Beobachtungsgabe und ausgeprägtes Sprachgefühl

Der brasilianische Sprachvirtuose Zé do Rock eröffnet seine Terra Gaga

Von Katrin Anna ZiegastRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Anna Ziegast

Der brasilianische Sprachvirtuose Zé do Rock wird sich in wenigen Tagen dem literarischen Zirkel am Wörthersee vorstellen. Er kam schon in zahlreiche Länder – 113 an der Zahl. Jetzt hat es ihn also an den Wörthersee verschlagen.

Worte sind seine Sprache: Zé do Rock, geboren in Brasilien, in Porto Alegre. Erste Erfahrungen von Sprachverwirrung hat er schon in seiner Kindheit durchlebt. Im Süden Brasiliens kommt er in Kontakt mit der deutschen Sprache. Seine Vorfahren haben litauische, russische und deutsche Wurzeln. Es verschlägt ihn in die Region Deutschlands, die für ihre reine, hochdeutsche Aussprache bekannt ist. Der Freistaat Bayern.

Der Plan: das Chaos der babylonischen Sprachverwirrung hinter sich zu lassen. Wunschdenken? Nein. Wunschdeutsch. Oder in den Worten Zé do Rocks gesprochen: „Wie die Deutschen schreiben würden, wenn sie wüssten, dass sie so schreiben dürfen, wie sie schreiben wollen.“ Es ist ein flammendes Plädoyer für eine vereinfachte deutsche Schriftsprache: Schreiben wie man will! Das ist das Credo des Literaturshow-Performers. Ganz nebenbei entwirft er vier verschiedene Modelle der deutschen Schriftsprache: Ultradoitsh, Wunschdeutsch, Kauderdeutsch und Siegfriedisch. Die Rechtschreibung wird auf den Kopf gestellt und sämtliche Verkomplizierungen entschwinden in den Tiefen des überfüllten deutschsprachigen Wört(h)ersees.

In dreizehn Jahren um die Welt. Kauderdeutsch immer mit im Gepäck: „Ein multikulti und internationalisiertes Deutschmix for varius linguas.“ In „Fom winde verfeet“ stellt Zé do Rock sein literarisches Programm vor. Ein Modell für die Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung: Ultradeutsch. Die Großschreibung wird abgeschafft. Vereinheitlicht wird die Schreibweise von Silben, die gleich ausgesprochen werden. Buchstaben ohne Funktion verschwinden gänzlich. Das sieht dann so aus: filosof, nivo, alee.

Mag sich anfangs Befremden beim deutschen Leser einstellen, verfliegt das Gefühl nach wenigen Seiten, und schon sind wir im Zé-do-Rock-Modus. Das, was der „Shriftstella“ da entwirft, ist mehr als nur Sprachkritik. Das vordergründig als autobiografischer Reisebericht getarnte Werk entpuppt sich als Epos in Prosa. Gespickt mit intertextuellen Bezügen zur weltlichen Literaturgeschichte.

Worte sind seine und waren ihre Sprache: Ingeborg Bachmann. Die Namenspatronin des Wettlesens am See sah ihre Existenz in der Schrift verortet: „ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe.“ Das ist auch das Ziel von Zé do Rock. Auch wenn dafür mal eben in der eigenen autobiografischen seiens-fikschen ein berühmter Literaturkritiker Namens Marshel Rauch-Rampenliczki entführt werden muss und ein Ufo in der Küche landet.

In Bewegung zu sein, zu reisen und Menschen zu treffen, das heißt auch, sich mit Vorurteilen und Klischees auseinanderzusetzen. Zé do Rock gelingt es mit einem Augenzwinkern, auf verschiedene Lebensweisen und Sprachen zu blicken. In seinem 2009 erschienenen Roman „Jede Sekunde stirbt ein Nichtraucher. A Lexikon üba Vorurteile un andre Teile“ beweist der Autor nicht nur seine feine Beobachtungsgabe, sondern auch ein ausgeprägtes Sprachgefühl.

Und die Reise geht weiter. Die Terra Gaga will erobert werden. Around la planeta co Zé do Rock: Sechzig Länder stehen noch auf der Agenda des Paradiesvogels. Der Blog in vier Sprachen (portugiesisch, deutsch, englisch und europäisch) verfasst, hält die Reiseerlebnisse des „Shriftstella“ in Echtzeit fest. Ein Jahr dauert die Reise nun schon an. Jetzt legt er aber erst mal einen Zwischenstopp ein. Und vielleicht wird er mit Burkard Spinnen im Haus am See sitzen und über Sinn und Zweck eines Wettlesens sinnieren. In einer Terra Gaga ist alles möglich. Und Schröder liegt doch in Klagenfurt. Zumindest in diesen Tagen.

Dieser Text gehört zu einer Serie von Artikeln von Studierenden aus Duisburg-Essen zum Bachmannpreis 2013.