City in progress

Ein beeindruckender Fotoband zeigt die Entstehung der Großstadt Köln

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Entwicklung der urbanen Ballungsräume ist in der Theorie bereits ein ungemein gewaltiges Projekt und eigentlich unglaubwürdiges Phänomen: Binnen weniger Jahrzehnte, teilweise auch Jahre werden aus verschlafenen kleinen Orten riesige Ballungsräume. Der jährliche Zuwachs und das heißt vor allem die jährliche Zuwanderung an Menschen ist so immens, dass es kaum wundern kann, dass weniger städtische Raumplanung als urbaner Wildwuchs, der von unterschiedlichen Interessengruppen vorangetrieben wird, die Entwicklung bestimmt.

Im Grunde genommen ist die Industrialisierung Europas und damit die Urbanisierung ein Vorgang, der exemplarisch und zugleich höchst lehrreich für heutige urbane Ballungsräume ist. All die Probleme, die täglich aus den Suburbs, den Favelas, den Slums und Ghettos der Schwellenländer nach Europa schwappen, gehören hier zum Erfahrungsschatz, von dem neuere Mega-Cities immer noch zehren können.

Nun wird man dagegen einwenden, dass Köln zwar die größte deutsche Stadt im Mittelalter war, an Bedeutung jedoch heute hinter Berlin, Hamburg oder München zurückgefallen ist (darüber ließe sich immerhin sprechen). Und vor allem: Das alte Köln ist beeindruckend klein. Der innere Ring ist fußläufig in gut zwanzig Minuten durchquert (vom Hauptbahnhof bis zum Rudolfplatz gibt Google 22 Minuten an), ein Areal immerhin, in dem noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts Landwirtschaft getrieben wurde. Zum Zeitpunkt, zu dem der alte Festungsring geschleift wurde (1881), lebten schließlich rund 36.000 Menschen auf jedem Quadratkilometer der alten Innenstadt, ein Wert, der heute (auf die ganze Stadt bezogen) nur noch von Kairo erreicht werde. 145.000 Einwohner zählte die Stadt zu diesem Zeitpunkt, und war damit schon mehr als dreimal so groß wie zum Beginn der preußischen Herrschaft in den Rheinlanden. Mit der Niederlegung der mittelalterlichen Mauern, deren Reste hie und da in der Stadt, an den inneren Ringen vor allem an den Plätzen zu bestaunen sind, überwand die Stadt auch noch dieses Wachstumshindernis.

Im Jahr 1914 war die Einwohnerzahl dann bereits explodiert: 643.000 Menschen lebten in der Stadt – naheliegender Weise nicht nur im engeren Altstadtbereich, sondern auch in den angrenzenden Orten, die nunmehr zu eingemeindeten Vierteln wurden. Ja, auch in Köln fuhr man früher nach Ehrenfeld aufs Land. In den zwanziger Jahren war die Stadt nach Berlin und Hamburg und knapp vor München die drittgrößte Stadt des Reiches und die weitläufigste.

All diese Informationen über eine beeindruckende Stadtgeschichte, die den Namen Köln trägt, finden sich in dem von Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer im Greven Verlag, Köln, vorgelegten Band mit Fotografien zur Stadt Köln aus den Jahren 1880 bis 1940. Beide, Texte und Fotos, die sich in diesem Band finden, erzählen Geschichten, die gewaltig sind, großartig und beeindruckend. Und das hat seinen guten Grund.

Das Interesse für die mittleren Metropolen (ein Kompositum, das nur wegen der Alliteration existiert) wächst anscheinend in den letzten Jahren, Köln, Hamburg, München, aber auch das Ruhrgebiet sind hier die auffälligsten Konglomerate, wobei Köln für den Rheinländer wahrscheinlich augenfälliger ist als die beiden anderen nördlichen und südlichen Metropolen. Parallel zur jüngst erschienenen Geschichte Kölns zwischen 1813 und 1880 (von Jürgen Herres verfasst, siehe literaturkritik.de), ist der von Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer betreute Fotoband erschienen – ein Anschlussprojekt, das bereits jetzt sichtbar macht, was der noch folgende Band der Kölner Stadtgeschichte intensiv behandeln wird. Und der vor allem zeigt, dass die Stadt mit der Vollendung des Doms noch nicht fertig war.

Die Stadt profitiert von ihrer Lage und davon, dass sie einer der Hauptorte des sogenannten rheinischen Kapitalismus ist, und damit Schauplatz eines überaus agilen Geschäftssinns, mit dem es die Stadt verstand, sich nicht nur in Preußen zu behaupten. Es ist nicht allein der Dom, der für die Stadt steht – auch wenn er auf den Stadtansichten ab 1880 das dominante Wahrzeichen ist –, und Köln ist auch nicht nur das Portal zum romantischen Rhein, als das es noch heute in der Werbung gilt. Und über den Karneval darf man ebensowenig spotten, wie man über den Klüngel rechten darf.

Der Rhein, die Häfen, die Brücken, die Nähe zu den großen Seehäfen in den Niederlanden und in Belgien – Köln ist Schnittstelle und Umschlagplatz zwischen Ost und West wie Nord und Süd. Und die Stadt geht mit diesem Umstand auf ihre Weise um.

Und all das ist auf den zahlreichen Fotografien zu sehen, die Matz und Vollmer in den Mittelpunkt dieses beeindruckenden Bandes stellen. Köln ist eine Stadt, die sich neu entwirft und dabei Großartiges zustande bringt. „Der Blick über den Salierring zum Sachsenring“ aus dem Jahr 1886, der heute von einer engen Bebauung und dem stetig fließenden Verkehr bestimmt wird – auf dem historischen Foto ist nur eine erschlossene Landschaft zu sehen, links begrenzt vom Pantaleonsstor, das 1894 abgetragen wurde. Der Friesenplatz – macht auf dem Foto den Eindruck eines Potemkinschen Dorfes – links städtische Bebauung, rechts unbebaute Fläche. Die gotischen Erker, die noch auf den Fotos um 1900 zu sehen sind, verschwinden rasch und fast vollständig. Der Bau des Hauptbahnhofs vor dem Dom – irgendwann muss jemand ihn geplant und umgesetzt haben. Die Fotos des Bandes zeigen eine frühe Großbaustelle, die nicht minder beeindruckend ist als das, was man heute sehen kann. Dem stehen die späteren Bauwerke und Fotos nicht nach: Die Deutzer Schiffsbrücke, die noch für jede Durchfahrt geöffnet werden musste – ein Anachronismus – verschwindet. Die Hohenzollernbrücke, die Mühlheimer Brücke – moderne Bauwerke, die die Stadt für den Zustrom vom Umland öffnen.

Die Bastei – 1922 auf einer preußischen Wehranlage erbaut – deutlicher könnte der Sieg der Moderne in Köln nicht sein, auch wenn die Stadt in ihrem Kern niemals weitläufig geworden ist. Die Ford-Werke gehen in den 1920er-Jahren nach Köln, die Fotos des Bandes zeigen ein modernes Werk. Selbst die Fotos aus dem „Dritten Reich“ zeigen – neben den notwendigen Braunhemden – eben auch eine moderne, urbane Kultur, fotografiert von Hugo Schmölz oder Benno Wundshammer. Diese Stadt ist so widersprüchlich wie vital und vor allem in der Lage, sich immer neu zu erfinden. Auch nach dem Krieg, der sie zum größten Teil zerstört zurückließ. Köln nach 1945 würde völlig anders werden als Köln bis 1940 war – und würde sich doch treu bleiben, wenn man das sagen darf.

Titelbild

Wolfgang Vollmer / Reinhard Matz: Köln vor dem Krieg. Leben - Kultur - Stadt 1880 - 1940.
Greven Verlag, Köln 2012.
384 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783774304826

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