Heimat ist kompliziert

Über Frank Goosens neuen Roman „Sommerfest“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frank Goosen hat mal wieder einen Roman fertig. Und wundert es einen: er spielt im Ruhrpott. Und um ein altes, abgeleiertes Zitat zu nutzen: Das ist auch gut so! Denn hier ist der Ort, an dem sich Goosen auskennt. Da schreibt er über sich selbst, seine Heimat, sein Revier.

Der Protagonist des neuen Romans ist Stefan. Stefan hat vor zehn Jahren den Pott verlassen, ist nach München gegangen und hat als Schauspieler gearbeitet. Die Erzählung beginnt mit der Rückkehr in die alte Heimat. Sein Elternhaus muss verkauft werden: „Als Stefans Eltern Ende der Neunziger im Abstand von zwei Jahren starben, zog Onkel Hermann hier ein, weil seine Wohnung luxussaniert wurde und Stefan es damals nicht über sich brachte, das Haus zu verkaufen, und eigentlich war diese Lösung nur für den Übergang gedacht. Daraus wurden dann doch zehn Jahre, aber jetzt ist Schicht am Schacht, Ende Gelände beziehungsweise der Fahnenstange, Sense, Aus Finito. Das Haus wird nicht viel bringen. Vielleicht gerade genug, dass sich Stefan keine Gedanken machen muss, selbst wenn das mit dem Vorsprechen am Montag nicht klappen sollte.“

Außerdem ist Stefans Anstellungsvertrag am Schauspielhaus nicht verlängert worden. Faktisch ist er arbeitslos. Seine einzige Hoffnung ist ein Casting für eine Rolle in einer Vorabendserie zweifelhafter Qualität. Letztendlich steht er also an einem Wendepunkt. Zumindest wird der Leser so auf die folgenden Seiten vorbereitet. Der Protagonist nähert sich seiner alten Heimat mit gemischten Gefühlen. Einerseits wird er seinen alten Freunden und seiner großen Liebe Charlie begegnen, andererseits fürchtet er sich vor diesen Begegnungen, verweisen sie doch auch auf die Dinge, vor denen er geflohen ist: Enge, Nähe, Festlegungen und Zukunft. Dabei findet Goosen für die vielen, kleinen Alltagssituationen, aus denen sich seine Prosa kristallisiert, immer treffende, ironisch-humorige Formulierungen, um seine Charaktere zu beschreiben. So hört es sich dann an, wenn sein Protagonist Stefan Zöllner in die Zukunft denkt: „Morgen heißt das Land, in dem immer die tollsten Dinge passieren.“ Und mit diesem Motto organisiert Stefan auch seinen Aufenthalt im Pott. Er schiebt die Dinge vor sich her, aber der einzige, der diesen Mechanismus nicht durchschaut, scheint er selbst zu sein. „Woanders weiß er selber, wer er ist, hier wissen es die anderen, das ist Heimat.“

Und so nimmt er noch einmal seine Erinnerungen zu Hilfe, seine Gegenwart zu überdenken. In der Vergangenheit gab es einen Moment – oder besser eine Nacht – die sich aus der Perspektive des Protagonisten gut angefühlt hat. Diesem Gefühl spürt Stefan nun auch in der Gegenwart nach: „Stefan zögert kurz, dann steht er auf, und Charlie klappt die Couch auf und nimmt Kissen und Decken aus dem Bettkasten. Déjà vu. Dann kippen sie die Rückenlehne nach hinten, und Stefan sieht zu, wie Charlie die Liegefläche bezieht, und fragt sich, wohin das führen soll. Sie macht es ihm so leicht, und das ist doch nicht richtig, oder? Das sind ja hammermäßige Entscheidungen, die sie hier verlangt, und das soll alles so einfach sein? Da muss irgendwo ein Haken sein, ein verborgener Knaller, eine verbuddelte Miene, auf die einer von ihnen gleich treten wird, sodass es ihn auseinanderreißt.“

Goosen fängt mit seiner Sprache, mit seinen Szenarien und mit den von ihm erschaffenen Romanfiguren etwas ein, was man heute nur noch bei wenigen Autoren findet. Er verbindet regionale Aspekte mit ihrer überregionalen literarischen Bedeutung, hebt Literatur aus dem regionalen Heimatautoren-Schlamm heraus und gibt ihr und den Protagonisten das, was ihnen zusteht: Würde und Bedeutung, Literatur und Unterhaltung – oder einfacher gesagt: Er erzählt glaubwürdige und grandiose Geschichten. Und er gehört zusammen mit dem großartigen Wolfgang Welt zu den besten deutschsprachigen Schriftstellern mit „ruhrpott-technischem“ Hintergrund. Ach ja, und das Buch: „Sommerfest“ hat eine lässige und entspannte Geschichte, ist unterhaltsam und lehrreich, vor allem aber sehr witzig zu lesen. Oder wie ein befreundeter Literaturwissenschaftler sagt – „Ist halt Literatur!“

Titelbild

Frank Goosen: Sommerfest. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012.
320 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783462043860

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