Porträts mit kleinen Schönheitsfehlern
Antonia Meiners setzt Frauen zwischen Monarchie, Erstem Weltkrieg und Wahlrecht ins Bild
Von Rolf Löchel
Die deutschen Frauen seien „durch den Krieg ungleich selbständiger geworden“, konstatierte Adelheid Steinmann 1918 im Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauen. Dabei hatte Paul von Hindenburg voller düsterer Vorahnung bereits im Kriegsjahr 1916 vor der „weiblichen Agitation auf Gleichstellung in allen Berufen und damit auch in politischer Beziehung“ gewarnt. Denn der nicht nur die Oberste Heeresleitung diktatorisch führende Generalfeldmarschall war überzeugt davon, dass „wir nach dem Kriege die Frau als Gattin und Mutter brauchen“. Seine Warnung verhallte zwar vielleicht nicht ungehört, jedenfalls aber wurde den Frauen nach dem Krieg die politische Teilnahme qua Wahlrecht gewährt und in den Jahren der Weimarer Republik fassten auch immer mehr von ihnen im Berufsleben Fuß, wenngleich nicht selten in dienenden, dem Manne zuarbeitenden Berufen wie etwa der Sekretärin.
Die beiden Eingangszitate sind Antonia Meiners Band „Die Stunde der Frauen entnommen“, das den Lesenden in Wort und Bild den weiblichen Alltag „zwischen Monarchie, Weltkrieg und Wahlrecht“ von 1913 bis 1919 nahebringt. Auch Meiners betont den „Wandel der gesellschaftlichen Stellung der Frau“ in und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, der von jeder einzelnen Frau eine „grundlegende Neuorientierung“ erzwungen und „ihrem Schicksal eine entscheidende Wendung“ gegeben habe. Das ist so verkehrt sicher nicht. Zweifelhafter aber ist die von ihr gebotene monokausal-ökonomistische Erklärung, die den Wandel alleine auf „die im Kriege gestiegene ökonomische Bedeutung der Frauenarbeit“ zurückführt. Zum einen ‚erzwang‘ die Abwesenheit der Männer von den Frauen in jeder Hinsicht größere Selbständigkeit und zum anderen hatte die vor dem Kriege sehr virulente Frauenbewegung bereits den Boden für diese Entwicklung bereitet. Damit soll nicht bestritten werden, dass der „Wandel der Arbeitswelt“ eine wichtige Rolle spielte. Ob er aber „entscheidend für das veränderte Frauenbild in den zwanziger Jahren“ gewesen war, sei dahingestellt. Vermutlich ließe sich mit ebenso viel Recht sagen, dass diese Ehre der Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg zukommt. Denn dass noch 1913 „kaum jemand die traditionellen Geschlechterrollen in Frage stellte“, trifft zumindest auf sie nicht zu.
Meiners unterteilt ihr Buch in mehrere chronologisch angeordnete Kapitel, die etwa unter den Überschriften „Briefe und Feldpost“, „Hunger und Entbehrung“ oder „Aufbruch und Wahlrecht“ stehen. In ihnen bietet die Autorin in Wort und Bild sehr anschauliche Darstellungen des weiblichen Alltags in Deutschland. Zwischengeschaltet hat Meiners weitere Kapitel, in denen sie bekannte weibliche Persönlichkeiten des In- und Auslandes porträtiert. Unter ihnen etwa die deutsch-polnische Sozialistin Rosa Luxemburg, die amerikanische Feministin Jane Adams, die noch immer allseits bekannte Coco Chanel, deren Name nicht umsonst zu einem Markenzeichen wurde, die Filmschauspielerin Asta Nielsen, die Lyrikerin Else Lasker-Schüler, das „Luxusgeschöpf“ Mata Hari, die von einem deutschen Kriegsgericht hingerichtete englische Krankenschwester Edith Cavell und die bei Ausbruch des Weltkrieges noch kriegsbegeisterte Käthe Kollwitz, die erst zur Pazifisten wurde, nachdem sie die Sinnlosigkeit des Todes ihres Sohnes erkannt hatte. Unbelehrt blieb hingegen die spätere Nationalsozialistin Thea von Harbou, die sich darüber beklagte, dass die „dämliche Frauenrechtlerin“ Doris Wittner ihr 1913 erschienenes Buch „Die Frauen und der Krieg“ nicht wie all die anderen RezensentInnen „in den Himmel gehoben“ hatte. Über die Verwerflichkeit des Krieges gar nicht erst belehrt werden mussten hingegen die Feministinnen Helene Stöcker und die in einem in einem Doppelporträt vorgestellten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann. Sie wandten sich von Beginn an gegen den Krieg. All dies ist sehr informativ und auch Clara Immerwahr findet in einem der Kapitel – wenngleich etwas beiläufig – Erwähnung.
Ganz frei von meist kleineren sachlichen Fehlern bleiben die Porträts allerdings nicht. „Immer feste druff“ etwa war keine Revue, wie Meiners meint, sondern eine Operette von Walter Kollo und Willy Wolf. Die damals sehr bekannte Diseuse Claire Waldoff allerdings trat tatsächlich in dem Musik-Stück auf. Anita Augsburg und Lida Gustava Heymann wiederum verließen Deutschland nicht nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933, sondern kehrten vielmehr von einer Mallorca-Reise, auf der sie sich zu dieser Zeit gerade befanden, nicht mehr nach Deutschland zurück.
Vor allem aber leidet Meiners’ Darstellung der Frauenbewegung an einer unscharfen respektive uneinheitlichen Begrifflichkeit zur Unterscheidung von deren diversen Flügeln. So konstatiert Meiners etwa: „Ohne Wenn und Aber steht der bürgerliche Flügel der Frauenbewegung auf Seiten der Regierung und befürwortet deren Kriegseintritt“. Tatsächlich lässt sich diese Behauptung allerdings nur von deren von Gertrud Bäumer und Helene Lange geführten gemäßigten Flügel aufrecht erhalten. Der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung um die bereits erwähnten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann lehnte den Krieg hingegen von Beginn an vehement ab. Diesen Flügel aber rechnet die Autorin zunächst einmal gar nicht zur bürgerlichen Frauenbewegungen, sondern grenzt beide vielmehr implizit voneinander ab, indem sie schreibt, es gebe „auch ganz andere Stimmen, und zwar vom radikalen Flügel der Frauenbewegung“, denn „die radikalen Feministinnen stellen sich der ansonsten vorherrschenden Kriegseuphorie öffentlich entgegen“. Die begriffliche Verwirrung wird komplettiert, wenn Meiners als Beleg dafür, dass „die Feministinnen des bürgerlichen und des proletarischen Lagers durchaus Sympathien füreinander haben“, darauf verweist, „dass Clara Zetkin im April 1915 ein Grußtelegramm an den Friedenskongress in Den Haag schickte“. Denn dort tagten nicht etwa die Vertreterinnen des von Meiners zuvor als bürgerlich bezeichneten Teils der Frauenbewegung, sondern dessen radikaler Flügel, während die bürgerlichen, oder – wie sie gemeinhin genannt werden –gemäßigten bürgerlichen Feministinnen, den Krieg unterstützten.
Das alles mag nun vielleicht so klingen, als gebe es an dem Buch sehr viel auszusetzen und es lohne der Lektüre nicht. Doch dem ist mitnichten so. Denn insgesamt handelt es sich vor allem aufgrund der Bilder um einen sehr ansehnlichen Band. Doch auch die Texte sind abgesehen von der einen oder anderen hier beklagten Unschärfe durchaus informativ, die Auswahl der porträtierten Frauen ist gelungen oder doch zumindest nachvollziehbar.
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