Verdienen wird groß geschrieben

Über Anna Kinders Studie „Geldströme. Ökonomie im Romanwerk Thomas Manns“

Von Frank WeiherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Weiher und Miriam AlbrachtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Albracht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In ihrer Dissertationsschrift unternimmt Anna Kinder den Versuch, das ökonomische Wissen der Romane Thomas Manns herauszuarbeiten, indem sie „die ökonomischen (geldbezogenen) Denkmuster und Wahrnehmungsweisen in den Texten zu identifizieren und vor ihrem wirtschaftswissenschaftlichen Wissenskontext zu profilieren“ anstrebt. Es geht ihr hierbei nicht nur darum, die „Geld-Quellen“ der Romane herauszuarbeiten, sondern auch darum, das „ökonomische[] Potential“, sprich: die „Gelddiskurse“ aufzuzeigen, die die Romane transportieren.

Zunächst wird die motivische Ebene der Geldmetaphorik konzise und klar entwickelt, indem sie die „Verbindung von Geld, Bewegung und Liquidität“ aufzeigt. Anna Kinders Stil zeichnet sich hierbei durch äußerste Präzision und Treffsicherheit aus, was umso erwähnenswerter ist, steht sie doch damit deutlich der Tendenz entgegen, den wissenschaftlichen Text auf Kosten von Lesbarkeit und Stringenz unnötig zu verklausulieren. Kinder macht durch ihre textnahe Analyse überzeugend deutlich, dass die Reichtum generierenden „Geldströme“ das Gesamtwerk Thomas Manns von den „Buddenbrooks“ bis zum „Felix Krull“ de facto wie metaphorisch durchziehen.

So arbeitet Kinder die Geldmetaphorik in den untersuchten Romanen sauber, stimmig und umfassend heraus. Für „Buddenbrooks“ und „Königliche Hoheit“ betont sie zunächst richtig die „Engführung von ökonomischen und psychischen Prozessen.“ Wenn sie aber zu ersterem konstatiert, der „Verfall einer Familie“ manifestiere sich dabei „am sichtbarsten in deren finanziellem Niedergang“, wird die Argumentation problematisch. Zwar steht es außer Frage, dass es finanziell mit der Kaufmannsfamilie bergab geht. Dennoch verfügt die Familie auch am Ende des Romans über ein beachtliches Kapital, was nach dem Ökonomen Birger Priddat sogar für die Weiterführung der Firma genügen würde (vgl. Birger Priddat: Über das Scheitern der Familie, nicht des Kapitalismus. Neue Einsichten in die ökonomischen Aspekte in Thomas Manns „Buddenbrooks“. In: Thomas Mann Jahrbuch 25 (2012), S. 259 – 273, S. 269), jedoch sind schlicht alle männlichen Familienmitglieder tot oder im „Irrenhaus“ und somit ist eine Weiterführung der Geschäfte nicht möglich. Insgesamt betrachtet sind die kaufmännischen Misserfolge der Protagonisten eben nur ein Aspekt eines generellen Scheiterns am Leben. Ja der finanzielle Niedergang steht sogar im Schatten viel umfassenderer degenerativer Niedergangssymptome, wie etwa Krankheit und Tod.

An diesem Beispiel zeigt sich exemplarisch eine Schwäche der Dissertation: Die Fokussierung auf die Geldthematik wird für die vorgenommene Gesamtdeutung der Romane mitunter überschätzt und wirkt in manchen Fällen forciert. Auch der vollzogene Schritt vom Geld zur Ökonomie, der sich bei Thomas Mann allerdings auch nur schwer nachweisen lässt, gelingt nicht ohne Weiteres. Wenn Kinder konstatiert, die behandelten Romane seien Thomas Manns „große Geldromane“, so schießt dies merklich übers Ziel hinaus.

Für die Untersuchung der „Josephs-Tetralogie“ geht Kinders Rechnung allerdings noch weitestgehend auf. In diesen Kapiteln glänzt die Autorin, indem sie die Strommetaphern, die Geld- und Goldströme, die Liquidität des Nils wie der Waren untersucht, den Strom vom Brunnen, in dem das Wasser lediglich steht, abhebt, Jaakobs Dienst bei Laban mit der geldbringenden Unterwelt gleichsetzt, die goldglänzenden Städte Ägyptens und ihren Zustrom von Menschen, Waren und Gold analysiert und in Joseph einen Gewinn und Reichtum bringenden Hermes erkennt. Und man merkt der Dissertation in diesen Kapiteln an, dass von hier her der Untersuchungsansatz rührt, das Gesamtwerk Manns in Bezug auf seine Geldstrommetaphorik hin zu untersuchen.

Diese Ausweitung geht jedoch nicht in Gänze auf. Konsequent fiel der „Doktor Faustus“ ohnehin schon aus dem untersuchten Rahmen, was von Kinder leider nicht kommentiert wird. Wir wissen, dass Leverkühn wohl von bescheidenen Mitteln leben muss, der Biografie des beurlaubten Professors Nietzsche auch hierin verwandt. Für den „Zauberberg“ gilt Ähnliches. Zwar reden Naphta und Settembrini, die ja ohnehin über alles reden, auch über Geld und mittelalterliche Zinspolitik, dies macht aber aus dem „Zauberberg“ mitnichten einen „Geldroman“. Ein Aussparen auch dieses Werks wäre somit letztlich ratsam gewesen. Wenn es bei Thomas Mann um Leben und Tod, Schuld und Sühne geht, geht es auffälliger Weise und im Gegensatz zu Autoren wie Shakespeare, Flaubert, Dostojewski, Hugo von Hofmannsthal und Heinrich Heine dann eben doch nicht mehr ums Geld.

So erschöpft sich Josephs viel beschworener Doppelsegen auch nicht in seiner Rolle als homo oeconomicus und Felix Krulls Existenz entspricht nicht völlig der des „referenzlosen Geldzeichens“. Wenn Kinder anführt „Felix erhält seinen Wert durch den Kredit, den ihm die Leute geben, nicht durch den Bezug auf eine tatsächlich vorhandene Substanz“, wird außer Acht gelassen, dass Felix’ Existenz mitnichten substanz- und referenzlos ist, sondern seine Konstitution als Freude spendendes „Sonntagskind“ ausschlaggebend ist für seinen gesellschaftlichen Aufstieg. So ist seine einnehmende Art, die sich in physischer Attraktivität und galanter Gewandtheit ausdrückt, Gabe der Natur, die er als Referenz aufzuweisen hat. Dies zeigt sich etwa an der Einschätzung der Prostituierten Rozsa, die den Mittellosen unter großem Lustgewinn gewähren lässt.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Anna Kinder die Geld-Thematik für die behandelten Romane umfassend und überzeugend darstellt und hiermit den Standard für künftige Abhandlungen zu diesem Thema setzt – auch wenn ihr der Schritt vom Geld und der Geldmetaphorik zum gesamtökonomischen Diskurs nur bedingt gelingt.

Titelbild

Anna Kinder: Geldströme. Ökonomie im Romanwerk Thomas Manns.
De Gruyter, Berlin 2013.
250 Seiten, 79,95 EUR.
ISBN-13: 9783110288490

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch