist dabei nicht nur eines auf seiten des Inhalts; im Gegenteil: Die Sprache der Literatur wendet sich gegen sich selbst, diffamiert sich in ihrer für absolut erklärten diskursiven Logik und ihrer Hybris, tatsächlich Außersprachliches bezeichnen zu können. So muss der Autor für Bataille zum ‚Mörder‘ seiner eigenen Sprache werden mit dem Ziel, die Absenz ihrer Bedeutung, Referentialität und Verbindlichkeit zu enthüllen. Nur durch diese gewaltsame Exposition des Verdrängten und seiner Effekte werde eine neue Form der Kommunikation möglich, die sich dem Unbekannten, dem Nicht-Wissen öffnet und sich nicht an die Ideologie der Alltagswelt verliert.

In „Die Literatur und das Böse“ benennt Bataille acht Zeugen einer solchen Literatur, acht Schriftsteller, die in ihrem Werk, ihrer Poetologie und ihrer radikalen Position gegenüber der Gesellschaft und ihren Strukturen die Transgression und das ‚Begehren‘ des Unmöglichen in den Mittelpunkt stellten. Sei es Emily Brontë, die in „Wuthering Heights“ die tragische Überschreitung herkömmlicher Moralvorstellungen und den spirituell-mystischen Exzess innerer Leidenschaft zum Ausdruck bringt, sei es Baudelaire, in dessen „Fleurs du Mal“ Bataille die bewusste Auslieferung an das Ungreifbare, das niemals Vollkommene und den ‚Unsinn‘ des Lebens erkennt, oder sei es de Sade, dessen gesamtes Schaffen von poetischer Selbstzerstörung, blasphemischer Perversion und sexueller Raserei getrieben ist – sie alle streben für Bataille einen durch die Literatur gestifteten Bewusstseinszustand an, der die Kehrseite des ‚für-gut-Befundenen‘ in den Blick zu nehmen vermag, und der eine Freiheit erahnen lässt, die über jedes Gesetz hinausgeht.

Batailles Überlegungen entwickeln überall dort eine entsprechend eigene Faszination, wo sie sich nahe an den poetischen Texten der genannten Autoren bewegen. Allein an den wenigen Stellen, an denen das literarische Werk – wie etwa im Kapitel zu Kafka – in den Hintergrund tritt und die Argumentation allzu sehr an biografischen Details des Schriftstellers oder dessen Äußerungen über Literatur haftet, gerät das aus dem Blick, worin Batailles Denken seinen Ausgang nimmt: Die Souveränität der Literatur in der subversiven Öffnung für das ‚Böse‘ ihrer selbst.

Titelbild

Gerd Bergfleth (Hg.) / Georges Bataille: Die Literatur und das Böse.
Herausgegeben von Gerd Bergfleth.
Übersetzt aus dem Französischen von Cornelia Langendorf.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2009.
260 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783882217568

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