Ordnung im Feld der Räume?

Die Einführung von Susanne Rau bietet einen Überblick über verschiedene Raumkonzepte sowie eine praktische Raumanalyse

Von Saskia HeinzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Heinz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 „Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen“ lautet der Untertitel der von Susanne Rau verfassten Monographie. Mit dieser Bandbreite an Aspekten wird nicht zu viel versprochen, zumal das Buch in der Reihe „Historische Einführungen“ erschienen ist. Die Reihe soll Studierenden, Examenskandidaten und Doktoranden der Geschichtswissenschaft einen Überblick über aktuelle historische Arbeits- und Themenfelder und insbesondere sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen geben. Angeregt durch einen der Herausgeber der Reihe, entstand diese methodische Einführung, die sich mit historischen Raumfragen beschäftigt. Susanne Rau, seit 2009 Professorin für Geschichte und Kulturen der Räume in der Neuzeit an der Universität Erfurt, untersucht, was historische Raumforschung und explizit was der Raum überhaupt ist.

Eingeteilt in drei große Kapitel werden zuerst themenbezogene Begriffe und verschiedene Theorien behandelt. Im ersten Kapitel geht es um „Historische und systematische Annäherung“, im Anschluss daran um verschiedene „Disziplinäre Zugänge“. Diese beiden theoretischen Kapitel werden ergänzt durch ein praktisches Kapitel, das den Hauptteil der Einführung ausmacht. Dieses beschäftigt sich mit „Raumanalyse“. Es folgt eine ausführliche Auswahlbibliographie, die erweitert wird durch ein Personen- und Sachregister. Im Internet finden sich Ergänzungen wie ein Glossar, die verwendeten Quellen, die Bibliographie und das Register zum Download.

Es ist die Absicht von Susanne Rau, Hilfestellung zu geben, neue Zusammenhänge zu entwickeln, sodass bestimmte Phänomene beispielsweise in der Geschichte aus anderer Perspektive betrachtet werden können. Es soll ein „begrifflich reflektierter und methodisch kontrollierter Zugang zum Raum erreicht“ werden. Raus Ziel ist es, „analytische Raumkonzepte und Methoden zur Untersuchung von Räumen beziehungsweise Räumlichkeiten vorzustellen und sie dadurch in der Geschichtswissenschaft zu etablieren.“

Das erste Kapitel gibt einen Überblick über die verschiedenen wissenschaftlichen Raumkonzepte. Dabei werden sowohl absolute als auch relative und relationale Raumkonzepte in den Blick genommen. Rau spannt den Bogen von der Antike, in der erste Begriffsbestimmungen aufkamen (Aristoteles’ Unterscheidung zwischen Raum und Ort), bis hin zu den Ergebnissen in der neuzeitlichen Philosophie, allen voran Leibniz mit dem relationalen Raumkonzept. Dargestellt wird auch das Konzept der Physik mit der Wendung durch Einsteins Relativitätstheorie. Im Anschluss daran folgt eine Betrachtung der Entwicklung des Raumbegriffs in den Bereichen Geschichte und Geografie. Dabei bezieht sich Rau auf Bernheim, der in der Geschichtswissenschaft den Faktor der Zeit mitbegründete. Es folgen verschiedene soziologische und anthropologische Konzepte, die sich zum Teil mit der Verbindung zwischen Mensch, Raum und Natur befassen. Die Autorin beschreibt den momentanen Forschungsstand zur Raumproduktion, der besagt, dass „räumliche Anordnungen von Menschen gemacht, dass Räume von Menschen wahrgenommen und gestaltet (…) und dass Räume von Menschen individuell oder kollektiv angeeignet werden können.“ Im Anschluss daran geht Rau auf die Herleitung räumlicher Begriffe in verschiedenen europäischen Sprachen ein. Das erste Kapitel soll entsprechend die verschiedenen Raumtheorien darstellen und schließt mit einem Appell an die Sozial- und Kulturwissenschaften ab, daran zu arbeiten, das raumanalytische Instrumentarium auszubauen und sich nicht der Begriffe der Naturwissenschaften zu bedienen.

Der Hauptteil besteht aus einem praktischen Teil zur Durchführung einer raumanalytischen Untersuchung. Zuerst macht Rau deutlich, dass eine Fragestellung und eine genaue Zusammenstellung entsprechender Quellen für eine Raumanalyse unabdingbar sind. Sie stellt ein Untersuchungsschema dar, das sich aus vier Schritten zusammensetzt. Rau schließt Raumformationen ein, folgt der räumlichen Dynamik, beschäftigt sich mit Wahrnehmungen, Erinnerungen und Repräsentationen, sowie den Nutzungen und Bewegungen im Raum. Diese Schritte werden genauer vorgestellt und anhand verschiedener Beispiele wie der Thematik der Stadt, des Handels und der Menschenmengen auf Märkten et cetera in Hinblick auf die historische Relevanz behandelt. In einem abschließenden Ausblick macht die Autorin noch einmal die Relevanz des Begriffs „Raum“ deutlich, der sich in der Forschung einer immer größeren Beliebtheit erfreut. Es gehe, so Rau, um eine zentrale Dimension der Gesellschaft und des menschlichen Handelns. Abschließend benennt sie offene Fragen, die es künftig zu untersuchen gilt.

Susanne Rau gelingt es, durch ihre Aufteilung in einen theoretischen und einen praktischen Teil, einen Grundriss der Raumkonzepte und -begriffe zu vermitteln. Sie untermauert die jeweiligen Darstellungen meist durch Quellenausschnitte, die im Text grafisch hervorgehoben und mit Internetverweisen markiert sind. Im zweiten Kapitel liefert sie weitere Ansätze anderer Disziplinen und macht darauf aufmerksam, dass in verschiedenen Bereichen Nachholbedarf bestehe. Auch hier legt sie verschiedene Theorien dar und es gelingt ihr, die Entwicklung darzustellen. Im Hauptteil der Einführung gibt sie Empfehlungen für eine praktische Raumanalyse, die sie mit vielen hilfreichen Beispielen untermauert. Leserinnen und Leser können die vier Schritte einer raumanalytischen Untersuchung nachvollziehen und anhand der ausgewählten Beispiele nachzeichnen. Schon in der Einleitung begründet Rau ihre Arbeit damit, „Ordnung in dieses Feld“ zu bringen. Sie macht deutlich, dass der sogenannte „spatial turn“ keine Neuerung ist, sondern der Raumbegriff bereits eine lange Geschichte aufweist. Zu Beginn eines jeden Kapitels macht sie darauf aufmerksam, was ausgelassen oder kritisch zu betrachten ist. Außerdem erläutert sie wichtige Begriffe auch in Fußnoten, sodass die Arbeit auch für Studierende verständlich ist. Dies liegt nicht zuletzt an der Sprache und dem Stil, der wissenschaftlich geprägt, aber nicht hochtrabend ist. Tabellarische Aufzählungen, zum Beispiel über raumbezogene und gesellschaftliche Strukturierungen oder Raumfiguren, schaffen einen gelungenen Überblick und eignen sich zum Nachschlagen. Erst abschließend weist die Autorin darauf hin, dass derzeit drei Definitionen zur Ort/Raum-Unterscheidung vorliegen, um dann einen Vorschlag für die stimmigste dieser drei zu geben.

Kritisch zu sehen ist allerdings der Aufbau des ersten Kapitels. Hier wäre in Erwägung zu ziehen, die Erläuterungen zu Begriffen und zur Begriffsgeschichte an den Beginn der Arbeit zu stellen, da so vermutlich im ersten Teil einige Termini nicht genauer hätten erläutert werden müssen. Zudem kommt es im zweiten Teil bei der Betrachtung der Begriffsgeschichte zu einer wiederholten Erläuterung der Raumtheorien. Mit einer anderen Strukturierung im ersten Kapitel hätte dies vermieden werden können. Das dritte Kapitel begründet Rau damit, dass es ein „Mehr“ bringe, sodass verschiedene Bereiche, zum Beispiel in der Geschichte, anders betrachtet werden können. Dieser Begriff ist allerdings zu ungenau und der wirkliche Mehrwert hätte präzisiert werden müssen, denn dem Leser wird das „Mehr“ nicht dargelegt. Zudem lässt Rau weitere Arbeiten zur Raumanalyse außer Acht. Literaturtheoretiker fehlen in der Darlegung der verschiedenen Konzepte und Theorien beispielsweise völlig, wobei die Autorin aber auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Die Arbeit von Susanne Rau tritt deutlich durch ihren einführenden Charakter hervor. Es wird gekonnt Hilfestellung in verschiedenen Bereichen gegeben, wodurch sie sich vor allem für die zu Beginn genannte Zielgruppe eignet. Außerdem dient sie – unter anderem wegen der exemplarischen, anschaulichen Beispiele und der tabellarischen Aufzählungen – als gelungenes Nachschlagewerk. Besonders für Studierende der Geschichtswissenschaft ist die Einführung gewinnbringend, um sich vor allem den praktischen Teil der Raumanalyse anzueignen. Aber auch Studierende anderer Wissenschaften finden in den ersten beiden Kapiteln Hinweise zu Raumkonzepten und -begriffen. Es ist eine empfehlenswerte Lektüre, um sich mit der Geschichte, den verschiedenen Bereichen und der praktischen Anwendbarkeit von Raumbegriff und Raumanalyse auseinanderzusetzen.

Titelbild

Susanne Rau: Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen.
Campus Verlag, Frankfurt 2013.
237 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783593398471

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