Der Tod in Rom und sonstwo

Joseph Zoderers „Mein Bruder schiebt sein Ende auf“ erzählt zwei Geschichten vom Sterben

Von Michael KurzmeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Kurzmeier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bin der erste Mensch, der nicht sterben wird“, lässt Joseph Zoderer Konrad, den namensgebenden Charakter der gleichnamigen Erzählung verlauten. Natürlich ist er weder der erste Mensch, der davon überzeugt ist, noch der erste, bei dem diese Behauptung zutrifft. So bleibt es Aufgabe des Freundes, Konrad und die Freundschaft zwischen den beiden aus der Retrospektive zu begreifen. Wobei Zoderer dabei besonders die Grenzen jener Freundschaft interessiert, alles, was Konrad auch nach einem halben Jahrhundert nicht mit seinem Freund geteilt hat.

Konrad ist dabei eine literarisierte Entwicklungsgeschichte des Erzählers, der in wechselnder Bewunderung und Gleichgültigkeit dem Freund gegenübersteht. Sind beide als Studenten „noch in der Geistesnähe von Mark Twain oder Edgar Allan Poe“, entwickelt sich die Erzählung über Martin Heidegger und Satre zu Peter Handke und Juan Carlos Onetti. Die gelungene Kontrastierung der Figuren und die immanente Bewunderung des als leitende Inspiration verstandenen Freundes erinnert dabei einige Male an Hermann Hesse. Dass beide Freunde Studenten unterschiedlicher Fakultäten sind – der namenlose Erzähler studiert Jura, Konrad dagegen Philosophie – sowie die ländliche Herkunft und natürlich die erzählungsbestimmende Liebesbeziehung Konrads verstärken den Eindruck dieser literarischen Wahlverwandtschaft.

„Mir war es, wenn ich grausam ehrlich bin, gleichgültig, was Konrad irgendwo, in Rom, in Wien oder in einem Alpental suchte, fand oder erlebte. Einiges davon berichtete er ja von sich aus. Nur hatte das, was er erzählte, nichts mit seinem Leben als Liebender oder Liebessuchender oder Liebesenttäuschter zu tun“. Genau jene Diskrepanz zwischen Freundschaft und der Idealisierung des anderen als alternative Version des eigenen Egos porträtiert Zoderer dabei mit einer sehr genauen Sprache, ohne in Floskeln oder Kitsch abzurutschen.

So präzise sich in der Analyse der Freundschaft auch Prosa mit den Erinnerungen des Erzählers verbindet, so klischiert sind dagegen die Figuren porträtiert. Konrad selbst lässt kein Klischee des Intellektuellen aus, lebt in seinem Bücherzimmer in der Wohnung neben dem Petersdom und „jeder Parkwinkel, jeder Torbogen wurde von uns literarisiert“. Diese Übertreibung geht soweit, dass Konrad aus der zugedachten Rolle des Intellektuellen fast herausfällt, seine Lebensfremdheit karikiert ihn, der „in jedem Staat ein großartiger Kulturminister [hätte] sein können, auch wenn er nicht einmal imstande war, sich selbst ein Schnitzel zu braten“, mehr als weltfremden Nerd denn als einen Homme de Lettre oder gar Weltbürger.

Der namensgebenden Erzählung „Mein Bruder schiebt sein Ende auf“ bleiben solche platten Figurationen erspart, der Erzähler hält sich auch hier angenehm im Hintergrund und der genannte Bruder scheint nun einfach nicht genug Substanz für eine glaubwürdige Übertreibung zu besitzen. Statt zu bewundern, kontrastiert Zoderer hier das bürgerliche Leben des zehn Jahre älteren Bruders sehr genau mit der wiederum als intellektuelle Entwicklungsgeschichte verstandenen Laufbahn des jüngeren. Da der ältere sein Ende vor Augen hat, nähern sich beide in der ebenfalls sehr genauen und zutreffenden Beschreibung der letzten gemeinsamen Momente an. Zwischen der Zwangsfreundschaft der sich wechselseitig anekelnden Brüder und der bemühten Aufrechterhaltung der eigenen Fassade stehen allerdings immer wieder Rückblenden, welche die Distanz der beiden nachvollziehen lassen: Der Ältere im Krieg, der Jüngere im Schweizer Internat, so etwas wie Brüder sind Zoderers Charaktere erst jenseits der achtzig geworden. Zwei sehr gute Geschichten über den unbekannten Freund, deren sprachliche Genauigkeit für manches Klischee entschädigen kann.

Titelbild

Joseph Zoderer: Mein Bruder schiebt sein Ende auf. Zwei Erzählungen.
Haymon Verlag, Innsbruck 2012.
141 Seiten, 18,60 EUR.
ISBN-13: 9783852187594

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