En vogue in einem kleinen Kreis

Ernst Jünger aus der Sicht seines französischen Übersetzers Julien Hervier

Von Jerker SpitsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jerker Spits

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Schon zu dessen Lebzeiten stießen sein Werk und Leben in Frankreich auf größere Bewunderung als in Deutschland“, schrieb „Die Welt“ 1998, kurz nach dem Tod Ernst Jüngers. Der französische Präsident Mitterand war ein großer Bewunderer Jüngers, der ein „freier Mensch“ geblieben sei, und „uns den Weg zur Größe der Nationen“ gewiesen habe. Jünger selbst erlebte entscheidende Momente seines Lebens jenseits des Rheins: als Soldat im Ersten Weltkrieg an der Somme und in Verdun; im Zweiten Weltkrieg in Paris. Er übersetzte Rivarols „Maximes“ und Texte von Guy de Maupassant und Paul Léautaud. Später war er bei zahlreichen Ehrungen und Feierlichkeiten zu Gast: an Universitäten, im Elysee-Palast und im September 1984 in Verdun, wo Mitterand und Bundeskanzler Kohl mit einem Händedruck die „Versöhnung über die Gräbern“ bekräftigten. Dabei pflegte Jünger intensiven Kontakt mit seinen französischen Übersetzern Henri Plard und Julien Hervier.

Der Rezeption in Frankreich gehen Julien Hervier – nach Henri Plard Jüngers Hauptübersetzer ins Französische – und dem deutschen Publizisten und Übersetzer Alexander Pschera in einem Gespräch nach. Der Band wird durch 60 Briefe Ernst Jüngers an Hervier ergänzt. Ein Brief veröffentlichte Jünger mit einigen Kürzungen in „Siebzig Verweht IV“.

Im Gespräch hebt Hervier die Aufnahme der Kriegstagebücher in die Bibliothèque de la Pléiade hervor. Dies sei ein Akt gewesen, der in Frankreich der Kanonisierung gleichkomme. Hervier versucht die Frage zu beantworten, welcher Jünger in Frankreich en vogue ist: den nationalistischen Jünger der zwanziger Jahre, den waldgängerischen der fünfziger Jahre, den ökologischen der achtziger Jahre, den vermeintlich postmodernen der neunziger Jahre.

Wird Jünger in Frankfreich intensiver gelesen als in Deutschland? Nach Herviers Auffassung handelt es sich dabei um „einen absolut falschen Gemeinplatz, and dessen Verbreitung Jünger selbst beteiligt war“. Jünger habe versucht, die deutschen Attacken gegen seine Person zu kompensieren. Richtig sei aber, dass Jünger in Frankreich über einen Kreis leidenschaftlicher Verehrer verfüge. Die Auflagen seiner Bücher in Frankreich waren beachtlich, aber immer noch drei- oder viermal kleiner als in Deutschland. Auch in Frankreich wurde Jünger als militaristischer Ästhet gesehen, als reaktionärer Denker, den allein seine aristokratische Haltung vom Nationalsozialismus ferngehalten habe. Auch jenseits des Rheins habe er Feinde gehabt. So bezeichnete Georges-Arthur Goldschmitt Jüngers Aufnahme in die Pléiade als „Rehabilitierung der deutschen Okkupation Frankreichs“. Von einem großen Einfluss Jüngers auf die französische Literatur kann, so Hervier, nicht die Rede sein. Am deutlichsten Nachweisbar sind in den letzten Jahren die Jünger-Anspielungen in Jonathan Littells „Les Bienveillantes“ („Die Wohlgesinnten“).

Hervier betont die Qualität früherer Übersetzungen – so Henri Thomas Übersetzung von „Auf den Marmorklippen“. Thomas war Romanschriftsteller und kein Professor – was ihm erlaubt hätte, freier mit dem Text umzugehen. Das hätte weder Plard noch er selbst gewagt, betont Hervier. Die Thomas-Übersetzung sei „leicht unscharf, dafür aber viel ausdrucksstärker“. Auch berichtet Hervier über die Überarbeitung von Übersetzungen – die Qualität der Texte wird dadurch ständig besser. So revidierte Francois Poncet Herviers Übersetzungen von „Feuer und Blut“ und „Das Wäldchen 125“; Hervier las Poncets Übersetzung von „Der Kampf als inneres Erlebnis“ Korrektur.

Die persönlichen Erinnerungen Herviers an Jünger verlebendigen das Gespräch, und zeichnen ein detaillreiches Porträt des alten Ernst Jüngers. Jünger habe Günter Grass schon schnell beiseite geschoben, aber es ist nicht so, dass Jünger keine Gegenwartsautoren las. So verglich er „Das Parfüm“ mit dem Werk eines seiner Lieblingsautoren der Dekadenz, Joris-Karl Huysmans. Hervier betont, wie neugierig und in gewissem Sinn optimistisch Jünger bis zum Ende seines langen Lebens war. Er bedauerte zwar einen gewissen Verfall der Bildung, war aber auch der Meinung, dass jede Generation ihre eigenen Stärken und Schwächen habe. Es führe zu nichts, indem man eine Jugend, der es zwar an Grundlagen fehle, die aber über Begeisterung und Elan verfüge, Kulturlosigkeit und Dummheit vorwerfe.

Der zweite Teil des Bandes umfasst 60 Briefe und Postkarten von Ernst Jünger an Julien Hervier. Die Korrespondenz beginnt im September 1971 und endet im März 1996. Jünger bittet Hervier um die Verbreitung seines Werkes („Dagegen meine ich, daß Sie mir vielleicht noch anderweitig behilflich sein könnten – im Rundfunk, Fernsehen“). Er klärt Übersetzungsfragen, weist auf Verweisungen – Johann Wolfgang Goethes Gedicht „Warum gabst du uns die tiefen Blicke“, Martin Luthers „Ein feste Burg“. Manchmal ermutigt er Hervier. „Das Buch ist nicht so schwer zu übersetzen, wie etwa ein Text von Heidegger“, schreibt er lakonisch über „Der Arbeiter“. Auch werden Termine vereinbart („Inzwischen ist eine Änderung eingetreten, die Ihnen die Mühe der Reise erspart: eine Einladung von Mitterand zum 22. Januar nach Paris“).

Der alte Jünger schätzte seinen Übersetzer. In einem Brief an Henri Plard, damals noch seinen Hauptüberzetzer, schrieb Jünger: „Hervier werden Sie, wie auch ich, hinsichtlich der Intelligenz in die catégorie exceptionelle einstufen“. Als Plard, mit dem Jünger eine enge Freundschaft verband, ihn auf einmal scharf angriff, wurde Hervier zum Hauptübersetzer Jüngers. Aus einem Brief an Hervier geht hervor, wie enttäuscht Jünger war, als es zum Zerwürfnis mit seinem langjährigen Freund und Übersetzer kam: „Wie soll ich das Verhalten meines Freundes erklären, der einen Teil seiner Lebensarbeit meinem Werke gewidmet hat und dessen vorzügliche Übersetzungen zu seinem Ruhm und sogar Nachruhm beitragen. Seit Jahrzehnten beginnen seine Brief mit ,lieber und hochverehrter Freund‘. Ich habe eine Nacht lang darüber nachgedacht. Soll das alles nun nicht gewesen sein?“

„Man wird seine reiche Persönlichkeit aber erst dann besser erfassen können, wenn die gesamte Korrespondenz veröffentlicht wird“, erklärt Hervier im Gespräch. Das ist ein bisschen übertrieben. Die Korrespondenz mit wichtigen Zeitgenossen wie Carl Schmitt, Martin Heidegger und Ernst von Salomon ist bereits erschienen. Die Biografien und Studien von Helmuth Kiesel, Heimo Schwilk und Hans Peter Schwarz haben einen hohen Standard gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein neuer Briefwechsel das Bild Jüngers komplett ändert. Wohl aber vermag ein kleiner, schöner Briefband wie der von Matthes & Seitz das Bild durch persönliche und kenntnisreiche Kommentare zu verlebendigen.

Titelbild

Alexander Pschera (Hg.) / Ernst Jünger: Jünger und Frankreich - eine gefährliche Begegnung? Ein Pariser Gespräch ; mit 60 Briefen von Ernst Jünger an Julien Hervier.
Übersetzt aus dem Französischen Dorothee Pschera.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2012.
204 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783882215380

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