Das Bedürfnis nach metaphysischem Krach

Vom „Sommererlebnis“ zum „Erlebnis des Todes“: Robert Musil und der Erste Weltkrieg

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als im August 1914 der Krieg ausbrach, war Robert Musil erst seit wenigen Monaten in Berlin Redakteur bei der „Neuen Rundschau“. Seine Aufgabe: herausragende Vertreter der „jüngsten Generation“, also der Frühexpressionisten, für den S. Fischer Verlag zu gewinnen. Seine mentale Verfassung in dieser Zeit beschrieb Musil später in seinen Tagebuchheften so: „Ich war 1914 in einer Krise. Die Fortsetzung durch Jugend, die ich bei der Neuen Rundschau sogar fördern sollte, gefiel mir nicht. Die Vereinigungen, die Mühe und der Mißerfolg, lagen mir noch in den Gliedern. […]. / Der Krieg kam wie eine Krankheit, besser wie das begleitende Fieber, über mich.“

Man weiß heute, wie sehr die Begeisterung und Faszination, mit der gerade die Intellektuellen die Mobilmachung begrüßten, einem kollektiven Unbehagen an den zivilisatorischen Modernisierungsprozessen geschuldet waren, anomischen Erfahrungen von Sinnverlust und Langeweile. „Noch aber ist es still und wir sitzen wie in einem Glaskäfig und traun uns keinen Schlag zu tun, weil dabei gleich das Ganze zersplittern könnte“, hatte Musil 1913 in dem Essay „Politisches Bekenntnis eines jungen Mannes“ geschrieben.

Für die meisten Vertreter der künstlerischen Avantgarde war der Krieg ein kulturrevolutionäres kathartisches Ereignis. Er sollte die lang ersehnte Wandlung und gesellschaftliche Erneuerung bescheren und der Existenz des Einzelnen wie der zur Schicksalsgemeinschaft geadelten Gesellschaft neuen Sinn geben. Die Grenzen zwischen Jung und Alt, Künstlern und Bürgern schienen mit einem Mal aufgehoben. Der Kriegsausbruch veranlasste auch die Mitarbeiter der „Neuen Rundschau“, in ihrer Septemberausgabe glühende Bekenntnisse zu Volk und Vaterland abzugeben und Kriegsbereitschaft und Siegeszuversicht zu bekunden. Als Literaturkritiker und Essayist hatte sich Musil bis dahin durch seine Wertschätzung für Reflexion und Intellekt ausgezeichnet und von einem einseitig für „Gefühl“ und „Seele“ schwärmenden Literaturbetrieb distanziert. In „Der mathematische Mensch“ von 1913 hieß es: „Wir plärren für das Gefühl gegen den Intellekt und vergessen, daß Gefühl ohne diesen – abgesehen von Ausnahmefällen – eine Sache so dick wie ein Mops ist.“ Diese Wertschätzung bewahrte Musil im August 1914 jedoch nicht davor, in den kollektiven Todeschor mit einzustimmen. Sein eigener Beitrag für die Septemberausgabe der „Neuen Rundschau“, der Essay „Europäertum, Krieg, Deutschtum“, wurde seine ästhetische Bankrotterklärung. Nicht nur das neue Wir-Gefühl wurde darin gerechtfertigt, Musil entschuldigte sich sogar dafür, dass die von ihm repräsentierte Avantgarde bislang eine Ästhetik vertreten hatte, die gegen die bürgerliche Gesellschaft opponierte. Denn das im August 1914 auch in Musil tobende Gefühlsgemisch aus Nationalismus, Opferbereitschaft und Bellizismus stand im klaren Widerspruch zu seinen bisherigen ästhetischen Werten und Zielen. Diese verstanden sich seit Brünner Jugendtagen als europäisch-modern, wie es für viele Vertreter der Literarischen Moderne bis dahin selbstverständlich war. Dagegen waren die vom Krieg schlagartig wiederbelebten Werte wie Treue, Nationalismus oder Pflichterfüllung genau jene, die von Musils Generation bis 1914 als obsolet abgelehnt wurden. Musils Essay versucht, diesen Widerspruch zu lösen, indem er an die martialische Metaphorik der vitalistisch geprägten Avantgarde erinnert, mit der sie ihre Suche nach einem neuen Menschen umschrieb: „Die wertvollen der seelischen Leistungen aus den letzten dreißig Jahren sind fast alle gegen die herrschende gesellschaftliche Ordnung und die Gefühle gerichtet, auf die sie sich stützt […]. Das Wenden, Durchblicken und zu diesem Zweck Durchlöchern überkommener, eingesessener und verläßlicher seelischer Haltungen: es besteht kein Grund zu verschweigen, daß dies eine der Haupterscheinungen unserer Dichtung war. Dichtung ist im Innersten der Kampf um eine höhere menschliche Artung.“ Mochte die Literatur der Moderne bislang gegen die bürgerliche Gesellschaftsordnung opponiert haben, ihr kämpferischer Impetus sollte nun ihre Anschlussfähigkeit an die neue Situation ermöglichen: „Und sie war gerade dadurch in ihrer Art von dem gleichen kriegerischen und erobernden Geist belebt, den wir heute in seiner Urart verwundert und beglückt in uns und um uns fühlen.“Am Ende seines Essays spült das neue beglückend-rauschhafte Zusammengehörigkeitsgefühl den letzten Rest an rationaler Skepsis fort und kulminiert in todesverachtendem Erlebnishunger: „Der Tod hat keine Schrecken mehr, die Lebensziele keine Lockung. Die, welche sterben müssen oder ihren Besitz opfern, haben das Leben und sind reich: das ist heute keine Übertreibung, sondern ein Erlebnis, unüberblickbar aber so fest zu fühlen wie ein Ding, eine Urmacht, von der höchstens Liebe ein kleines Splitterchen war.“

Anders als ein Rainer Maria Rilke oder Stefan Zweig hat Musil später seine anfängliche Kriegseuphorie nie verdrängt, im Gegenteil. Aufgrund ihrer vitalistischen, quasi-religiösen Bedeutung verteidigte Musil nach 1918 sogar den Gefühlsrausch gegenüber seinen Folgen. Das „Sommererlebnis im Jahre 1914“, mit dem der größte anzunehmende Unfall der Moderne gefeiert wurde, deutete er später als ein „Bedürfnis nach ‚metaphysischem Krach‘, als ein sich in Friedenszeiten anhäufender unbefriedigter Rest, als eine jener „Revolution[en] der Seele gegen die Ordnung; in manchen Zeiten führt sie zu religiösen Erhebungen, in andren zu kriegerischen.“ Der Erste Weltkrieg war der „Schwarze Schwan“ in seinem Leben, ein höchst unwahrscheinliches, katastrophales Ereignis mit einer irritierenden Nähe zum „anderen Zustand“, das er später in seinem Jahrhundertroman „Der Mann ohne Eigenschaften“ zu erklären versuchte.

Anders als die meisten „Geisteskrieger“ der „Neuen Rundschau“ zog Musil aber nicht nur rhetorisch in den Krieg. Ein Jahr zuvor noch wegen Herzrasens und Neurasthenie unfähig, als Bibliothekar zu arbeiten, rückte der österreichische Dichter am 20. August 1914 zum Landsturm in Linz ein. Hätte er gewollt, vermutlich hätte er sich ähnlich wie Hugo von Hofmannsthal oder Rainer Maria Rilke einen Posten in der Etappe sichern können. Kurz nach Kriegsausbruch bot sich ihm sogar eine Gelegenheit, enthoben zu werden; er ließ sie „freiwillig“, wie er später bekannte, verstreichen – und genoss die Erlösung von allen bürgerlichen Verpflichtungen als Ehemann und Stiefvater zweier Kinder. „Vielleicht stören Dich die Briefe in Deiner Einsamkeit – sag es mir ruhig, dann halte ich sie zurück“, beschied ihm am 2. November 1914 seine Frau, gekränkt von den zurückhaltenden Antworten ihres Mannes, und unterschrieb trotzig mit: „Meine Martha“. Dass Musil, der erst Ende 1913 nach zehnjähriger Dienstzeit als Reserveoffizier entlassen worden war, anfangs durchaus Gefallen am Krieg finden konnte, lag allerdings auch daran, dass er die Donaumonarchie nicht wie das Gros des k.u.k.-Heeres auf den Schlachtfeldern Galiziens gegen die Soldaten des Zaren verteidigen musste, sondern zur Grenzsicherung nach Südtirol abkommandiert wurde. Dort bot sich den spärlichen österreichischen Kräften zunächst eine Art alpiner Abenteuerurlaub. Das trügerische „Pfadfinderspiel“ (Karl Corino) endete erst im Mai 1915 mit dem Kriegseintritt Italiens: Allein bei den zwölf Schlachten am Flüsschen Isonzo verloren auf beiden Seiten Hunderttausende ihr Leben.

Wie sich Musils private Beziehungen in dieser Zeit gestalteten, darüber ist man kurioserweise besser informiert als bei den meisten anderen Epochen seines Lebens. Grund dafür ist ein 1980 in einem Bozener Keller entdeckter Briefwechsel, den Musil vermutlich 1917 dort zurückgelassen hat. Er enthält zahlreiche Briefe und Postkarten Marthas, aber auch seiner Eltern. Sie zeigen, wie verzweifelt beide Parteien um die Aufmerksamkeit ihres Gatten beziehungsweise Sohnes kämpften. Dazu scheint auch das Mittel der emotionalen Erpressung recht gewesen zu sein. So unterrichtete die damals beinahe 41-jährige Martha im Oktober/November 1914 noch von Berlin aus ihren Mann mehrmals täglich mit Depeschen und Expressbriefen über das Auf und Ab einer vermeintlichen Schwangerschaft. Mal erklärte sie, den kleinen Robert auch gegen den Willen des großen behalten zu wollen, mal verkündete sie, alles zu tun, damit es zu einer Fehlgeburt komme. Ob diese Versuche am Ende Erfolg hatten oder ob es sich nur um eine Scheinschwangerschaft handelte, ist aus den Dokumenten nicht restlos zu klären. Derweil hatten Musils Eltern gar kein Verständnis, dass ihr „Robschi“ trotz eines Stromes an Liebesgaben wie Wollsocken oder Schokolade keinerlei Anstalten machte, ihnen regelmäßig Bericht zu erstatten. Für Musils Vater hielt die militärische Karriere seines Sohnes noch eine besondere Schmach bereit. Ende Januar 1915 wurde der Landsturm-Oberleutnant aufgrund eines Streites mit einem Vorgesetzten seines Postens als Kompagnie-Kommandant in Trafoi enthoben. Alfred Musil forderte umgehend Rechenschaft: „Solltest Du in der Monarchie der einzige sein, der sich für den ihm anvertrauten Posten unfähig erwies?“ Der Vater schrieb, womöglich zu Recht, das Desaster dem wenig konzilianten Wesen seines Sohnes zu; Musil selbst erklärte sich die Ablösung später in seinen Tagebuchheften so: „Ein Mensch, der alles richtig, nach Grundsätzen und moralisch in Ordnung bringen will, verwirrt alles. Konsternierende Wirkung, die ich auf die Kompagnie hatte! Ich selbst, nicht ein Pedant.“

Den Kriegseintritt Italiens erlebte Musil als Bataillonsadjutant im Bergdorf Palai im abgelegenen Fersental (Val dei Mòcheni) bei Trient, das zum Schauplatz seiner Novelle „Grigia“ werden sollte. Vor einer märchenhaften Naturkulisse sowie in der Etappe in Bozen kam es zu intensiven Wiederbegegnungen mit seiner Frau. In ihrer Korrespondenz führte das von Eheleuten wieder zu Liebenden gewordene Paar ein atemberaubendes erotisch-lyrisches Duett auf. Musil, der nie ein Lyriker war, gelang in dieser Zeit sein eindrucksvollstes Gedicht, „Das Namenlose“:

„Aus einem Abend wie ein aufgesprungner Schrein
Schwebt Ding nach Ding leis in die Nacht hinein,
Geliebte, diese Welt ist Dein und mein!
Ist wie ein Tanz durch einen sanften Wiesenhang,
Der sacht gedrehten Grüns um uns entgleitet…
Indes er den entzückten Fuß noch abwärts leitet,
Fühlst Du und ich entgrenzt schon unsren Gang.
Um den der Raum so segelhaft sich weitet.
Und nun der Tanz uns mählig auseinanderbreitet –
An allen Stellen trunken uns verwebend
Im Drehn, das groß und geisterhaft schon schreitet, –
Fühlst Du und ich, bis in die Mitte bebend,
Die Erde sinkt, uns einsam umeinander hebend.“

Trennung, Wiedersehen und ständige Todesgefahr erwiesen sich als ein hervorragendes Treibmittel für neue mystische Erfahrungen. Im Tagebuchheft notierte Musil: „Dachte – immerhin – daß ich da, zwischen Anemonen, Vergißmeinnicht, Orchideen, Enzian und (herrlichem grünbraunem) Sauerampfer bald liegen werde. Wie dich hinübernehmen? Glauben können, daß hier es nicht zu Ende. Fange überhaupt an, mystisch zu werden. Diese persönliche Vorsicht, die in diesem Krieg bisher meine Schicksale gelenkt hat, berührt mich schon lange. Wie herrlich nun: Wiedervereinigung. Neugewonnene Jugend. Die kleinen Entstellungen, die die Jahre der Geliebten zufügen, von ihr genommen. Mit der Hoffnung auf die Ewigkeit eines Verhältnisses ist die Liebe unerschütterlich. Wer wird sich zur Untreue verleiten lassen und die Ewigkeit für eine Viertelstunde opfern. Das kann nur geschehn, wenn man irdisch rechnet. Die Liebe weltmännisch betrachtet. Keine Frage, wo die größere Glückskraft liegt. Die Stete. Der Mut in der Schlacht. Man kann überhaupt nur lieben, wenn man religiös ist. Untreue bringt um die himmlische Seligkeit; ist ein Sakramentsbruch.“ Solche Offenbarungen schienen ihn allerdings nicht daran gehindert zu haben, im Fersental ein Verhältnis mit einer Bäuerin anzufangen. Wenige Einträge später heißt es: „Er liebt eine Frau und kann nicht widerstehn, eine andre zu probieren. Die Forderung der Treue ist, die erste hors de concours zu rücken.“ Solche Beziehungen waren, zumal für Offiziere, keine Seltenheit, oft wussten die fernen Ehefrauen Bescheid, auch Martha schien etwas geahnt zu haben: „Fühlst du dich ganz frei? Wo bin ich? Irgendwo weit weg? Eine liebe Stelle in einem Buch? Ist Erdgeruch nah? Und Jauche? Und starkes Buntes mit übersonntem Gesicht? Ich werde ein Tagebuch schreiben. Du auch!“, schrieb sie ihrem Mann Anfang Juni 1915 provokant.

Falls Musil nicht nur einem erotischen Tagtraum nachhing, dürfte es sich bei seiner Geliebten nach den Recherchen des Musil-Biografen Karl Corino um die Bäuerin Magdalena Lenzi (1880–1954) gehandelt haben; nach dem Krieg machte der Dichter sie zur Hauptfigur seiner Novelle „Grigia“ (1921). Auch das Tagebuchheft dieser Wochen wurde gezielt mit Blick auf seine spätere literarische Verwertung geführt. Nicht nur in „Grigia“ gingen viele der notierten Details und Begebenheiten ein; einzelne Erlebnisse wurden in der Nachkriegszeit zum Ausgangspunkt von Kurzprosatexten wie „Die Maus“ oder „Slowenisches Dorfbegräbnis“. Erotisch konnotierte Beobachtungen der in Dienst genommenen weiblichen Landbevölkerung stehen neben seltsam unwirklich anmutenden Kriegserlebnissen. Zur Beschießung des italienischen Fortes Monte Verena heißt es: „Man hat ein neutrales Gefühl wie beim Scheibenschießen.“ An anderer Stelle analysiert der im Tonlabor seines Berliner Doktorvaters Carl Stumpfs geschulte Psychologe: „Über unsern Köpfen singt es, tief, hoch. Man unterscheidet die Batterien am Klang. tschu i ruh oh – puimm. Wenn es in der Nähe einschlägt: tsch – sch – bam. Es pfaucht ein-, zweimal kurz und springt dich an.“ Mancher Eintrag Musils erinnert in seiner Faszination für grausige oder bizarre Details, seiner moralischen Indifferenz und Kälte an die Kriegstagebücher Ernst Jüngers: „Die Gefechte, Toten und so weiter, die sich vor den Stellungen abspielten, haben mir bisher keinen Eindruck gemacht.“ Doch anders als bei Jünger stilisiert sich hier kein sich panzerndes Subjekt, sondern es schreibt jemand, den es danach sehnte, das Gefühl von Unwirklichkeit zu verlieren und endlich erweckt zu werden. Am 22. September 1915 wurde Musil „erhört“, ein Fliegerpfeil verfehlte ihn nur knapp: „Nachher sehr angenehmes Gefühl. Befriedigung, es erlebt zu haben. Beinahe Stolz; aufgenommen in eine Gemeinschaft, Taufe.“ In der Nachkriegs-Novelle „Die Amsel“ (1928) erhöhte der Dichter dieses Erlebnis zu einer profanen Epiphanie: „Wenn einer da gesagt hätte, Gott sei in meinen Leib gefahren, ich hätte nicht gelacht. Ich hätte es aber auch nicht geglaubt. Nicht einmal, daß ich einen Splitter von ihm davontrug, hätte ich geglaubt. Und trotzdem, jedesmal, wenn ich mich daran erinnere, möchte ich etwas von dieser Art noch einmal deutlicher erleben!“

Musil, der es im Krieg bis zum Landsturm-Hauptmann brachte und der mit dem Ritterkreuz des Franz-Josephs-Ordens ausgezeichnet wurde, geriet in der Folge noch mehrmals in Todesgefahr, etwa bei seiner Teilnahme an der vierten Isonzo-Schlacht oder beim Rettungseinsatz nach einer Lawinenkatastrophe. „Das persönliche Auserwähltsein trotz der Statistik. Der Tod holt täglich ein paar Opfer, aber persönlich ausgewählt.“ Neben dem „Sommererlebnis“ 1914 war es das dem „anderen Zustand“ offenbar ebenfalls nahe verwandte Erlebnis des Todes, der „Todesfreude“, das Musil den Krieg später auf erschreckend unbekümmerte Weise verteidigen ließ wie in den frühen 1920er-Jahren gegenüber Soma Morgenstern: „Es stellte sich heraus, daß er [Musil] für den Krieg war, weil er im Krieg ‚das große Erlebnis des Todes’ erfahren hatte. […] [Ich hielt] es nicht aus und sagte zu ihm: ‚Sie denken also, daß es gut ist, wenn Menschen getötet werden, damit der Schriftsteller Musil ‹das große Erlebnis des Todes› auskoste? Was mich betrifft, stehe ich auf dem Standpunkt, daß es für den Schriftsteller, der ‹das große Erlebnis des Todes› haben möchte, nur eine rechtschaffene Gelegenheit gibt, nämlich: seinen eigenen Tod.‘ Musil errötete bis in die Haarwurzeln – damals hatte er noch viel Haar – und schwieg eine sehr peinliche Zeit. Dann sagte er: ‚Es ist nicht meine Schuld, daß ich den Krieg überlebt habe. Aber Sie haben das Recht so zu reden, ohne einen banalen Eindruck zu machen, weil Sie selbst ein Soldat im Krieg waren – wenn auch als Schriftsteller noch zu jung, um das Erlebnis des Todes richtig einzuschätzen.‘“ (zit. n. Karl Corino [Hg.]: Erinnerungen an Robert Musil, Wädenswil 2010, S. 113)

Hinweis:

Der Beitrag ist eine modifizierte Fassung der S. 67–77 von Oliver Pfohlmanns Rowohlt-Monografie „Robert Musil“, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag 2012.

Titelbild

Oliver Pfohlmann: Robert Musil.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012.
160 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783499507212

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