Reizende Erzählungen

Emmanuel Boves „Begegnung“ ist eine Entführung in die Leidenschaften

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer den französischen Schriftsteller Emmanuel Bove (1898–1945) bis jetzt noch nicht kennt, sollte dies dringend nachholen. Und der Band „Begegnung und andere Erzählungen“, 2012 im kleinen feinen Verlag Lilienfeld erschienen, ausgezeichnet übersetzt von Thomas Laux, bietet sich hierfür an – noch mehr, er macht süchtig. Und am liebsten möchten wir die Geheimnisse, die uns der Autor anvertraut, für uns behalten, denn wer will sich schon verraten und bekanntgeben, dass sie sich für die Missgeschicke der anderen interessieren, mit voyeuristischem Blick hinter die Kulissen zu schauen wagen, gleichzeitig sehr darauf bedacht, selber nicht entdeckt zu werden.

Doch so, wie die Helden bei Bove scheitern, so möchten wir das nicht, und wir sind froh, dass es ihnen passiert, nicht uns. Boves Figuren haben Träume, Sehnsüchte und Hoffnungen, sie sehen die Liebe in Greifnähe und verpassen sie mit erschütternder Regelmäßigkeit, sie versuchen durch Anpassung die Akzeptanz zu erhöhen und sie scheitern an Erwartungen an sich und die Umwelt. So kann François Vaillant in der Erzählung „Ein Missverständnis“ vorerst gar nicht glauben, dass sich die schöne, ihm unerreichbar scheinende Simone Henné tatsächlich mit ihm verabredet hat. François, selber verheiratet und nicht eben im Ruf stehend, ein Frauenverführer zu sein, sieht das Glück in Form einer kleinen Gefahr ganz nah. Simone interessiert sich für ihn!

Doch als es dann zum Treffen kommt, sieht sich François getäuscht. Simone klagt, und das ausgerechnet bei ihm, der sich diese Begegnung zwar nicht wirklich auszumalen erlaubt hat, bestimmt aber hatte er sie sich nicht so vorgestellt. „Eine gewisse Enttäuschung stellte sich bei ihm darüber ein, dass er nur bestellt worden war, um sich dieses Gejammer anhören zu müssen. Das kränkte ihn.“ François weiß sich rasch zu helfen. „François’ Enttäuschung war allerdings durch den Umstand gemildert, dass Simone ihm weniger interessant vorkam, als er gedacht hatte, da sie sich ja über das Luxusleben beklagte, das ihn gerade begeisterte.“

Trotzdem, ein gewisser Zorn bleibt, und dieser wird größer, als neben dem Chirurgen Jean-Marie Formont, mit dem Simone bereits seit Längerem liiert ist, ein weiterer Bekannter von Simone ebenfalls zu Besuch kommt. Und bei Pierre de Rissac handelt es sich offensichtlich um ihren Geliebten. François muss also feststellen, dass die Angebetete nicht ein Treffen unter vier Augen vorgesehen hat – er fühlt sich nicht nur, er ist gedemütigt. Und das alles, nachdem er sich mit Ausreden für einen langen Abend bei seiner Frau verabschiedet hat. Als er nach Hause zurückkehrt und seiner Frau erzählt, er habe ein Geschäftsessen gehabt, empfängt sie ihn mit den Worten: „Ich habe den Eindruck, du lügst.“ François bleibt der lächerliche Versager, und er weiß es auch. „Ohne die geringste Gegenleistung hatte er seine Ehe in Gefahr gebracht. Er setzte sich neben seine Frau und schloss sie in die Arme. Und zutiefst aufrichtig sagte er: ‚Glaube mir, ich habe dich nicht betrogen.‘“

In diesen Erzählungen ist alles so normal, die Geschichten liegen auf der Straße. Und Emmanuel Bove liest sie auf, gestaltet sie und wir haben das Vergnügen, wunderschöne, fein gezeichnete, literarische Texte zu lesen, deren Menschenkenntnis auch uns und heute einen Spiegel vor Augen hält.

Titelbild

Emmanuel Bove: Begegnung. Und andere Erzählungen.
Übersetzt aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Thomas Laux.
Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2012.
448 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783940357229

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