Heimweh nach Büchern

Gedichte und ein Sammelband zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Cees Nooteboom

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Vermisse ich Amsterdam, wenn ich, wie jetzt, weit weg bin? / Nein, Heimweh wirkt anders, es nimmt die Gestalt an von Büchern. / Nicht mein Haus vermisse ich, nicht das Zimmer, wohl aber das Buch in dem Zimmer“, schrieb Cees Nooteboom durchaus selbstcharakteristisch in dem Gedicht „Heimweh“, das in dem pünktlich zu seinem 80. Geburtstag erschienenen Band „Überall Licht“ enthalten ist.

In Zeiten des zusammenwachsenden Europas gewann das Werk des niederländischen Schriftstellers Cees Nooteboom rasant an Bedeutung. Der bekennende Kosmopolit mit Wohnsitzen in Amsterdam (nahe dem Zentralbahnhof) und auf Menorca (dort spielt sein schmaler Roman „Der Ritter ist gestorben“) räumt zwar ein, dass es schwierig sei, „sein Leben auf mehrere Länder und damit auch auf mehrere Sprachen zu verteilen“, doch künstlerisch ist ihm dies hervorragend gelungen. Für Nooteboom mischen sich beim Reisen und Erkunden fremder Schauplätze und Kulturen Passion und Profession.

In Deutschland erfreut sich Cees Nooteboom, der vor 80 Jahren in Den Haag geboren wurde, ausgesprochen großer Beliebtheit. Vor rund 20 Jahren setzte – wohl nicht zuletzt ausgelöst durch Marcel Reich-Ranickis lobenden Stoßseufzer („Dass die Niederländer so einen Schriftsteller haben.“) – ein wahrer Nooteboom-Boom ein. In den Niederlanden hingegen steht man dem Autor relativ distanziert gegenüber. Sein inzwischen verstorbener Schriftstellerkollege Harry Mulisch befand gar, dass er nur in Deutschland etwas gelte und in den Niederlanden mit seinen deutschen Verkaufszahlen geworben würde. Was so nicht stimmt, denn auch in den USA stoßen Nootebooms Werke auf ein durchweg positives Echo. Die „New York Times“ stellte ihn beispielsweise auf eine Stufe mit Vladimir Nabokov und Italo Calvino.

Dass Nooteboom in seiner Heimat auf eine vergleichsweise geringe Resonanz stößt, liegt vermutlich darin begründet, dass der Autor am allerwenigsten ein typisch niederländischer Schriftsteller ist und durch seine schon in jungen Jahren ausgeprägte Reiselust eher als literarischer Kosmopolit gilt. Schon im Teenager-Alter trampte er nach Belgien. Was dann folgte, war eine unendliche Reise – bis in die entlegensten Winkel aller Kontinente.

Trotz seiner großen internationalen Erfolge leidet Nooteboom an der weitgehenden Ignoranz seiner Landsleute: „Ich bin und bleibe ein niederländischer Schriftsteller, der auch im eigenen Sprachraum gewürdigt werden will.“

Dabei dürfen die niederländischen Leser für sich in Anspruch nehmen, dem Romancier Nooteboom (zumindest indirekt) in den literarischen Sattel geholfen zu haben. Viele Jahre lebte der Autor von seinen exzellenten Reiseberichten und betrieb die literarische Arbeit nur nebenher. Der Redakteur einer Zeitschrift, der Nooteboom immer wieder zu neuen Reisen animierte und die daraus entstandenen Artikel gut honorierte, dürfte aus heutiger Sicht großen Anteil an der „Geburt“ des großen Romanciers haben, der durch seine Reiseberichte die notwendige finanzielle Unabhängigkeit erlangte.

Jene ausgedehnten Reisen inspirierten schon seinen ersten Roman „Philip en de anderen“ (1955; deutsch: Das Paradies ist nebenan, 1958); der mit dem Anne-Frank-Preis (1957) ausgezeichnet und in den Schulkanon aufgenommen wurde. „Während jener Reise erlebte ich eine erste Konfrontation mit dem anderen, eine Konfrontation, die ich für den Rest meines Lebens unaufhörlich weiter suchen sollte. Auf dieser Reise muss sie begonnen haben, die Sucht, die mich nie mehr loslassen sollte,“ schrieb Nooteboom in seinem 2008 erschienenen Geschichtenband „Roter Regen“ (wie alle übrigen Werke bei Suhrkamp erschienen). Erinnerungen mit märchenhaftem Anstrich und ausdrucksstarke Reiseskizzen (er erzählt anschaulich vom roten Regen, der auf Menorca fällt) stehen in diesem poetischen Band nebeneinander.

Etwas melancholisch und mit einer Portion Altersschwermut untermalt klang es, als Nooteboom vor einigen Jahren über eine Alltagsbegebenheit berichtete: „Ich bin jetzt 74. Das erste Mal, als mir das schlagartig bewusst wurde, war der Moment, als ein attraktives Mädchen vor mir in der Straßenbahn aufstand. Ich verstand nicht, was sie wollte und als ich es verstanden hatte, setzte ich mich, um ihr den Gefallen zu tun, aber glücklich war ich nicht.“

Der Verfasser der bedeutenden Romane „Allerseelen“, „Rituale“ „Der Ritter ist gestorben“ und „Paradies verloren“, der einst glühende Verfechter der Europäischen Union, neigt inzwischen zum Skeptizismus. Seine Stimme ist dunkler geworden, in seinen Gedichten ist auffallend oft vom Tod die Rede, und die Zukunft Europas schätzt er arg pessimistisch ein: „Es ist, als ob ein neuer Krieg ausgebrochen sei, wenn man bestimmte Zeitungen liest, ein Krieg gegen den Süden. Ich denke, das könnte sehr gefährlich werden.“

Titelbild

Cees Nooteboom: Licht überall. Gedichte.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Ard Posthuma.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
106 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423912

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