Blick auf die Außenseiter der Gesellschaft

Brillante Erzählungen von E. L. Doctorow, dem „literarischen Chronisten Amerikas“: „Alle Zeiten der Welt. Stroys.“

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schriftsteller E. L. Doctorow (Jahrgang 1931) gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen und gesellschaftskritischen Autoren der USA. Mit seinen Romanen „Ragtime“, „Homer & Langley“, „Der Marsch“ oder „City of God“, die in deutscher Sprache allesamt im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen sind, wurde er ein vielbeachteter Chronist der neueren amerikanischen Geschichte.

Auch in seinen Geschichten, bisher in den beiden Auswahlbänden „Das Leben der Dichter“ und „Sweet Land Stories“ veröffentlicht, zeigt sich Doctorow als kritischer Beobachter des amerikanischen Alltags. Nun ist mit „Alle Zeit der Welt“ ein weiterer Sammelband mit zwölf Erzählungen erschienen, wobei sechs Geschichten bereits in den beiden Vorgängerbänden abgedruckt waren. Die anderen sind bisher unveröffentlicht.

Wie Doctorow in einem kurzen Wort selbst schreibt, sind die Geschichten breit gefächert, „sie spielen an den verschiedensten Orten von Amerika, von New York City bis zur Welt der Vororte, vom Süden und dem Mittleren Westen bis hin zur Westküste“. Jedoch unabhängig vom Handlungsort stehen meist Außenseiter der Gesellschaft im Mittelpunkt der Geschichten.

In der Auftaktgeschichte „Wakefield“ lässt ein Mann nach vierzehn Ehejahren seine normalen Lebensgewohnheiten hinter sich: in dem wohlhabenden Vorort, in dem er bisher lebte und ein angesehener Nachbar war, beginnt er eine Existenz als Bettler, der mithilfe von Diebstahl sein neues Leben fristet. In „Assimilierung“ wird der Tellerwäscher Ramon von seinem Chef zum Hilfskellner befördert. Doch die Sache hat einen Haken: Ramon soll eine Scheinehe eingehen.

In der grotesken Geschichte „Der Schriftsteller in der Familie“ ist der Vater des halbwüchsigen Jack verstorben. Der Mutter des Vaters, die in einem Altenheim lebt, wird dies allerdings verheimlicht, um dieser den Schock zu ersparen. Man erzählt ihr, dass ihr Sohn jetzt in Arizona wohnt. Doch die alte Dame will Post von ihrem Sohn, also muss Jack Briefe erfinden. Alltagsbeobachtungen des Ich-Erzählers prägen dagegen die abschließende Titelgeschichte „Alle Zeit der Welt“.

Die zwölf Erzählungen sind im Laufe vieler Jahre entstanden und repräsentieren so alle Schaffensphasen von E. L. Doctorow. Daher kommt auch der unterschiedliche Erzählstil: mal konventionell, mal experimentierfreudig. Aber alle zeigen den Autor als einen Meister der kurzen literarischen Form.

Titelbild

E. L. Doctorow: Alle Zeit der Welt. Storys.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gertraude Krueger.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013.
350 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783462045192

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