Das Neue Sehen
Peter Pfrunder gibt einen imposanten Band über Schweizer Fotobücher heraus
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Fotobuch ist so etwas wie der halblegitime Verwandte der Originalfotografie – ein Begriff, der im Zeitalter der digitalen Fotografie endgültig als anachronistisch dasteht. Wie kann etwas Original sein, wenn es beliebig reproduzierbar ist? Und wie soll das erst mit der digitalen Fotografie gehen? Unmöglich, was aber niemanden daran hindert, der Authentizität und dem Originalen weiter nachzurennen.
Die technische Reproduzierbarkeit von Fotografie und Buch haben ihrem Authentizitätsgrad keinen Abbruch angetan. Beide leben immer auch von ihrer mangelnden Popularität, auch wenn das Fotobuch grundsätzlich für jeden erreichbar ist. Schon allein die Preise sind deutlich niedriger als bei Einzelfotografien. Dagegen hilft nur ein effektiver Verknappungsprozess: Je weniger Exemplare es von einem Fotobuch gibt, desto höher ist der Sammlerwert. Aber wem sagt man das?
Der von der Fotostiftung Schweiz herausgegebe Band mit Schweizer Fotobüchern zwischen 1927 bis 2010 zeigt nicht zuletzt die Vitalität des Genres, die nicht nur nicht abnimmt, sondern auch noch, wie im Band ausdrücklich betont wird, in den vergangenen beiden Jahrzehnten gestiegen ist. Das passt in einen allgemeinen Trend – die Deutschen etwa (ok, das sind andere Leute) lieben Fotobücher und haben das traditionelle Album durch das halbindustriell gestaltete Fotobuch ersetzt. Das sieht zwar meist mies aus, macht aber viel her. Und nicht jeder kann ein so ausgewiesener Ästhet und Hobbyfotograf sein wie Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der sein ganzes Leben lang seine eigenen Fotobücher produzierte.
Auf über 700 Seiten werden 70 Fotobücher extensiv vorgestellt. Erstaunliches wird da neben Verwunderliches, Ehrwürdiges neben recht Wildes gestellt. Zahlreiche Reproduktionen der Titel- und Innenseiten der Fotobücher machen ihre jeweilige Aufmachung anschaulich. Jedem Fotobuch ist ein ausführlicher Essay zugeordnet, der über die Werkbiografie des Fotografen und das jeweilige Fotobuch selbst informiert. So viel Platz und Intensität bei der Präsentation von Fotobüchern ist selten – und so kommen denn auch die weniger bekannten und auch vergessenen Fotografen und deren Werke zu ausführlichen Begleittexten. Das ist zu begrüßen und begründet den Charakter des voluminösen Bandes eben nicht als Nachschlagewerk, sondern als Begleitung der Sammlertätigkeit selbst.
Der Band ist zudem chronologisch in fünf Abschnitte unterteilt, die jeweils eine eigene Einleitung erhalten, was die Tiefe der Darstellung nochmals vergrößert. Womit zu wiederholen wäre: eine imposante und höchst interessante Sammlung, die allerdings nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern auf Exemplarität erhebt.
Das ist allerdings von einer Präsentation Schweizer Fotobücher kaum anders zu erwarten, die zeigen will, zu welchen Leistungen die kleine Schweiz auch im Fotobuch in der Lage ist.
Dabei ist wie in vielen anderen europäischen Ländern am Anfang von einer relativen Verspätung zu reden. Die neuen fotografischen Entwicklungen wandern nur zögerlich und gegen den Widerstand der etablierten Fotografen in die Schweiz. Das Neue Sehen der 1920er-Jahre ist für die sich bodenständig gebende Schweiz ein Affront. Was ihr allerdings nichts nützt: Die Neuerungen, die aus den Zentren der Moderne in das kleine Land drängen, machen vor regionalen Besonderheiten keinen Halt. Wahlweise der Kapitalismus oder die Moderne verflüssigt alle überkommenen Institutionen und Traditionen. Und gleicht am Ende alles an. Denn was zeichnet das Schweizer Fotobuch vor den Fotobüchern anderer Nationalitäten aus? Nichts, außer dass es von Schweizern oder in der Schweiz gemacht wurde.
Dies führt dennoch zu der Möglichkeit, mit dieser Sammlung Schweizer Fotobücher eine andere Geschichte der Fotografie in und aus der Schweiz zu schreiben. Dass diese sich nicht sonderlich von einer „normalen“ Fotografiegeschichte unterscheidet, kann einen kaum verwundern. Denn eigentlich sind es nur die Exempel, die für bestimmte Entwicklungen oder Auseinandersetzungen stehen oder sie vorstellen sollen, die sich unterscheiden: Fotobuch statt Fotografie. Soll aber heißen: kleine Sammlung gegen Einzelstück. Denn trotz Buch und ohne Abzug sind es immer noch Fotografien, um die es hier geht. Ihr Medium wertet sie nur auf, gibt ihnen einen anderen Rahmen, wertet sie also um, um am Ende auf dasselbe hinauszukommen.
Das ist in gewisser Weise auch beruhigend: dasselbe neue Sehen, dieselbe Reportagefotografie, dieselbe subjektive Fotografie, dieselben Abstraktionen und grafischen Strukturen – wie sie eben, so wunderbar, im Buche stehen. Schweiz hin oder her.
Naheliegend gibt es Erwartbares: die urtümlichen Bergtypen und Bauern, denen der strapaziöse Lebenswandel im Gesicht steht und die als besonders schweizerisch gelten. Aber es werden auch die internationalen Standards der Fotografie gehalten, mit denen Objekte und Personen fotografiert werden. Das Schweizer Fotobuch zeigt damit eben auch, dass sich alles überall gleicht und doch ganz anders ist.
Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Schweizer Fotobücher in diesem Band außerordentlich gewinnend vorgestellt werden. Der Band selber ist ungemein präsentabel, die Einzelstücke werden – hervorragend fotografiert – mit Einband und Innenseiten vorgestellt. Die einleitenden Abschnitte führen zudem noch weitere Verweise und Exemplare an, die die Linie, die hier ja nur sehr dünn gezogen werden kann – immerhin werden hier 80 Jahre Fotobuchgeschichte vorgeführt, beginnend 1927, endend 2009 – weiter ziehen.
Das macht – über dieses Buch hinaus – Lust auf mehr.