Ein denkwürdiges Verfahren

Zu Devin O. Pendas Studie über den Auschwitz-Prozess

Von Wolfgang HaanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Haan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Dezember 2013 jährt sich der Beginn des „Auschwitz-Prozesses“ zum 50. Mal. Im Vorfeld dieses bedeutenden Jahrestages erscheint im Siedler-Verlag eine historisch-juristische Aufarbeitung dieses Weltereignisses mit dem schlichten Titel „Der Auschwitz-Prozess – Völkermord vor Gericht“. Autor ist der amerikanische Professor für Geschichte Devin O. Pendas. Doch hinter der vermeintlichen Bescheidenheit des Titels verbirgt sich ein hochkarätiges, vielschichtiges und populär-wissenschaftliches Sachbuch, welches der Frage nachgeht: „Welche rechtlichen, politischen und kulturellen Probleme, welche Konsequenzen ergaben sich aus der Tatsache, dass der Völkermord als Teil der eigenen Geschichte vor Gericht nach nationalem Recht verhandelt wurde?“

Auch eine Chronologie – aber nicht nur

Zunächst erwartet der Leser einer Geschichte eines Gerichtsverfahrens natürlich, dass ihm geschildert wird, wie der Prozess zustande kam, welchen Zeitraum er in Anspruch nahm und wann er endete. Welche Personen nahmen teil? Was sagten Zeugen, Rechts- und Staatsanwälte, Richter und Gutachter? Und: welche Urteile wurden verhängt? Bei so einem geschichtlich bedeutenden Verfahren wie dem Auschwitz-Prozess interessiert natürlich auch noch, was damals die Öffentlichkeit dachte und wie heute retrospektiv die Wirkung auf Gesellschaft und Politik zu betrachten ist. All das behandelt Devin O. Pendas kompetent, ausführlich und verständlich. Selbstverständlich werden auch für den Prozess wichtige Zeugenaussagen und Statements der Anwälte und Angeklagten wiedergegeben bis hin zu Zitaten aus den Urteilsbegründungen.

Doch dann geht er weit über diese Schilderung hinaus. Eingebettet in diese Chronologie nimmt er sich juristischer Probleme an, die entstehen, wenn man Völkermord nach Deutschem Recht, und nicht nach Internationalem Recht, verhandeln muss. Dies beginnt schon damit, dass es im Deutschen Strafgesetzbuch keine „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gibt – der Hauptverfahrensbestandteil in den Nürnberger NS-Prozessen. Und dieses „nachträglich“ in das Deutsche Recht einzuführen, verbietet die Deutsche Verfassung, Artikel 103.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, festzustellen, inwieweit unser Rechtsdenken und unsere Vorstellungen von Mord und Schuld vom amerikanischen Rechtssystem geprägt sind und welches sich erheblich von den juristischen Tatsachen unterscheidet. Dessen ist sich Pendas offensichtlich bewusst und geht bei den Begriffsdefinitionen von Mord und Totschlag, Täter und Gehilfe, Schuld und Ursache sehr ausführlich auf die Unterschiede zwischen Deutschem und Amerikanischem Rechtssystem ein. Ohne diese ausführlichen Erklärungen kann man den Auschwitz-Prozess und die gefällten Urteile nicht verstehen. Neben solch grundsätzlichen Paragraphen erklärt er auch ausführlich und verständlich juristische Begrifflichkeiten wie beispielsweise den Unterschied zwischen „Zeuge sein“ und „Zeugnis geben“. Selten wurden juristische Begrifflichkeiten so präzise und verständlich erklärt ohne zu ermüden.

So entstand ein in seiner Konstellation einzigartiges Buch, welches sich auf außergewöhnlicher Art und Weise der Aufarbeitung eines juristischen Verfahrens und gleichzeitig seiner Wirkung auf Politik und Öffentlichkeit bis heute widmet.

Titelbild

Devin O. Pendas: Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht.
Übersetzt aus dem Englischen von Klaus Binder.
Siedler Verlag, München 2013.
450 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783827500076

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