Schwedische Kost

Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt liefern in „Die Toten, die niemand vermisst“ genau das, was man von guten schwedischen Krimis erwartet

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Rezept, nach dem Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt „Die Toten, die niemand vermisst“ geschrieben haben, ist nichts für Anfänger – und Anfänger sind die beiden mal wieder gehypten Schwedenkrimi-Autoren sicherlich nicht.

Man nehme einen Auftakt, der jeden mit Normalaufmerksamkeit beschlagenen Krimileser spontan überfordert. Dann hat er im weiteren vor allem damit zu tun, sich die vielen Namen und Handlungsstränge zu merken, die anerzählt werden, und darüber nachzudenken, was wie zusammenhängt. Dazu braucht es am Anfang eine Kaskade von knappen Abschnitten, in denen jeweils ein anderes Thema und eine andere Handlungslinie aufgenommen wird. Und davon hat „Die Toten, die niemand vermisst“ eine ganze Reihe.

Die meisten Themen konzentrieren sich auf das Ermittlerteam: Ein Team-Leiter, der ein Verhältnis mit der Tatortsachverständigen hat. Die wiederum muss gerade die Trennung vom Mann, der sie verlassen hat, verarbeiten – will es aber keinem erzählen. Eine Ermittlerin, die zum FBI will und ein problematisches Verhältnis zum Vater hat. Ein Psychologe (genial, versteht sich), der jede Frau in seiner Umgebung flachlegt, aber ein Sozialidiot ist. Außerdem ist er – geheim – der wirkliche (leibliche) Vater der jungen Kollegin mit FBI-Ambitionen. Ein weiterer Ermittler, der sich in die zweite Reihe versetzt sieht. Und dessen Freundin ihm vorschlägt, zusammenzuziehen (ist er schon so weit? Passt das in sein Lebenskonzept?). Eine neue Kollegin, die ihre Chance wittert (sie soll die FBI-Ambitionierte ersetzen).

Und dann natürlich die Mörderin und ihre Opfer zum Auftakt, der Fund der Leichen Jahre später und die Aufregung der Auftraggeber, die nicht wollen, dass die Hintergründe ans Tageslicht kommen. Dass es sich dabei um merkwürdiges Zeug handelt, wird daran erkennbar, dass noch eine weitere Handlungslinie eingeführt wird, die nach allem, was man denken kann, wohl den Hintergrund für all diese Geschehnisse abgeben soll: Eine afghanische Exilantin kann einen Fernsehreporter dafür interessieren, dass ihr Mann vor Jahren gemeinsam mit einem Freund verschwunden ist, und sich offensichtlich niemand darüber zu wundern schien. Die Ermittlungen wurden jedenfalls eingestellt.

Geheimdienstthriller und polizeilicher Ermittlungsroman gemixt mit einem Haufen privater Ermittlerinterna? Das ist eine Menge, und wenn man das gleich zu Beginn aufgetischt bekommt, kann man schon mal ein bisschen ins Sortieren kommen. Mit der Zeit aber gibt sich das Ganze und man kommt recht schnell rein in das Geschehen – denn da Hjorth und Rosenfeldt keinen Hehl aus den Hintergründen machen, konzentriert sich das Interesse auf zwei Themen: Wie hängt alles zusammen? Und: Was machen die Ermittler denn so miteinander?

Thema zwei scheint in den letzten Jahren rasant an Bedeutung gewonnen zu haben. Nachdem die Ermittler als Gegenfiguren zu den Tätern aufgewertet wurden und an Profil gewonnen haben, sind ihre seelischen Deformationen (die wir nicht mehr nur von außen betrachten, Säufer, Ehe kaputt, finanziell am Ende) und privaten Vorlieben immer mehr in den Mittelpunkt der Erzählungen gerückt.

Wer schläft mit wem? Wer leidet worunter? Was ist im Kühlschrank, wenn man nachhause kommt und keiner wartet? Musik- und Autovorlieben sind alter Standard, aber die Wohnung (die nicht mehr nur vollgemüllt ist, was Ausdruck der a-sozialen Persönlichkeit des Ermittlers ist) darf immer größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wenn das verlängerte Wohnzimmer eben nicht mehr nur in der Eckkneipe ist, sondern die Leute wirklich nachhause gehen, soll man schon schauen, wie sie wohnen (wenn Polizisten wirklich wie andere Menschen sind).

Das aber ist das eigentliche Mysteriöse der jüngeren Krimientwicklung: das Interesse an der Privatseite der Repräsentanten auf der Suche nach der Wahrheit. Verstehen wir die Ermittler als stellvertretende hermeneutische Instanzen, dann müsste ihr privates Profil hinter ihr professionelles zurücktreten. In den älteren Konzepten sind Instanz und Person eins, auch wenn sie, einer in den letzten Jahren vertretenen These folgend, das Zerfallsprodukt des empathischen Raums der bürgerlichen Familie sind. In den neueren haben sie immer häufiger ein Privatleben, das dann gern mit dem professionellen kurzgeschlossen wird. Eben nicht als Identifizierung, sondern als Umkehrung: Der Ermittler wird Opfer, der Privatmensch ermittelt in eigener Sache und so weiter.

Die eigentliche Ermittlung rückt dabei immer mehr in den Hintergrund, sodass die Frage ist, ob es sich bei diesen Romanen überhaupt um Krimis handelt. Vor allem, dann nämlich, wenn das zu ermittelnde Geschehen nicht als Produkt angestrengter Bemühungen rekonstruiert wird, sondern von den Beteiligten am besten noch den Ermittlern oder neuen Opfern (und damit den Lesern) erzählt wird. Das wiederum ist ein lange bekanntes Muster, nur eben nicht als Erfolg des väterlichen Kommissars, sondern als Abkürzung in Sachen Ermittlungserfolg.

Titelbild

Hjorth & Rosenfeldt: Die Toten, die niemand vermisst. Ein Fall für Sebastian Bergman. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013.
620 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783499267017

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