Zu Schüchternheit abgerichtet

Judka Strittmatters Debütroman „Die Schwestern“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Während Johanne sich früheren Zeiten gegenüber versöhnlich, beinahe beschönigend gab, trieb Martha ihre Vergangenheit immer noch um“, heißt es über die „Schwestern“, die beiden weiblichen Hauptfiguren in Judka Strittmatters Romanerstling. Die 45-jährige Autorin debütiert mit einer erzählerischen Mischung aus politisch motivierter Vergangenheitsbewältigung und autobiografischer Selbstzerfleischung. Die frühere Redakteurin der „Berliner Zeitung“ – Enkelin des in der DDR einst gefeierten Schriftstellers Erwin Strittmatter, dessen 100. Geburtstag im August ansteht – geht hart mit den „alten Zeiten“ ins Gericht.

„Achtzehn Jahre lang hatte er Angst und Schrecken verbreitet, obwohl seine Töchter schon im Kleinkindalter zu extremer Schüchternheit abgerichtet waren. Von der Mutter war Beistand nicht zu erwarten, sie hatte es vorgezogen, ihren Mann zu körperlichen Bestrafungen noch anzustacheln“, heißt es über das patriarchale Regime des Vaters.

Die beiden so ungleichen Schwestern wuchsen in einer autoritären und herzlosen Akademiker-Familie der DDR auf. Der Vater war ein strammer Parteigänger, „gepflegte Leute für die Nachbarn, mit Wartburg und Westklamotten und einem Stück Ruhm, das ein Großonkel, ein sehr beliebter Bühnen- und Filmschauspieler, eingefahren hatte“. Hinter dem berühmten Verwandten darf mit Fug und Recht Erwin Strittmatter vermutet werden, und die Autorin wandelt (nur leicht kaschiert) als die kämpferische Martha durch die Handlung, die zwei Jahre vor dem Mauerfall von einer Reise nach Lübeck nicht in die DDR zurückgekehrt war.

Inzwischen hat sie die vierzig überschritten, neigt gleichermaßen stark zu Depressionen wie zum Übergewicht, und will sich mit ihrer Schwester Johanne aussöhnen und einige Tage an der Ostsee im einstigen Nobelhotel „Sandbank“ ausspannen.

Bis hierher trägt die Romankonstruktion um die beiden so unterschiedlichen Schwestern noch halbwegs, und es lassen sich aus der Beziehung zwischen der politischen Streiterin Martha und der harmoniebedürftig-spießigen Johanne reichlich Reibungspunkte ableiten. Doch dann schlägt die Autorin Judka Strittmatter eine thematische Volte zu viel und platziert neben der herzlos-kalten Familie auch noch einen beharrlich schweigenden ehemaligen Stasi-Mitarbeiter. Der Direktor des langjährigen Vorzeige-Hotels an der Küste muss herhalten, um Marthas aufklärerischen Eifer anzustacheln. Und da die Erzählwelt bekanntlich klein ist (oder ist es der mangelnden Fantasie der Autorin geschuldet?), arbeitet in jenem Hotel auch noch eine Jugendfreundin Marthas. Die Marketing-Managerin Esther stammt aus einem christlichen Elternhaus, das einst von der SED-Diktatur arg schikaniert wurde. Trotzdem findet Martha in Esther nicht die erhoffte Verbündete im Kampf gegen den langjährigen Stasi-Spitzel.

Auch Esther hält es mit der Vergangenheit eher wie Marthas Schwester Johanne und setzt auf versöhnliche Töne, auf Ruhe und Vergebung. So zerrissen und unharmonisch, so wild und ungezügelt wie die Hauptfigur Martha daherkommt, so liest sich auch Strittmatters erster Roman. Doch vieles bleibt hier plakative Schwarz-Weiß-Malerei. Sprachlich wie inhaltlich sind die großen Ambitionen spürbar, doch die Umsetzung erinnert an kalte Reißbrettprosa – inspiriert von großem aufklärerischem Eifer, aber ohne intensive emotionale Nähe.

Titelbild

Judka Strittmatter: Die Schwestern. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2012.
281 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783351033828

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