Eine literarische Entführung

Zum Else Lasker-Schüler-Prosaband „Die kreisende Weltfabrik“, herausgegeben von Heidrun Loeper

Von Natalia Blum-BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalia Blum-Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für den im Transit-Verlag erschienenen Band „Die kreisende Weltfabrik“ wählte die Herausgeberin Heidrun Loeper mit Bedacht 30 Prosa-Texte von Else Lasker-Schüler aus. Thematisch repräsentieren sie verschiedene Aspekte des Berliner Literatur- und Kulturlebens der 10er- und 20er- Jahre und vermitteln einen guten Eindruck über die Dichterin und Frau Else Lasker-Schüler. Die erläuternden Anmerkungen liefern Informationen über Personen, Zeitschriften, Institutionen und Gebäude, die in den Texten erwähnt werden, sodass dem Leser das Nachschlagen erspart bleibt. Loepers Nachwort ist eine gute Grundlage, um die Dichterin Lasker-Schüler kennenzulernen und sich einen ersten Überblick über ihr Leben in Berlin zu verschaffen.

Vor dem Auge des Lesers tauchen imaginäre Berlin-Bilder auf, die in den Werken der Expressionisten zu gewaltigen Großstadt-Visionen gerinnen. Viele Texte repräsentieren eine Bestandsaufnahme der Stimmungen und Gemütszustände, in denen sich nach der Jahrhundertwende viele Künstler befanden. Besonders deutlich wird der Wunsch, ja die Sehnsucht, Gemeinschaften zu bilden, um der Kunst und Literatur einen Entstehungsraum zu schaffen. Öffentliche Räume – Café, Hotel, Zirkus, Cabaret – treten explizit in den Vordergrund und offenbaren ein reges künstlerisches und literarisches Netzwerk („Im Neopathetischen Cabaret“, „Unser Café“), ein Verflechtungsfeld der Einflüsse und Austauschprozesse („An das russische Cabaret ‚Der blaue Vogel‘“), der freundschaftlichen Unterstützung („Peter Hille“, „Karl-Kraus“, „Ein offener Brief an Finanzminister Dr. Reinholdt“), aber auch der feindseligen Angriffe. Neben diesen öffentlichen Einrichtungen, die eine räumliche Dimension im Werk Lasker-Schülers darstellen, bilden Persönlichkeiten – allen voraus Peter Hille und Karl Kraus, gefolgt von Alfred Kerr, Tilla Durieux, Marie Böhm, Franziska Schultz, Gottfried Benn, Magnus Hirschfeld – eine in diesen Prosa-Texten zentrale Zeit(zeugen)ebene. Diese Menschen sind ein untrennbarer Teil des Berliner Lebens von Lasker-Schüler. Zusammen mit ihnen bildet sie neue Bahnen für den kulturellen Puls jener Zeit.

Neben diesen zwei thematischen Aspekten stellen die von Heidrun Loeper ausgewählten Texte ein weiteres Thema heraus: Tier- und Naturbilder, die über Zeit- und Raumebenen hinausgehen und einen Türspalt in die Seele der Dichterin eröffnen. Lassen die von Hieben blutenden Rücken der Pferde („Am Kurfürstendamm“) nicht an die Verletzungen und Schicksalsschläge der Dichterin denken? Inszeniert als Tino, Prinzessin oder „der Prinz von Theben“ behauptete sie exzentrisch und oft kompromisslos ihre dichterische Existenz – oft am Existenzminium und im Einsatz für ihren geliebten Sohn Paul. Tiere („Tigerin, Affe und Kuckuck“, „Im Gartenhof“) wie auch Bäume („Die Sonne“, „Die Eberesche“) steigern das Gefühl der Einsamkeit und vermitteln eine implizite Identifikation des Ich-Erzählers. Meistens ist es der Zauber des Augenblicks, den die Autorin in ihren Texten festhält und ihren Leser dadurch fasziniert.

Wenn die hier kurz angesprochenen Themen – öffentliche Räume, Literaten und Künstler sowie Tier- und Naturbilder – in den ausgewählten Prosa-Texten dominieren, betont Heidrun Loeper im Nachwort, dass die Geschichten aus der Bibel „zu den elementarsten Erlebnissen“ in Lasker-Schülers Kindheit gehören und für sie „die einzig prägende Bildung“ bleiben. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Identifikation der Dichterin mit dem biblischen Josef, ihrer Inszenierung als „der Prinz von Theben“ und dem Erküren Ägyptens als ihre „Seelenlandschaft“ für das Verständnis vieler lyrischen Texte Else Lasker-Schülers von großer Bedeutung. Hervorgehoben seien auch eine prägnante Darstellung der „Neuen Gemeinschaft“ sowie der Bekanntschaften und Freundschaften der Dichterin mit den Kulturschaffenden jener Zeit. So werden nicht nur die Hilfsbedürftigkeit Lasker-Schülers und ihre Unterstützung durch Peter Hille, Karl Kraus, Franz Marc, Paul Cassirer und andere Mäzene und Förderer angesprochen, sondern auch ihre Rolle als Mentorin und Beförderin der Expressionisten verdeutlicht.

Die von Heidrun Loeper getroffene Textauswahl entführt den Leser in das Berlin der 20er-Jahre, führt ihn über die mittlerweile in die Kulturgeschichte eingegangenen Orte, an denen er die legendären Persönlichkeiten jener Epoche kennen lernt. Es ist eine kurzweilige, da abenteuerliche Angelegenheit. Möge mancher Leser am Ende dieser literarischen Reise feststellen, dass er verführt wurde, in der 15-bändigen Neuausgabe der Werke Else Lasker-Schülers weiterzulesen.

Titelbild

Else Lasker-Schüler: Die kreisende Weltfabrik. Berliner Ansichten und Porträts.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Heidrun Loeper.
Transit Buchverlag, Berlin 2012.
130 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783887472825

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