Fremdeln mit den Brasilianern Europas – das Drehbuch zu „Finsterworld“

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Film „Finsterworld“ sei das „Ergebnis einer sehr intensiven, von Heiterkeit und gemeinsamer Zuneigung geprägten, meditativen Zusammenarbeit“, schreiben die Eheleute Frauke Finsterwalder und Christian Kracht in ihrem kurzen Vorwort zu dem gleichnamigen Buch. Das Konzept des Films, der seit seinem Anlaufen in den deutschen Kinos im Oktober bereits für einiges Aufsehen sorgte, sei aus der bewusst distanzierten Perspektive auf Deutschland entstanden, auf Reisen nach „Fiji, Argentinien, Kenia und in die Stadt Seoul in Korea“. Gedreht worden sei „Finsterworld“ 2012 in „Bayern und in Tansania“ – zweifelsohne eine reizvolle Kombination.

„Finsterworld“ ist ein Überraschungscoup im deutschsprachigen Kino, den man sich nicht entgehen lassen darf. Solange der Film im Kino läuft, sollte man ihn sich auch deshalb unbedingt ansehen, weil man dabei so schön beobachten kann, mit welchen Szenen das deutsche Publikum am meisten ‚fremdelt‘. Im Tübinger Kino Arsenal etwa lag der ‚dunkle Kontinent‘ in einer Vorstellung im Oktober für die meisten ZuschauerInnen, die in lauten Bekundungen des Ekels aufjaulten, offenbar in jener finsteren Welt eines deutschen Altersheims, in welcher der wunderliche Fußpfleger Claude Petersdorf (Michael Maertens) und die alte Frau Sandberg (Margit Carstensen) einige denkwürdige Auftritte haben.

In dem Buch „Finsterworld“ kann man nun zur dringend anempfohlenen Nachbereitung dieses Kinoerlebnisses das komplette Drehbuch nachlesen, inklusive einiger Szenen, die dem Schnitt der Endfassung des Films zum Opfer fielen. Zudem enthält die Publikation neben vielen farbigen Abbildungen kurze Essays von Dominik Graf, Michaela Krützen und Oliver Jahraus.

Die schönste Entgleisung stammt darin von dem Regisseur Graf, der meint, „Finsterworld“ bilde „Sehnsüchte nach einem anderen Leben in einem anderen Deutschland erahnbar ab“. Erfahre man doch hier auf „erschütternde Weise“, was „eigentlich geschieht, wenn man die Menschen in solch einer fahlen Wohlstandsgesellschaft ganz und gar mit sich allein läßt“. Ohne die „Idee von etwas Größerem“ seien sie – so wörtlich – „halt nun mal Laborratten in Dr. Freuds Irrenhaus“. Es handele sich bei „Finsterworld“ mithin um ein „Deutschland-Experiment“, ein „Experiment in Verblödung“, in dem nur noch „kleine, dumme Leben“ vor dem baldigen Aussterben möglich seien.

Es ist schon seltsam: Nachdem Christian Kracht im letzten Jahr im „Spiegel“ der Verbreitung „rechten Gedankenguts“ geziehen wurde, gibt es jetzt plötzlich Journalisten, die vorwurfsvoll danach fragen, warum Finsterwalder und Kracht die Deutschen, die doch erwiesenermaßen „die Brasilianer Europas seien“, denn bitteschön derart negativ darstellten und „so ein düsteres Bild von diesem Land“ zeichneten. Ironischer, als Kracht in dem oben verlinkten ARD-Interview darauf antwortet, kann man auf solch einen Stuss wirklich nicht reagieren: Chapeau! 

J. S.

Kein Bild

Frauke Finsterwalder / Christian Kracht: Finsterworld.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
197 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783596186907

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch