Hinter den Klostermauern gedämpfte Stimmung

Die Neuverfilmung von Denis Diderots antiklerikalem Roman „Die Nonne“ reduziert die kämpferische Vorlage auf beschauliches Ausstattungs- und Kostümkino

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Als Denis Diderot 1760 seinen Roman „Die Nonne“ schrieb, dürfte er geahnt haben, dass ihm eine Veröffentlichung neuen Ärger mit der königlichen Zensurbehörde einbringen würde. Bereits 1749 war der aufklärerische Denker für einige Monate inhaftiert worden. Das Manuskript landete dann erst einmal für viele Jahre in der Schublade und erschien erst posthum 1796 – nur um sofort verboten zu werden. Die fiktiven Memoiren der Suzanne Simonin sind offensichtlich von subversivem Charme, der die Zeit gut überdauert hat. Das musste Nouvelle Vague-Regisseur Jacques Rivette noch 1966 erfahren, als seine Adaption direkt nach der Uraufführung auf dem Festival in Cannes vom zuständigen Informationsministerium abgesetzt wurde, mit der Begründung, der Film könne womöglich die Gefühle der katholischen Bevölkerung verletzen. Was wiederum zu wütenden Protesten unter französischen Intellektuellen geführt hat. All das sollte dem Erfolg der Verfilmung, die 1967 schließlich doch ins Kino kam, keineswegs schaden.

Auf einen vergleichbaren Skandal muss sich die neue Adaption sicherlich nicht gefasst machen – zum einen haben sich die Zeiten in Sachen rigider Zensurbehörden gewandelt, zum anderen ist der Film von Regisseur Guillaume Nicloux im Vergleich zur literarischen Vorlage und zu Rivettes Version derart harmlos geraten, dass er wohl selbst im vorrevolutionären Frankreich für keine Aufregung gesorgt hätte. Doch worum geht es in Diderots skandalumwitterten Roman? Die 16jährige Suzanne wird von ihrer gefühlskalten Familie aus finanziellen Gründen (und weil sie das Resultat einer außerehelichen Liaison der Mutter ist) ins Kloster abgeschoben, wo sie allen möglich körperlichen und seelischen Qualen ausgesetzt ist, sich nacheinander einer grausamen und einer sexuell zudringlichen Oberin erwehren muss, zeitweilig in ein unterirdisches Verlies gesperrt und gar mit dem Tode bedroht wird. Und das alles, weil sie sich gegen die rigiden Klosterregeln auflehnt und um ihre Selbstbestimmung kämpft. Hinter der fiktiven Geschichte steckt im Übrigen eine zu Diderots Zeit weit verbreitete Praxis, heiratsfähige Töchter in ein Kloster zu stecken, um sich auf diesem Wege die bei einer Heirat anfallende Mitgift zu sparen.

Diderots Suzanne will das jedoch nicht mit sich machen lassen. In Rivettes Verfilmung sehen wir Anna Karina in der Titelrolle beim Gelöbnis eine zornige Anklage gegen das an ihr begangene Unrecht vorbringen. Von der kämpferischen Suzanne ist im neuen Film jedoch nicht viel zu sehen. Die belgische Darstellerin Pauline Etienne hat nicht viel mehr zu tun, als den gesamten Film über mit waidwunder Leidensmiene in die Kamera zu blicken und hin und wieder ein paar bittere Tränen zu vergießen. Während bei Diderot das Leid der Hauptfigur auf gesellschaftliche und institutionelle Missstände verweist, ist hier nur das individuelle Schicksal von Interesse, als hübsch bebilderte Folie für ein banales Melodram. Die existentielle Einsamkeit und Ausweglosigkeit Suzannes wird für den Zuschauer nicht spürbar, auch weil Regisseur Nicloux den Stoff all seiner Dramatik beraubt und dabei in einem allzu behäbigen, spannungsarmen Erzählduktus verweilt.

Die herrlich verlogene, habsüchtige, scheinheilige Sippschaft der Simonins etwa, im Roman eine kaltherzige Brut, die im Leser die gerechte Wut aufsteigen lässt, ist in der Neuverfilmung eine blasse, langweilige Familie, über die im Grunde nichts allzu Schlechtes zu sagen wäre, außer dass sie andere Vorstellungen über die Zukunft Suzannes hat als die junge Frau selbst. Auch das Leben im Kloster, das Diderot als eine Schauerstätte aus Ohnmacht, Perversion und Wahnsinn beschreibt, verliert nun allen Schrecken. Dabei spart der Film einige der prägnantesten Abscheulichkeiten, die Diderot seiner Heldin aufbürdet, keineswegs aus, doch ganz gleich ob Suzanne in ein Verlies geworfen wird oder ob gehässige Ordensschwestern ihr Glasscherben vor die nackten Füße streuen, die sadistische Schikane wirkt eher wie ein dummer Streich, das Leid der Protagonistin losgelöst von allen thematischen Bezügen. Für Diderot sind die Gräuel der Klosterwelt, so überspitzt und teils auch ironisch lustvoll sie ausgemalt werden, das Produkt eines widernatürlichen Lebens abseits der Gesellschaft – und alle Nonnen, die grausame Oberin Christine eingeschlossen, Opfer einer institutionellen Verirrung.

Kaum vorstellbar, dass dem französischen Aufklärer die Neuverfilmung seines Werks gefallen hätte. Zumal der Film auch noch eine Rahmenhandlung hinzudichtet, die letztlich alle Kontroversen, die in der Geschichte angelegt sind, durch eine banale Wendung auflöst und in ein Quasi-Happy End überführt. Denn plötzlich rückt die geheimnisumwobene Herkunft Suzannes ins Zentrum, und wie durch ein Wunder darf die junge Frau, dem Kloster entronnen, endlich ihrem verloren geglaubten leiblichen Vater begegnen. Und mehr noch, auch ein sensibler junger Hausgast nähert sich ihr schüchtern auf dem Balkon eines herrschaftlichen Anwesens. Der hat nämlich die Nacht damit zugebracht, am Kaminfeuer die Memoiren der jungen Frau zu verschlingen. Man ahnt schon, es wird nicht bei den Memoiren bleiben. Immerhin ist das leichter verdaulich als das Ende, das Jacques Rivette seiner Nonne zugemutet hat: Endlich aus dem Kloster entkommen, ist die junge Suzanne in der Welt ebenso fremd wie im Kloster, gerät auf der Flucht vor der Kirche in zwielichte Gesellschaft, wird aus Not zur Prostituierten und stürzt sich schließlich verzweifelt aus dem Fenster. Ein unbehagliches Ende, aber so etwas hätte zu der entnervend zahmen Neuverfilmung natürlich nicht gepasst.

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