Ein Kanake wird salonfähig

Tom Cheesman und Karin E. Yesilada widmen Feridun Zaimoglu eine Sammlung literaturwissenschaftlicher Texte

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Längst ist Feridun Zaimoglu einer der anerkanntesten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur. Die neue Reihe Contemporary German Writers and Filmmakers, des Centre for Research into Contemporary German Culture der Universität Swansea macht ihn zum Thema des ersten Bandes. Tom Cheesman und Karin E. Yesilada haben neben einem Interview mit dem Autor verschiedene Beiträge von Wissenschaftlern zu den Kernthemen seines Werkes und das bisher unveröffentlichte erste Kapitel von Zaimoglus Erfolgsroman „Leyla“ inklusive Kommentar und Übersetzung ins Englische zusammengetragen.

Ausgangspunkt der ambitionierten Reihe sind die fortschreitenden, dynamischen Entwicklungen innerhalb der deutschen Kultur seit der Wiedervereinigung 1990, die zunehmende ethnische Vielfalt sowie die wachsende internationale Anerkennung deutscher Schriftsteller. Die englischsprachigen Bände sollen Lesern Hintergrundinformationen bieten und bei Spezialisten und Studenten eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung anstoßen.

Feridun Zaimoglu, 1964 in der Türkei geboren, aber bereits ein Jahr später mit den Eltern nach Deutschland gezogen, lebt seit 1985 in Kiel, wo er nach abgebrochenem Medizin- und Kunststudium als freier Schriftsteller arbeitet. Auch wenn er als Journalist, bildender Künstler und Dramaturg tätig ist, so liegt seine Stärke in der Prosa.

In seinen Werken „Kanak Sprak“ (1995) und „Koppstoff“ (1998) macht er die „Misstöne vom Rande der Gesellschaft“ lesbar und wird zum Sprachrohr junger türkischstämmiger Männer und Frauen der zweiten Generation, die weder den alltäglichen Rassismus und die Xenophobie in Deutschland ertragen, noch ihre Energie mit Protesten dagegen verschwenden wollen. Für die künstlerische Auseinandersetzung, dem romantischen Multikulturalismus eine reale Fratze zu schneiden, die ihn ein Jahrzehnt umtreibt, erhält Zaimoglu 2005 den Adelbert-von-Chamisso-Preis.

Gleich zwei Beiträge beschäftigen sich mit der „Wortgewalt“ der Kanaken, den Männern, die sich in „Kanak Sprak“ selbst zum „insektenschiss“ degradieren, und den „Starkfrauen“ aus „Koppstoff“. Die linguistische Rebellion des Autors, der harte Worte für harte Zeiten liefert, lässt wissenschaftlich fundierte Deutungen und Erklärungen der neologistischen Hip-Hop-Texte aus dem Ghetto zur Verständnishilfe werden. Die englischen Übersetzungen vieler Textbeispiele können Normdeutsch gewöhnten Lesern eine zusätzliche Hilfe oder Anregung sein.

Tom Cheesmans Beitrag gilt dem Dreiakter „Nathan Messias“, in dem Zaimoglu zusammen mit Günter Senkel muslimische Gedanken in die deutsche Poesie einbringt. Zaimoglu wehrt sich gegen jegliches autoritäres Dogma, also auch gegen die eurozentristische, modernistische Säkularisierungstheorie. Eine lebendige Frömmigkeit als Herzensgefühl oder aber ein Volksglaube wie in „Hinterland“ entsprechen eher seinem Religionsverständnis.

Karin E. Yeşilada forscht und schreibt über den Islam und Islamisten in Zaimoglus Werk, den „Muslim Turn“, den sie ihm nach dem „Turkish Turn“ zubilligt. Mit ‚Gottes Krieger‘ in „Zwölf Gramm Glück“ war Zaimoglu der erste deutsche Autor, der die islamistische Terrorszene von innen porträtierte und einen Schläfer als literarische Figur präsentierte, aber auch in vielen anderen Werken nimmt der Teilnehmer an der ersten Deutschen Islam Konferenz 2006 Stellung zur Rolle des Islam in der deutschen Gesellschaft.

Einem seiner erfolgreichsten Romane sind wiederum zwei Beiträge gewidmet. „Leyla“ ist eine Gastarbeitergeschichte in der Zaimoglu das Bild der leidenden Frau eines Gastarbeiters oder einer Gastarbeiterin durchbricht. Grundlage ist die Lebensgeschichte seiner Mutter. Die Ähnlichkeiten mit Emine Sevgi Özdamars Roman „Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“ führten zu Plagiatsvorwürfen in den Feuilletons der großen Zeitungen. Yasemin Dayioğlu-Yücel vergleicht Textauszüge beider Romane und sieht den Plagiatsstreit als Grundsatzfrage literarischen Schaffens der Debatte:  geistiges Eigentum versus kulturelles Kapital, nicht als Problem der Migrantenliteratur.

In  „Rom intensiv: Mein Jahr in der Ewigen Stadt“ tritt der muslimisch-deutsche Schriftsteller mit türkischem Hintergrund als Flâneur in die Fußstapfen nicht-muslimischer deutscher Schriftsteller und erlebt den Mythos Rom. Er ist in doppelter Hinsicht ein ethnischer Außenseiter, er setzt sich nicht nur von den früheren nicht-muslimischen deutschen Autoren ab, sondern sieht in der Ewigen Stadt auch nicht-christliche ethnische Räume.

Mit dem Roman „Liebesbrand“ (2008) wird Zaimoglu, der sich stets lieber als deutscher denn als Migranten-Autor sieht, für Margaret Littler zum deutschen Romantiker. Michael Hofmann bestätigt diese Entwicklung, empfindet aber bereits „Kanak Sprak“ als eine romantische Rebellion, das Auflehnen nicht nur gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft, sondern auch gegen die eigenen Eltern und die ganze erste Migrantengeneration. Dieser romantische rote Faden zieht sich bis zur schwarzen Romantik der Ruhrregion in „Ruß“ durch das Werk. Fantasie, bedingungslose Liebe und ein Glaube des Herzens stellt Zaimoglu der Vernunft  und dem Primat des ökonomischen Denkens entgegen.

Der abschließende Beitrag von Günter Senkel, der mit Zaimoglu mehrere Drehbücher und Theaterstücke geschrieben hat, sollte das Recherchieren und Arbeiten des Autors illustrieren, ist aber zu einer sehr menschlich-privaten Reisebeschreibung geworden. Ähnlich wie bei seinen Interviewantworten erkennt man dabei den divenhaften, exzentrischen Künstler, für den Selbstbewusstsein und Provokation die Quellen seines Schaffens sind.

Die zehn Beiträge und das Interview sind durch zahlreiche Verweise ausgezeichnet miteinander verbunden und ergeben einen sehr fundierten, wissenschaftlichen Überblick über das bisherige literarische Schaffen Feridun Zaimoglus. Alle Autoren ziehen gemeinsam an einem fachlichen Strang. Wer Grundlegendes, den aktuellen Forschungsstand oder Sekundärliteratur zum Autor und seinem Werk sucht, der wird hier mehr als fündig werden.

Titelbild

Tom Cheesman / Karin E. Yesilada (Hg.): Feridun Zaimoglu.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
275 Seiten, 56,20 EUR.
ISBN-13: 9783034308694

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