Rückblick auf einen konformistischen Rebellen
Zwei Bücher über den kreativen Freiherrn zu Guttenberg
Von Kai Köhler
Im Frühjahr 2011 nahm die blitzartige Karriere des CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg ein ebenso blitzartiges vorläufiges Ende. Der Versuch eines Comebacks Ende jenes Jahres scheiterte an zweierlei: an der Übereilung des Protagonisten, der seinen Kritikern nicht einmal ein volles Jahr des Vergessens lassen wollte, und daran, dass es gerade darum ging, Christian Wulff als Bundespräsidenten zur Strecke zu bringen. Man konnte nur schwer den einen Politiker moralisch demontieren und gleichzeitig den anderen, gerade erst demontierten, zu neuen Würden erheben.
Die beiden Bücher, um die es hier geht, sind auf dem Schreibtisch des Rezensenten ein wenig liegengeblieben; sie erschienen bereits vor jenem Versuch Guttenbergs, in die Politik zurückzukehren. Schon gar nicht kommt in ihnen die Pointe vor, dass der Ex-Minister, dem der Umfang seiner Plagiate durch Kooperation im Internet nachgewiesen wurde, sich nun als EU-Berater mit der Freiheit des Internets befasst. Liest man die Bücher heute, geht es weniger um Guttenberg – auch wenn man es mit ihm früher oder später doch wieder zu tun bekommen dürfte. Vielmehr fragt sich, ob über den Einzelfall hinaus etwas zu lernen ist.
Roland Preuß und Tanjev Schulz sind Redakteure der „Süddeutschen Zeitung“, die zuerst den Plagiatsverdacht an die Öffentlichkeit brachte. Sie schildern den Verlauf der gut zwei Wochen, die es vom ersten Artikel bis zum Rücktritt des Ministers brauchte. Das ergibt interessante Einblicke in die Dynamik einer Affäre und auch in mögliche Taktiken des Betroffenen. Freilich stand Guttenberg von Beginn an vor der unerfreulichen Alternative, sich entweder als Schwindler darzustellen oder als jemand, der die Arbeit an seiner Dissertation in keiner Weise zu kontrollieren vermochte. Da er seine Popularität weniger über Inhalte als über das moralisierende Beharren auf Anstand und Form gewonnen hatte, schied der Betrüger aus und blieb der Idiot, der gewesen zu sein Guttenberg bis heute behauptet; was ihn für verantwortliche politische Aufgaben auch nicht gerade empfiehlt.
Neben der Chronik der Ereignisse behandeln Preuß und Schulz auch andere Aspekte. Interessant sind besonders die Anmerkungen zum Plagiat im Wissenschaftsbetrieb. Im „akademischen Kapitalismus“ (Richard Münch) wird Selbstvermarktung immer wichtiger, und Sprachhülsen (wie sie sich in Guttenbergs Dissertation zuhauf finden) drohen Substanz zu ersetzen. Freilich: Guttenberg hat noch unter Vor-Bologna-Verhältnissen studiert und ist nicht Zögling eines neumodischen Graduiertenkollegs, sondern hat in einem völlig traditionellen Verhältnis zu seinem Doktorvater getäuscht. Der Verweis auf neuere Entwicklungen aber verweist immerhin darauf, dass das Plagiatsproblem künftig nicht geringer werden dürfte; informative Recherchen zum akademischen Ghostwriting ergänzen den Komplex.
Unter dem Titel „Inszenierung als Beruf“, einer Parodie auf Max Webers Vortrag über den „Politiker als Beruf“, haben Oliver Lepsius und Reinhard Meyer-Kalkus Beiträge zusammengefasst, die teils den Anspruch einer wissenschaftlich-theoretischen Durchdringung des Falls Guttenberg erheben. Neben Artikeln aus der „Süddeutschen Zeitung“ (Gustav Seibt, Thomas Steinfeld), der „Frankfurter Allgemeinen“ (Nils Minkmar) und dem „Tagesspiegel“ (Peter von Becker) sind Texte publiziert, die auf einen Workshop am Wissenschaftskolleg zu Berlin zurückgehen. Themenschwerpunkte sind unter anderem das Verhältnis von politischem und wissenschaftlichem Bereich (Seibt, Steinfeld, Petra Gehring), die Neustrukturierung einer kritischen Öffentlichkeit durch das Internet (Bernhard Pörksen / Hanne Detel), die ikonografische Inszenierung Guttenbergs (Johannes von Müller) und seine Rhetorik (Heinrich Detering, Reinhard Meyer-Kalkus, Sebastian Diziol). Besonders interessant sind Überlegungen, wie sich in der öffentlichen Wahrnehmung eines sich erfolgreich als Anti-Politiker inszenierenden Politikers als „Mediencondottiere“ (Uwe Pörksen) mit strategischem Rückgriff auf seine Ressourcen als Abkömmling des Adels (Tilman Allert) ein Wandel des politischen Feldes abzeichnet.
Überzeugend ist dargelegt, wie gekonnt Guttenberg in der Zeit seines Aufstiegs Politik von Inhalten entlastet und als Frage von Stil und Anstand dargestellt hat (was ihn freilich, als er in Verdacht geriet, den Anstand verletzt zu haben, umso angreifbarer machte). Ebenso stimmig zeigen die Autoren, wie Guttenberg auf tradierte bildliche und familiäre Ressourcen zurückgreifen konnte und gleichzeitig ein Bündnis mit modernen Medien einging, das teilweise bis über das Ende der Affäre hinaus stabil blieb.
Wenn trotz allem die Bild-Zeitung Guttenberg nicht im Amt halten konnte, mag man dies als Indiz für eine letztlich doch funktionierende Öffentlichkeit ansehen. Doch bleibt die Irritation, dass er immerhin so lange Erfolg hatte, dass ein Bedürfnis nach einem solchen Typus bestand. Ansatzweise erklärt der Band, wie Guttenberg den Wunsch eines bedeutenden Teils der Bevölkerung nach einer Komplexitätsreduktion des Politischen erfüllte; doch ob dieser Wunsch ein spezifisch heutiger ist oder ob er früher auf andere Weise erfüllt wurde (zum Beispiel durch dumme Inhalte statt gar keiner), das erfährt man nicht.
Gar nicht angesprochen wird die Frage, wessen Interessen Guttenberg vertrat. Dass es nicht die seines Parteichefs und seiner Kanzlerin waren, deren Positionen er bedrohte, ist klar. Doch warum propagierten so unterschiedliche Zeitungen wie „Bild“ und „Die Zeit“ denselben Mann? Möglicherweise, weil er keine Inhalte vertritt anstelle der gefährlichen Inhalte, die entsprechende Figuren in anderen Ländern vertreten? Weil er – trotz seiner scheinbar systemfremden antipolitischen Attitude – doch vom Karrierebeginn an ein folgsames Teilchen im herrschenden politischen System war? Darüber hätte man gerne in diesem brav-kritischen Band gelesen.
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