Man vermisst ihn gar nicht, den Mann

Doris Hermanns hat das Leben der literarischen Mutter der „Mädchen in Uniform“ erforscht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So bekannt der Film „Mädchen in Uniform“ noch immer sein mag, so wenig weiß man über die Frau, die seine Geschichte erdachte. Dies könnte sich nun aufgrund von Doris Hermanns Biografie über Christa Winsloe ändern. Denn sie war es, die das Theaterstück schrieb, auf dem der Film basiert.

Für ihre unter dem Titel „Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela“ erschienene Biografie hat Hermanns nicht weniger als 10 Jahre recherchiert, denn die Quellenlage erwies sich insbesondere für die Kindheit und Jugend Winsloes als denkbar schlecht. Da auch die langjährige Recherche für diese Zeit wenig zutage förderte, sah sich die Autorin genötigt, wiederholt das Manuskript von Winsloes „stark autobiographischem, unveröffentlichtem Roman ‚Das schwarze Schaf‘“ heranzuziehen. Wesentlich erfolgreicher gestaltete sich die Suche nach Dokumenten aus und über Winsloes Lebens als erwachsener Frau. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach 1939 sowie für ihre Liebesbeziehung mit der US-amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson in der ersten Hälfte der 1930er-Jahre. Denn aus den Jahren 1932 bis 1935 sind nicht nur zahlreiche Briefe von Thomson überliefert, sondern zudem das Tagebuch, das die Journalistin in den Monate um den Jahreswechsel 1932/33 führte; genau in der Zeit also, in der die Liebe zwischen den beiden Frauen aufflammte. Es ist daher wenig erstaunlich, dass Winsloe den Lesenden gerade in dieser Phase ihres Lebens als Mensch aus Fleisch und Blut aus den Seiten des Buches hervortritt, während man in den frühen Jahren vor allem das Papier der Archive rascheln zu hören bekommen. Dies mag in gewisser Weise paradox klingen, da es ja gerade für die ersten Jahre an Quellen und Archivalien mangelt. Jedenfalls informiert Hermanns zwar – wie zu vermuten– verlässlich auch über Winsloes Kindheit und Jugend, Leben versteht sie ihrer juvenilen Protagonistin aber nicht einzuhauchen, mag sie während der zehnjährigen Arbeit an dem Buch auch noch so akribisch recherchiert haben. Auch die reiche Bebilderung des Bandes bewirkt da wenig. Über welche Bekanntschaften und Begegnungen Winsloes aus diesen Jahren berichtet wird, erscheint zudem ein wenig zufällig davon abzuhängen, was gerade belegbar ist. Ob eine solche Begegnung für Winsloe von Belang war, scheint hingegen kaum ein Kriterium gewesen zu sein. All dies ist aber immer noch weit besser, als hätte Hermanns das Leben von Winsloes fiktionaler Protagonistin in ihrem Roman-Manuskript „Das schwarze Schaf“ allzu sorglos auf das der Literatin übertragen oder sich gar auf ihre eigene Fantasie verlassen.

Hermanns setzt, wie in Biografien nicht ganz unüblich, mit der familiären Vorgeschichte ihrer 1888 im südhessischen Darmstadt geborenen Protagonistin ein und unterrichtet sehr konventionell über die Lebensdaten – Geburten Hochzeiten und Sterbefälle – der Eltern und Großeltern.

Ähnlich konventionell fallen auch die Abschnitte über Winsloes Kinderjahren aus. Als die Mutter des Mädchens 1900 starb, war es gerade einmal elf Jahre alt. Es war dies die Zeit, als eine „Künstlerkolonie“ in dem damals rund 75.000 Einwohner zählenden Städtchen von sich reden machte. „Es waren alles junge Künstler“, die dort im ersten Jahrzehnt des ebenfalls noch jungen Jahrhunderts „eine neue Welt erschaffen wollten“ und die Heranwachsende für die Bildhauerei begeisterten, so dass sie bald selbst zu Hammer, Meißel und Stichel griff. Mit besonderer Vorliebe und Kunstfertigkeit modellierte Winsloe schon in jungen Jahren Tier-Plastiken; und dann auch noch so wenig damenhafte wie das stattliche Hausschwein in Marmor, das die gerade 20-Jährige 1908 schuf. Etwa in dieser Zeit verliebte sich der elf Jahre ältere Literat Rudolf Borchardt in sie, der sich bald darauf als verschmähter Liebhaber in Briefen an Freunde in Verachtung für die einst Verehrte flüchten sollte. Es war ein anderer, den Winsloe ehelichte, denn sie führte den ungarische Literatur- und Kulturwissenschaftler Lajos Hatvany zum Traualtar. Neun Jahre später ließ sie sich wieder von ihm scheiden.

Borchardt aber war nur einer in einer ganzen Reihe von LiteratInnen, mit denen Winsloe bekannt oder gar befreundet war, bevor sie selbst einige Bekanntheit erlangte. Nach eher kurzen Aufenthalten in Ungarn, Berlin und Wien zog sie Mitte der 1920er-Jahre in den einst für seine Bohème berühmten Münchner Stadtteil Schwabing, wo sie etwa Joachim Ringelnatz, Erika und Klaus Mann sowie den anarchistischen Lyriker Erich Mühsam kennen lernte.

Nachdem Winsloe schon seit einigen Jahren recht erfolgreich als Tier-Bildhauerin tätig war, begann sie in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre damit, kleine Texte über ihre Arbeit in Zeitschriften, Tageszeitungen Magazinen zu publizieren. Darunter bald so namhafte wie die „Vossische Zeitung“. Zudem schrieb sie an einem Theaterstück. Im November 1930 hatte es in einem Leipziger Theater unter dem Titel „Ritter Nérestan“ Premiere. Das Stück um die unglückliche Liebe einer Internatsschülerin zu ihrer Lehrerin war ausschließlich mit weiblichen Rollen besetzt, was einen Kritiker zu der erstaunten Bemerkung veranlasste: „Seltsame Erscheinung: Man vermisst ihn nicht, den Mann.“

Im Gegenteil. Das Stück schlug ein und wurde alsbald unter dem publikumswirksamen Titel „Mädchen in Uniform“ verfilmt. Angesichts des cineastischen Erfolgs begann Winsloe sogleich einen „Roman zum Film“ zu schreiben. Er erhielt den Titel „Das Mädchen Manuela“ und erschien 1933 im Amsterdamer Allert de Lange Verlag. Man kann mit Fug und Recht von einem Welterfolg vor allem des Films sprechen, wurde er doch von Venedig bis Tokio mit diversen Preisen ausgezeichnet. Nur in den bigotten USA war er „wegen des lesbischen Inhalts“ verboten. Erst nachdem nicht weniger als siebzehn Stellen der Zensur zum Opfer gefallen waren, durften sich die AmerikanerInnen den verbliebenen Rest anschauen. Heute allerdings denkt man bei dem Titel „Mädchen in Uniform“ weniger an den 1931 in Berlin uraufgeführte Film als vielmehr an das gleichnamige Remake mit Romy Schneider aus den 1950er-Jahren.

1932 traf Winsloe auf einer Weihnachtsfeier ihre alte Bekannten Dorothy Thompson. Sie hatten sich seit längerer Zeit nicht gesehen. Schon bald nach diesem neuerlichen Zusammentreffen entwickelte sich eine leidenschaftliche Liebe zwischen den beiden Frauen. Nur wenig später sollte die Amerikanerin nicht nur ihre Geliebte Winsloe, sondern auch ihren Mann, den Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis, um einiges an Popularität übertreffen. Warnte sie doch nicht nur als eine der ersten, nämlich bereits 1932, lautstark vor der nationalsozialistischen Gefahr und prophezeite, dass Hitler noch vor dem Ende des Jahrzehnts einen Krieg vom Zaun brechen würde, sondern war auch die erste AuslandsjournalistIn, die aufgrund ihrer Arbeit aus Hitler-Deutschland ausgewiesen wurde. Fortan galt ihr ganzer Einsatz dem Kampf gegen den Faschismus. „Keine andere Journalistin, kein anderer Journalist weltweit sprach sich lauter und vehementer“ gegen die Nazidiktatur aus, konstatiert Hermanns. Nach dem Untergang des Faschismus gründete Thompson 1947 die „World Organization of Mothers of all Nations“ (W.O.M.A.N.), deren zentrale Forderung die „total, universal disarmament of the whole world“ war.

Doch zurück zu Winsloe. Da ihr Buch in einem Verlag erschienen war, der nicht zuletzt Bücher in Deutschland verbotener AutorInnen wie Bertold Brecht und „Gina Kaus“ veröffentlichte, verhängten die Nazis auch über Winsloe ein Publikationsverbot. Dies hinderte die Autorin, die zwar nicht eben Sympathien für den Nationalsozialismus hegte, insgesamt aber doch eher unpolitisch war, jedoch nicht daran, nach längeren Aufenthalten im europäischen Ausland und in den USA wiederholt nach Deutschland zurückzukehren. Ihr letztes Einreisevorhaben sollte ihr 1944 schließlich zum Verhängnis werden. Sie und ihre Begleiterin, die Schweizer Pianistin Simone Gentet, mit der Winsloe die letzten Jahren ihres Lebens verbracht hatte, wurden auf der Reise erschossen. Doch waren ihre Mörder nicht etwa Nationalsozialisten, sondern eine Gruppe französischer Krimineller um Claude Lambert, die ihre Untat später vor Gericht zu rechtfertigen versuchten, indem sie behaupteten, sie hätten im Auftrag der Resistance zwei Kollaborateurinnen hingerichtet. Zwar wurde all dies widerlegt, da das Gericht jedoch der Ansicht war, die beiden Frauen hätten sich verdächtig benommen, wurde die Mörder unter dem Applaus des Pöbels freigesprochen.

Hermans kommt das Verdienst zu, Christa Winsloes Leben so gründlich es die Quellenlage zulässt, erforscht und den Ertrag ihrer Arbeit dem Publikum in Form einer Biografie zugänglich gemacht zu haben.

Titelbild

Doris Hermanns: Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela. Die Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe.
AvivA Verlag, Berlin 2012.
317 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783932338533

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