Deutsche Phantasmagorie

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An einem Oktobertag 1995 taucht in München ein seltsamer Fremder auf, der sich als Erster Sekretär Sämtlicher Jahweischen Dienste ausgibt. Mister Fulizer, wie er sich unter anderem nennt, soll die Stadt vor einem von allerhöchster Stelle angeordneten Anschlag bewahren. Voraussetzung dafür: Es lassen sich "sieben Gerechte" finden, die in dieser Stadt gelebt oder sich aufgehalten haben.

Um diese schicksalshafte Frage zu klären, versichert sich Fulizer der Mitarbeit des verkrachten Schriftstellers Hermann Kreutner. Er kennt die Geschichte und Geschichten der Stadt wie kaum ein anderer (jedenfalls behauptet er das). War zum Beispiel Franz Kafka einer dieser sieben Gerechten, als er im November 1916, auf Lesereise in München, durch Zufall Adolf Hitler im Café Heck am Hofgarten traf und beinahe auf ein anderes, das ganze Jahrhundert veränderndes Gleis gebracht hätte? Oder etwa der jüdische Kommerzienrat Jakob Lehmann, der im März 1933 von einem jungen Nazi auf offener Straße verhaftet und in dessen Wohnung verschleppt wurde?

Bei ihrer Tour de force durch München treffen Fulizer und Kreutner außerdem ein geheimnisvolles Mädchen und ihren im Jahr 1900 geborenen Urgroßvater, der Episoden aus den Tagen der Räterepublik zu erzählen weiß. Diese und andere Schicksale, die plötzlich ein Anonymus aus dem Internet auftischt, verbindet Kreutner zu einer immer eindringlicher, aber auch wilder werdenden Phantasmagorie, die die deutsche Geschichte in stets überraschenden Volten erzählt.

Bernhard Setzwein

Titelbild

Bernhard Setzwein: Das Buch der sieben Gerechten.
Haymon Verlag, Innsbruck 1999.
320 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3852182867

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