Mensch und Maschine

Bianca Westermann zeichnet die „Grenzgänge zwischen Biologie und Technik seit dem 18. Jahrhundert“ von antiken Prothesen bis zum Cyborg-Konzept nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war ein langer Weg von der maschinellen Femme Fatale, die in den 1920er-Jahren eine ganze Metropole in den Abgrund zu reißen drohte, über die noch immer robotesken weiblichen Fembots, mit denen sich eine prothesenbestückte junge Frau namens Jaime Sommers zu Zeiten der Zweiten Frauenbewegung herumschlagen musste, bis hin zu „Seven of Nine“, der sicherlich beliebtesten Cyborg des gesamten (Star Trek-)Universums nicht nur der 1990er-Jahre.

Doch all dies ist Film- und Fernsehgeschichte. Bianca Westermann interessiert sich hingegen vielmehr für die Realgeschichte „anthropomorpher Maschinen“. Ihr geht sie in ihrem Buch gleichen Titels nach und zeichnet dabei eine Historie der „Grenzgänge zwischen Biologie und Technik seit dem 18. Jahrhundert“. Eingangs konstatiert die Autorin eine „grundsätzliche Differenz zwischen Körper- und Maschinenkonzepten“, die sich etwa im Fehlen eines gemeinsamen Oberbegriffs festmache. Bekanntlich ist es dem menschlichen Erfindungsgeist gleichwohl gelungen, eine „Anschlussfähigkeit zwischen Körpern und Maschinen“ zu konstruieren.

Westermann thematisiert die in der Folge entstandenen „Mischwesen zwischen Körper- und Maschinenkonzepten“ in ihrer stets gründlichen und oft erhellenden Arbeit „aus einer historischen wie auch aus einer paradigmatischen Perspektive“. Mit biomorphe Automaten, Robotern, Prothesen und Cyborgs nimmt die Autorin vier „Körper-Maschinen-Hybride“ in den Blick, die zugleich den in etwa chronologischen Aufbau der Arbeit bestimmen. Jedem von ihnen ist ein Abschnitt gewidmet, der sich in ein „einführendes, ins Detail gehende Kapitel“ und ein „Reflexionskapitel“ teilt. In ihnen beleuchtet Westermann die hybriden Körper zum einen als „Epochenphänomene“, „die stets auf historische Kontexte verweisen“, und zum anderen als „diskursive Formationen, die es ermöglichen, zentrale Verschiebungen zu beobachten.“

Nun gibt es nicht unbeträchtliche zeitliche Überschneidungen der vier Körper/Maschinen-Konzepte. Prothesen wurden zwar schon in der Antike eingesetzt. Doch erst nach dem Abertausende Versehrte produzierenden Ersten Weltkrieg wurden sie zu einem europaweit allgegenwärtigem „Phänomen“. Während die Entwicklung der Prothesen bis dahin nicht eben atemberaubende Fortschritte gemacht hatte, erreichten die „biomorphen Automaten“ in den Jahrzehnten vor und nach 1800 ihre Blüte. Die Prothesen nicht nur der Zeit nach dem Ersten, sondern auch nach dem Zweiten Weltkrieg haben wiederum kaum etwas mit den Hightech-Produkten gemein, auf denen Oberschenkelamputierte vielleicht schon bei den nächsten Olympischen Spielen alle gesunde HöchstleistungssportlerInnen weit hinter sich lassen werden.

Erste Roboter weckten bereits in den 1920er-Jahren „kulturelle Aufmerksamkeit“ und sind heute, in Zeiten der Cyborgs noch immer im „Diskurs der Körper-Maschine-Hybride“ gegenwärtig. Waren in der Zwischenkriegszeit nur die von der Gebrüder Capek erdachten Roboter von menschengleicher Gestalt, wurden nicht-humanoide Roboter doch schon als Arbeitsmaschinen eingesetzt. Wie Westermann zeigt handelt es sich bei der aufkommenden Rede vom Roboter also keineswegs nur um eine „sprachliche Variation des bekannten Konzepts der Automaten“. Denn „im Gegensatz zum Automaten, der eine Simulation des Menschen war und sich damit den Menschen und seine Potentiale als Vorbild aber auch als Grenze setzte, ist der Roboter eine Steigerung des humanen Potentials, insbesondere der menschlichen Arbeitskraft und damit immer schon eine Transformation des Menschen.“

Trotz der zeitlichen Überschneidungen der vier Konzepte ermöglicht es die grundsätzlich chronologische Anordnung der Autorin, „eine Steigerung der Ambivalenzen nachzuzeichnen“, deren „vorläufiger Höhepunkt“ das Cyborgkonzept mit seinem „konstitutives Merkmal“ der „Kontingenz“ bildet.

Wie Westermann nachdrücklich plausibilisiert, lassen sich Automaten und Roboter zwar noch immer als „Maschinenkonzepte“ erfassen, die „durch ein Körperkonzept aufgewertet“ werden, nicht aber Prothesen und Cyborgs. Bei letzteren handele es sich vielmehr um „Körperkonzepte“, die „durch Maschinenkonzepte aufgewertet“ werden.

Titelbild

Bianca Westermann: Anthropomorphe Maschinen. Grenzgänge zwischen Biologie und Technik seit dem 18. Jahrhundert.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2012.
300 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783770552191

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