Von Johannes Myronas zu Albrecht Dürer

Stephanie Hauschild über die Geschichte des mittelalterlichen Buchs

Von Alissa TheißRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alissa Theiß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch beginnt beinahe wie ein historischer Krimi: Wir befinden uns im Jahr 1229. Der Mönch Johannes Myronas hatte soeben seine Handschrift fertiggestellt, geschrieben auf wiederverwendetem Pergament. Anhand dieser Einleitung führt die Kunsthistorikerin Stephanie Hauschild in den Gegenstand ein. Immer wieder wird sie auf Johannes Myronas und sein Euchologion zurückkommen, um die mittelalterliche Buchherstellung in Europa zu illustrieren. Nach eigener Aussage möchte die Autorin mit ihrem Werk „den an mittelalterlichen Handschriften interessierten Lesern eine kleine Hilfestellung an die Hand geben, solche Bücher in der Ausstellung besser zu verstehen und zu einem eigenen Urteil zu finden.“ Ausgangspunkt sei hierbei die Frage: „Was kann man überhaupt sehen, wenn man eine mittelalterliche Handschrift vor sich hat, und was ist wichtig, um eine Handschrift genauer zu verstehen?“ Das Buch richtet sich also dezidiert nicht an ein Fachpublikum, was auch durch bestimmte Formulierungen immer wieder deutlich wird, die manchmal eher an ein Kinderbuch denken lassen. So ist von neugierigen Händen, neugierigen Augen und neugierigen Forschern die Rede, von wunderschönem Blau und wunderbaren Büchern. Auch die häufigen Satzanfänge mit „Denn“ im Einleitungskapitel zeugen von dem bewussten Versuch, die Sprache möglichst allgemeinverständlich zu halten.

Zunächst wird – dem Titel geschuldet – überblicksartig darauf eingegangen, was eigentlich ein Skriptorium im Mittelalter war beziehungsweise sein konnte: eine Schreibstube im Kloster, im Kreuzgang, ein zum Schreiben oder Malen ausgestattetes Zimmer in einem Konvent, eine kommerzielle Werkstatt in der Stadt, das Haus eines Autors, ein Sammelbegriff für alle beteiligten Personen sowie alle Arbeitsgänge der Buchproduktion.

Das einleitende Kapitel endet mit einem Überblick über die im Folgenden behandelten Themen, die alle Schritte der mittelalterlichen Buchproduktion umfassen.

In chronologischer Reihenfolge beginnt Hauschild mit der Buchproduktion der Spätantike, vor allem im Konstantinopel des 6. Jahrhunderts und erklärt etwas euphemistisch, dass Bücher in der Antike schon einmal Massenware waren, allerdings nicht in der uns heute bekannten Form, sondern als Buchrolle. Auch in der Spätantike gab es bereits sowohl einfach ausgestattete Bücher als auch kostbare Auftragsarbeiten. Als Beispiel für letztere zieht die Autorin den Wiener Dioskurides heran und geht besonders auf eine bestimmte Abbildung im Text ein. Die Abbildung findet sich auch als Farbabbildung im Buch, leider fehlt an dieser Stelle der Verweis im Text.

Von der Spätantike geht es weiter zu den Dark Ages, der Völkerwanderungszeit, in der die Buchkultur in weiten Teilen Europas verschwindet und schon bald nur noch im kirchlich-klösterlichen Umfeld zu finden ist. Schreiben und Malen wurde zum Gottesdienst, was beispielhaft am Klosterplan von St. Gallen gezeigt wird, wo das Skriptorium in direkter Nähe zur Kirche liegt. Der Überblick geht weiter zur Buchherstellung im Hohen Mittelalter und bis hin zur Veränderung der Buchproduktion durch die erhöhte Nachfrage an Büchern durch reiche Stadtbürger und Mitglieder der neu gegründeten Universitäten. Buchherstellung verlagert sich von klösterlichen Skriptorien hin zu professionellen Werkstätten, in denen Berufschreiber und Miniatoren arbeiteten. Auch die Kunst des Buchbindens entwickelt sich im Laufe des späten Mittelalters zu einem eigenständigen Beruf. Der Prozess der Buchherstellung wird kontinuierlich ökonomischer und erreicht nach der Einführung des Papiers im 14. Jahrhunderts und der Entwicklung der Druckerpresse ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ganz neue Maßstäbe. Die Veränderungen auf dem Buchsektor werden – analog zu Johannes Myronas – am Beispiel Albrecht Dürers dargestellt, der während der Schwellenzeit zwischen alter und neuer Art der Buchherstellung gewirkt hat.

Wie ein Skriptorium im Mittelalter ausgesehen haben mag und was zur typischen Ausstattung gehörte, zeigt Hauschild anhand von zeitgenössischen Abbildungen. In der Antike schrieb man noch nicht an einem Schreibpult, sondern auf einem Brett, dass man sich auf die Beine legte, dem sogenannten „Schoßpult“. Ab dem Mittelalter wurden regelhaft die schrägen Schreibpulte verwendet. Eine Fußbank und ein Hocker vervollständigten das Mobiliar des Schreibzimmers. Was noch fehlt sind Farben und Tinten, Federn und Pinsel und natürlich das Schreibmaterial selbst. Im Folgenden geht die Autorin auf alle diese Aspekte der mittelalterlichen Buchherstellung ein. Immer gespickt mit konkreten Beispielen, die die theoretischen Erklärungen illustrieren. So wird beschrieben, wie Pinsel hergestellt werden und wie man eine Schreibfeder zurechtschnitzt.

Die verschiedenen Schritte der Buchherstellung werden am Beispiel der Miniaturen der Ambrosius-Handschrift und der Berthold-Bibel erklärt. Es folgt ein längerer Abschnitt zur Pergamentherstellung, an den sich die Verwendung von Palimpsesten anschließt, wo wiederum auf Johannes Myronas aus der Einleitung eingegangen wird, der ja für sein Euchologion auch wiederverwendetes Pergament genommen hatte. So berichtet Hauschild, dass immer im 90-Grad-Winkel zur ursprünglichen Beschriftung geschrieben wurde und Pamipseste daher immer halb so groß sind wie die ursprüngliche Handschrift, da die Blätter quer genommen werden mussten. Bevor es um die Herstellung der Tinten geht, wird noch kurz auf „Planung und Layout“ eingegangen, wo der Leser erfahren kann, dass immer zuerst die Schrift kam und erst danach die Miniaturen folgten.

Im Kapitel über Tinte nennt Hauschild verschiedene mittelalterliche Werke, die Tintenrezepte überliefern, wie das um 800 entstandene Lucca-Manuskript oder das etwa 400 Jahre jüngere Traktat „De diversibus artibus“ von Theophilus Presbyter und geht auf die Herstellung von Tinte ein. In diesem Kapitel wird auch erklärt, wo der Name Miniator beziehungsweise Miniatur herkommt: nämlich von der roten Farbe Minium, mit der wichtige Abschnitte innerhalb einer Handschrift hervorgehoben wurden. Eine Miniatur hat also erst einmal nichts mit der Größe des Bildes zu tun, wie volksetymologisch gerne behauptet wird.

Nicht fertiggestellte Handschriften geben Hinweise auf die einzelnen Schritte der Miniaturenanfertigungen, da in ihnen zum Teil noch Vorzeichnungen und Anmerkungen zur Platzierung zu sehen sind, die bei fertigen Manuskripten unter den Illuminationen verschwinden. Hauschild weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass strenggenommen nur von einer illuminierten Handschrift gesprochen werden kann, wenn sie mit Gold oder Silber verziert ist. Gold und Silber wurden immer zuerst aufgetragen. Erst danach folgten die anderen Farben. Insgesamt, so die Autorin weiter, arbeitete man im Mittelalter mit etwa 20 Grundfarben, die aus mineralischen, tierischen und pflanzlichen Pigmenten gewonnen wurden, und aus denen viele weitere Farben gemischt werden konnten – vorausgesetzt, die Pigmente vertrugen sich untereinander. Aber nicht nur untereinander konnten die Pigmente reagieren. Teilweise reagierten sie auch mit dem Pergament. So war beispielsweise Verdigris für lange Zeit das einzige dauerhaft farbintensive Grün, das zur Verfügung stand, allerdings war der aus Grünspan gewonnene Farbstoff so aggressiv, dass er im Laufe der Zeit Löcher ins Pergament fressen konnte, wie auf einer Abbildung einer Seite des „Book of Kells“ zu sehen. Auch andere Farben waren giftig, wie zum Beispiel das schon erwähnte Minium, das aus Blei gewonnen wurde. Aber die Farben konnten nicht nur Löcher ins Pergament sondern auch in den Geldbeutel fressen: Das beliebte Ultramarin, gewonnen aus Lapislazuli, war fast genauso teuer wie Gold, wurde aber für Abbildungen der Gottesmutter benötigt, da Maria meist in blauem Mantel dargestellt wurde. Beinahe noch kostbarer als Gold scheint der aus Purpurschnecken gewonnene Purpur gewesen zu sein, mit dem die Pergamentseiten von Prachthandschriften eingefärbt werden konnten. Allerdings berichtet Hauschild, dass bisher bei noch keinem untersuchten Kodex die Verwendung von Schneckenpurpur festgestellt werden konnte. Es handle sich vielmehr um roten Farbstoff, der von einer bestimmten Flechtenart stamme.

Nach diesem umfangreichen Überblick über alle Schritte der mittelalterlichen Buchherstellung folgt ein kurzes Kapitel über die Verwendung von Büchern, denn sie wurden nicht nur gelesen, sondern waren auch Teil des Kirchenschatzes oder wurden als heilkräftige Reliquien verehrt. An dieser Stelle versucht die Autorin eine Brücke in unsere Zeit zu schlagen und berichtet, Evangeliare würden bis heute bei liturgischen Handlungen am Altar in Weihrauch gehüllt. Dass man sich, um Zeuge dieser Handlung zu werden, in eine katholische Kirche begeben muss, wird nicht gesagt. Sicherlich darf man diesen Sachverhalt als Selbstverständlichkeit voraussetzen, dennoch wirkt es wenig kongruent mit dem sonst sehr detailliert erklärenden Stil des Buchs.

Den Abschluss des Werkes bildet, neben dem Register, eine knappe Literaturliste mit kunsthistorischem Schwerpunkt, in der grundlegende Ausstellungskataloge und Websites separat aufgeführt werden.

Als Fazit ist festzuhalten, dass es Hauschild in ihrem populärwissenschaftlich gehaltenen Buch gelingt, fachfremden Interessierten Grundwissen über die mittelalterliche Buchproduktion zu vermitteln, und das in leicht verständlicher Sprache. Dabei konzentriert sie sich bewusst auf herausragende Prachthandschriften, denn ihr geht es, wie eingangs beschrieben, um die Codices, die in Ausstellungen bewundert werden können und das sind in der Regel die Preziosen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auf einfache Gebrauchshandschriften, die das Gros der mittelalterlichen Buchproduktion stellen, nicht eingegangen wird. Dass Reproduktionen, Digitalisate und Faksimiles gut sind, aber nicht alle Fragen zu Herstellung, Material und Benutzung beantworten können, wie es in der Einleitung heißt, ist deutlich geworden. Es bleibt zu hoffen, dass interessierte Laien ausgestellte Handschriften nach der Lektüre von „Skriptorium“ tatsächlich mit anderen Augen sehen werden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Stephanie Hauschild: Skriptorium. Die mittelalterliche Buchwerkstatt.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt, Mainz 2013.
144 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783805346061

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