It’s a bug’s life

Rawi Hage zeichnet in „Kakerlake“ ein eindringliches Charakterporträt eines zum Scheitern verurteilten Immigrantenlebens in Kanada

Von Peter MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rawi Hage wurde für seinen düsteren Erstling „Als ob es kein Morgen gäbe“ (Originaltitel: „De Niro’s Game“) nicht nur für den Internationalen Literaturpreis 2009 nominiert, sondern zudem mit dem IMPAC-Award belohnt.

Auch in seinem Nachfolger „Kakerlake“ (Originaltitel: „Cockroach“) lässt sich erahnen, wie es zu diesen Ehrungen kam, denn Hage bedient sich einer eindringlichen und intensiven Sprache. Wenn man dem Ich-Erzähler, einem arabischen Immigranten, auf seiner fatalistischen Reise durch die eisigen Nächte Kanadas folgt, fühlt man sich in einem Strudel aus Schmutz und Elend gefangen, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Unterbrochen wird die Reise durch die regelmäßigen Besuche des Protagonisten bei seiner Therapeutin, die er seit seinem missglückten Selbstmordversuch aufsucht, – und kurioserweise sind es ausgerechnet diese Momente, die einen Hauch von Normalität und Ordnung ausstrahlen. Sie bilden einen Kontrast zu der ansonsten von Hunger, Sexsucht und Sarkasmus beherrschten Lebenswelt.

In dieser fühlt sich der Protagonist häufig in den Körper einer Schabe versetzt: „Warum? – Meine Schwester hat mich dazu gemacht“, wie er mit einer inzestuös erscheinenden Erinnerung erläutert, in der die Beine seiner Schwester zu seinen Fühlern wurden. Ob diese Episode tatsächlich so stattgefunden hat, bleibt jedoch unklar. Tatsache ist, dass der frühe Tod seiner Schwester, für den er sich (mit-) verantwortlich fühlt, einen großen Anteil an seinem aus Selbsthass und Komplexen geprägten Leben hat, vor dem er sich scheinbar nur in einem (Chitin-) Panzer verstecken kann.

Und es ist erstaunlich, auf wie vielen Ebenen die Metapher von der Kakerlake im Laufe des Romans funktioniert. So dient das Bild des flinken und cleveren Überlebenskünstlers zum einen als Ausdruck von Macht und des Bedürfnisses nach Überlegenheit, andererseits aber auch als entstelltes hässliches Selbstbildnis, etwa bei den regelmäßigen, quasi selbstzerstörerischen Jagdszenen auf die Kerbtiere in der schmutzigen Wohnung des Protagonisten. Ihren Höhepunkt finden diese Wahnvorstellungen schließlich in einer Konfrontation mit seinem in eine menschengroße Kakerlake verwandelten Spiegelbild – wahrscheinlich als Reminiszenz an Robert De Niro in „Taxi Driver“.

Die „übernatürlichen“ Kräfte seines Alter Ego nutzend verfolgt und analysiert er seine Mitmenschen, um ihre dunklen Geheimnisse zu ergründen. Er erkennt dabei nicht, dass er vielmehr seine eigenen Probleme auf diese projiziert. Dadurch verliert sich Hages Antiheld zunehmend in einer Welt aus Manipulation und Misstrauen, womit er schließlich auch die Fähigkeit verliert, die Hilfsangebote aus seiner Umgebung als solche zu erkennen und anzunehmen.

Schade, dass dieses eigentlich gelungene Porträt einer zum Scheitern verurteilten Existenz am Ende in ein Rachedrama abdriftet. Dies erscheint zunächst durch die Schuldgefühle aufgrund des Todes seiner Schwester durchaus passend, wird letztlich aber zu platt und überhastet abgehandelt. So genügt die Wendung, um die vollständige Weltflucht des Protagonisten ausreichend zu motivieren, führt den Roman aber zu einem etwas abruptem Ende.

Titelbild

Rawi Hage: Kakerlake. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gregor Hens.
Piper Verlag, München 2010.
312 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783492053792

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