Nackte Brust am Strand

Sara Johnsens Roman „White Man“ erzählt die mitreißende Geschichte eines Verbrechens im Urlaubsparadies

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sara Johnsen kann erzählen. Noch besser: sie kann spannend erzählen und lässt den Leser von Anfang an keinen Moment darüber im Unklaren, das da etwas auf ihn zukommt. Auch wenn dieser zunächst noch nicht recht weiß, wo die Reise hingehen wird, die Johnsen ihre (anfänglichen) Protagonisten Thomas und Cathrine in ihrem Roman „White Man“ unternehmen lässt. Jedenfalls geht es weit weg in die Ferne, womit schon das Thema genannt ist, das nahezu leitmotivisch über den Handlungen aller Charaktere des Romans schwebt. Dies sind einerseits die Touristen, die ihre kalten Heimatländer für kurze Zeit verlassen, um in der Karibik auszuspannen, andererseits die Menschen, die auf der sonnenbeschienenen Insel leben, wobei Johnsen die Unterschiede vor und hinter den Mauern der Ferienanwesen so entfaltet, wie ihre Figuren die verschiedenen Welten erleben. In diesem geteilten Blick liegt die Stärke des Romans, der zwischen Eigenem und Fremdem wechselt, und nur in einem Punkt alle Figuren gleich werden lässt: dann, wenn sie plötzlich vollkommen nackt erscheinen, voraussetzungs- wie heimatlos und nur noch als Menschen, die wissen, dass es aus dieser einen Situation kein Zurück mehr gibt, egal wie viele Kilometer sie hinter sich und das Ereignis auch bringen werden.

Johnsens Urlaubsreisende werden dabei zu Hauptakteuren eines Verbrechens, das gleichsam aus der Möglichkeit des Augenblicks wie aus der Enttäuschung eines ganzen Lebens resultiert. Es lässt sich also ausmachen, welche der Figuren die schwelende Gewalt entfesselt hat, aber keineswegs kann ohne Zweifel behauptet werden, es gäbe für all das nur einen Schuldigen. Die Erzählung wird gerade in den leisen Momenten des Dazwischen am Besten, wo sich einstellt, was mehr ist als bloß ein schlechter Beigeschmack, sondern eher grundlegende Zweifel daran aufkommen, ob richtig ist, wonach wir handeln und wie wir gewohnheitsmäßig die Orte betrachten, an denen wir nicht leben. Funktionierende Fluchtwege aus dem vermeintlichen Urlaubsparadies bietet Johnsen weder ihren Figuren noch ihren Lesern an, allerdings die Möglichkeit, uns schon während der Lektüre von „White Man“ die Frage zu stellen, was wir ahnten, als wir es noch nicht wissen konnten, und woher diese Vorstellungen eigentlich kommen, die uns glauben lassen, wir hätten eine Ahnung vom Ende der Geschichte.

Titelbild

Sara Johnsen: White Man. Roman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein.
Mare Verlag, Hamburg 2013.
320 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783866481411

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