Muttermord

Miriam Gebhardts innerfeministischer Abrechnung mit Alice Schwarzer hätte etwas weniger polemischer Furor gut angestanden

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Früher einmal wurde Alice Schwarzer vor allem von Männern angefeindet. Das war während der 1980er- und mehr noch während der 1970er-Jahre, zu einer Zeit, in der die zweite Welle der Frauenbewegung über die BRD schwappte. Inzwischen sind es hingegen insbesondere Frauen, die gegen Schwarzer vom Leder ziehen. Zwar lassen sie sich nicht zu sexistischen Entgleisungen hinreisen, wie sie bei männlichen Kritikern von ehedem üblich waren, doch schrecken sie von manch anderer Polemik, die sich auch schon mal der Verbalinjurie nähern kann, keineswegs zurück. Dabei handelt es sich bei den gegenwärtigen Schwarzer-Kritikerinnen nicht etwa um Antifeministinnen vom Schlage Esther Vilars, die in dem berühmten Fernsehdisput anno 1975 versuchte, Schwarzer Kontra zu geben, sondern ganz im Gegenteil um Frauen, die sich selbst als Feministinnen verstehen. Und genau dies ist der Grunde, warum sie auf Alice Schwarzer nicht gut zu sprechen sind. Lasten doch nicht wenige von ihnen der „Berufsfeministin“ an, sich „ins feministische Mittelalter verabschiedet“ zu haben und somit für „das schlechte Image“ der „einst so stolzen“ deutschen Frauenbewegung“ verantwortlich zu sein, von der „nur noch ein trauriger Rest übrig“ sei, wie Miriam Gebhardt in ihrer unter dem Titel „Alice im Niemandsland“ erschienenen Abrechnung mit Schwarzer formuliert, wobei sie das von dieser herausgegebene Magazin „EMMA“ zugleich als „Zentralorgan des Patriarchatsmythos“ brandmarkt.

Die „programmatisch unbedeutende, organisatorisch unsichtbare und auf eine Symbolfigur zusammengeschrumpfte“ Frauenbewegung finde auf jede Frage nur eine „einzige und zwar immer dieselbe feministische Antwort – ‚die Antwort‘ von Alice Schwarzer“, klagt die Autorin auf der ersten Seite ihrer Streitschrift. Und hier muss auch schon der erste Einspruch erhoben werden. Es gab und gibt sehr wohl eine Reihe weiterer feministischer Antworten auf diverse brennende Fragen, die sich teils sehr von derjenigen Schwarzers unterscheiden. Und zwar keineswegs ausschließlich im akademischen Bereich. Erwähnt sei nur das nunmehr im fünften Jahr erscheinende „Missy Magazine“, dessen Positionen nicht selten erheblich von denen Schwarzers abweichen. Doch Gebhardt ist das jugendlich-feministische „Missy Magazine“ nicht weiter der Rede wert.

„Wer vom Pfad ihrer Siebzigerjahre-Ideologie abweicht“, behauptet sie vielmehr, „gilt Schwarzer sofort als Verräterin.“ Da mutet es allerdings merkwürdig an, dass die jungen Feministinnen des „Missy Magazines“ sich unlängst mit den altgedienten der „EMMA“ an einen Tisch setzten und nicht nur stritten, sondern sich über alle Differenzen hinweg auch noch blendend verstanden. Kein Wunder, dass Gebhardt davon schweigt, hätte die Diskussion doch gar nicht stattfinden können, träfe zu, was sie glauben machen will, dass nämlich „der Gesprächsfaden zwischen den Frauengenerationen schon lange gerissen“ ist. Von ihren Studentinnen weiß die Historikerin sogar zu berichten, dass sie „sich wegen Alice Schwarzer nicht selbst als Feministin beschreiben“ können und „manch eine“ von ihnen sich wie die „angeblich unterdrückten Muslimas“ „am liebsten selbst in einen Schleier hüllen“ würde. Denn während „überall auf der Welt unter der Burka der feministische Aufruhr“ tobe, sei der ,Backlash‘ in Deutschland „besonders virulent“. Was, so wird insinuiert, keiner anderen als Alice Schwarzer anzulasten ist, deren „autobiografische Zeugnisse“ sich die Autorin im Kapitel „Die apokalyptische Frau“ namentlich unter zu Hilfenahme von „Gedächtnispsychologie“ und „Literaturwissenschaften“ vorknöpft.

Zwar besteht Gebhardt Buch zu einem nicht geringen Teil aus polemikgesättigter Kritik, die sich in aller Regel gegen Schwarzer, aber auch schon mal gegen „die ach so radikalen“ Feministinnen der Neuen Frauenbewegung richten, doch bietet es durchaus mehr. So enthält es etwa einen recht ausführlichen Durchgang durch die Geschichte der Frauenbewegung. Er setzt mit Mary Wollstonecraft und Olympe de Gouges ein, was durchaus nachvollziehbar ist. Nicht immer nachvollziehbar ist hingegen, dass sie einerseits manches belanglose Detail einflicht, andererseits aber herausragende Persönlichkeiten völlig aus der feministischen Historie tilgt.

Verständlicherweise schließt sich die Autorin der verbreiteten Auffassung an, dass die im Jahre 1968 abgehaltene 23. Delegiertenkonferenz des SDS mit der von den Genossen ignorierten Rede Helke Sanders und dem anschließenden Tomatenwurf Sigrid Rügers den „symbolischen Gründungsakt“ der Neuen Frauenbewegung markiert und keineswegs die einige Jahre später publizierte Titelstory der Illustrierten „Stern“ mit dem damals nicht ganz ungefährlichen Bekenntnis zahlreicher bekannter und unbekannter Frauen abgetrieben zu haben, wie Schwarzer sich gerne rühmt, auf deren Initiative Bekenntnisse und Bericht zurückgingen. Muss man aber wissen, wo eine der Tomaten den Frankfurter Chef-Theoretiker Hans-Jürgen Krahl traf, nämlich „am Schlüsselbein“? Nun mag eine überflüssige Information kein Beinbruch sein; wohl aber, dass eine so wichtige Feministin des 19. Jahrhunderts wie Hedwig Dohm auf den weit über hundert Seiten zur Geschichte der Frauenbewegung gar nicht vorkommt und Lida Gustava Heymann, die neben Anita Augspurg wichtigste Protagonistin der radikalen Frauenbewegung um und nach 1900, nur einmal kurz als jüdische Feministin erwähnt wird, die angesichts des Nationalsozialismus ins Exil gehen musste.

Gebhardt unterscheidet aber nicht so gerne zwischen radikalem und gemäßigtem Flüge der Frauenbewegung, sondern spricht lieber Wellen-übergreifend von einem „Ändere dich gefälligst-Feminismus“ und einem „Werde, die du bist-Feminismus“ – wobei sie zur Bezeichnung des letzteren auf ein Wort der von ihr verschwiegenen Hedwig Dohm zurückgreift.

Die von Gebhardt ja nicht zu unrecht geschätzte US-amerikanische Frauenbewegung gibt den strahlenden Hintergrund ab, vor dem sie die deutsche in umso dunkleren Farben malen kann. Als Grund für den ihr zufolge größeren Erfolg der amerikanischen Frauenbewegung macht Gebhardt unter anderem aus, dass der amerikanische Staat während der ersten Welle der Frauenbewegung, „nicht zu Verteidigungsmaßnahmen“ wie dem deutschen „Versammlungs- oder Publikationsverbot“ gegriffen habe. Dafür aber – und dies verschweigt sie – warf er Feministinnen lieber unter fadenscheinigem Vorwand gleich ins Gefängnis, wenn sie vor dem Weißen Haus auf Plakaten und Transparenten das Wahlrecht für Frauen forderten. So geschehen 1917. Dort wurden sie wie etwa die nicht nur wegen ihres Hungerstreiks berühmte Alice Paul einer folterähnlichen Zwangsernährung unterzogen.

Mit Alice Paul hätte Gebhardt auch „die oft behauptete Lücke zwischen der ersten und der zweiten Frauenbewegung“ weit überzeugender schließen können als mit der von ihr zu diesem Zweck herangezogenen „Symbolfigur des amerikanischen ‚Second Wave‘-Feminismus“ Betty Friedan, die sich bereits in den 1940er-Jahren feministisch betätigt habe. Denn Pauls feministisches Engagement reicht noch um einiges darüber hinaus, nämlich von den Anfängen des Jahrhunderts bis zu ihrem Tode 1977. Wie immer es aber auch um das Vorhandensein einer Lücke zwischen den Wellen der US-amerikanischen Frauenbewegung bestellt sein mag. In Deutschland gab es sie zweifellos. Hier sorgte der nationalsozialistische Kahlschlag für eine – sowohl personelle wie auch materielle – „Lücke“ zwischen den Frauenbewegungen, fielen ihm doch Menschen und Archive zum Opfer.

Gebhardt beschließt ihr Buch mit einigen „Wünschen an die Zukunft des deutschen Feminismus nach Alice Schwarzer“. Darunter so vertretbare wie „Mehr Theorie wagen!“ und „Beide (oder alle) Geschlechter einbeziehen!“ Überhaupt bietet ihr Buch gegen Ende – man möchte fast sagen: endlich – einige wirklich starke Seiten. Sie sind etwa mit der Darstellung von Judith Butlers Gender-Theorie gefüllt, die ihr besser und zutreffender gelingt als vielen anderen. Auch weist sie, wenngleich etwas unglücklich formuliert, so doch zu Recht darauf hin, dass „sich, trotz feinster Messverfahren, die Medizin immer noch auf keine klare Zuordnung der Geschlechter einigen“ kann. Allerdings scheint dem eingeschobenen Wörtchen noch das Versprechen innezuwohnen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis es so weit ist. Ob dies jedoch möglich oder auch nur sinnvoll ist, lässt sich bezweifeln.

„Die müttermordenden Frauen haben als dramatisches Motiv anscheinend die vätermordenden Söhne abgelöst“, konstatiert Gebhardt an einer Stelle. Dabei ist nicht zu übersehen, dass sie selbst in Sachen Muttermord unterwegs ist. Die wenig erquickliche Rolle des Opfers hat sie Alice Schwarzer zugedacht. Und da sie offenbar weiß, dass Lachen tödlich ist, setzt sie auf die Waffe der Polemik. Doch stützt diese ihre Kritik nicht etwa, was ja durchaus möglich ist, wie Hedwig Dohm auf unnachahmliche Weise zeigte. Bei Gebhardt jedoch verleidet sie die Lektüre.

Titelbild

Miriam Gebhardt: Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012.
352 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783421044112

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