Unter Biestern

Erik Larson erzählt vom Leben einer US-Botschafterfamilie im Berlin der dreißiger Jahre

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heute erscheint es unmöglich, sich das Leben im Berlin der Jahre 1933 und 1934 vorzustellen, ohne dabei zwangsläufig an die Verbrechen der Nationalsozialisten zu denken. Sämtliche Ereignisse dieser frühen Phase der Hitler-Diktatur – sei es die Bücherverbrennung, die Aufrufe zum Boykott jüdischer Geschäfte oder die Errichtung der ersten KZs – erlangen zudem unter dem Eindruck dessen, was erst noch folgen sollte, den Charakter unheilvoller Vorzeichen. Doch wie mochte ein vom Wissen um die düstere Zukunft unbelasteter Zeitzeuge all das erlebt haben, ein Außenstehender, der im Sommer 1933 nach Berlin kam und dort für einige Jahre in direkter Nachbarschaft zu den Machtzentren des „Dritten Reichs“ lebte? Autor Erik Larson, der als Reporter unter anderem für das „Wall Street Journal“ arbeitete, stellt den Geschichtsprofessor William Dodd ins Zentrum seines spannenden Sachbuchs „Tiergarten – In the Garden of Beasts“, einen eher unscheinbaren Gelehrten, der für viele der damaligen Beobachter überraschend für den Botschafterposten in Berlin auserwählt worden war – nicht zuletzt deshalb, weil Präsident Franklin D. Roosevelt einige Probleme hatte, die brisante Stelle zu besetzen.

Ein begehrter Ort für Diplomaten war Berlin im Sommer 1933 ganz sicher nicht, auch wenn die Gewaltexzesse der Nazis aus der Anfangsphase nach der Machtergreifung inzwischen nachgelassen hatten. Sehr anschaulich beschreibt Larson den politischen Diskurs, der im Hintergrund der Besetzung der Botschafterstelle wirksam war. Für Roosevelt und viele andere Politiker war Deutschland nicht viel mehr als ein kleines Ärgernis, und das dringendste Problem im Umgang mit der Hitler-Regierung die Begleichung der noch ausstehenden, immensen Kriegsschulden. William Dodd, der mit seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern nach Berlin reiste, war guter Dinge, einen mäßigenden Einfluss auf die antisemitische Politik Hitlers ausüben zu können. Bezeichnend, das Dodd selbst – wie viele andere US-Amerikaner auch – nicht frei von antisemitischen Vorurteilen war und Verständnis für die Verfolgung der Juden durch die Nazis äußerte. In einem Brief, den Dodd aus Berlin an Vize-Außenminister Phillips schrieb, beklagte er sich leicht verklausuliert über den hohen Anteil an „Mitgliedern der auserwählten Rasse“ in seinem Stab und äußerte die Sorge, damit das Verhältnis zur deutschen Regierung zu belasten.

Eine Stärke des Buchs liegt darin, dass Larson seine Hauptfiguren in all ihrer Widersprüchlichkeit und Komplexität charakterisiert. Neben William Dodd geht es vor allem um seine Tochter Martha, eine im Vergleich ungleich schillerndere Gestalt. Während William als ein prinzipientreuer, jegliche Ausschweifung verachtender Intellektueller mit trockenem Humor beschrieben wird, der sich in jeder freien Minute mit der Fertigstellung seines umfangreichen Werks über die Geschichte der Südstaaten beschäftigt, genießt Martha die Partys und Empfänge und vergnügt sich mit den männlichen Mitgliedern der High Society. Die ausgeschmückten Berichte über ihre skandalumwitterten Affären mit Gestapo-Chef Rudolf Diels oder mit Boris, einem Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft, haben zwar im Vergleich zu den gewichtigeren Themen der diplomatischen Krisen oder der alltäglichen Verfolgung von Juden und politischen Gegnern im Reich einen leicht trivialen Touch, sind andererseits aber auch recht aufschlussreich, da sie den allmählichen Wandel Marthas von einer schwärmerischen Bewunderin der Nazi-Bewegung hin zu ihrer überzeugten Gegnerin verdeutlichen.

Es sind vor allem die vielen kleinen Randepisoden des Buchs, die ein plastisches Bild von den Zuständen im Berlin jener Zeit zeichnen. Wenn sich die Dodds etwa bei ihrer Ankunft wundern, warum so viele stattliche Villen leer stehen, offenbart sich hinter dieser scheinbar beiläufigen Beobachtung das menschliche Schicksal der aus ihren Häusern Vertriebenen oder Geflüchteten. Eine günstige Unterkunft erhalten die Dodds schließlich im Erdgeschoss eines stattlichen Herrenhauses in der Tiergartenstraße (hierauf bezieht sich der Titel des Buchs), das dem jüdischen Bankier Panofsky gehört. Als Panofsky, der vor dem Einzug der Dodds in die dritte Etage des Hauses übersiedelt, wenige Monate später seine Familie nachkommen lässt, ist William Dodd über den Lärm der Kinder verärgert, weiß aber andererseits nur zu gut, dass die Anwesenheit der Dodds für Panofskys Familie eine Art Schutzpfand vor einer drohenden Verhaftung bedeutet. Gerade in den Beschreibungen der familiären Angelegenheiten der Dodds spiegeln sich die politischen und atmosphärischen Aggregatzustände des Landes. Sehr eindrücklich fängt Larson die im Frühjahr 1934 grassierende Anspannung ein, die sich bei den Dodds in einer zunehmenden Paranoia äußert, in ihrer Wohnung ausspioniert zu werden. Die ganze Stadt scheint in den Wochen vor der Röhm-Affäre den Atem in banger Erwartung eines schlimmen Ereignisses anzuhalten. Die mitreißende Schilderung der dem großen Gewaltausbruch der so genannten „Nacht der langen Messer“ – der Ermordung von SA-Chef Ernst Röhm und weiterer in Ungnade Gefallener – vorausgehenden Tage und Wochen bezeugt das journalistische Handwerk Larsons.

Zu einem prägnanten Schluss findet der Autor jedoch nicht, was auch mit der nicht konsequent durchgehaltenen Struktur seiner Chronik zusammenhängt: Liegt der Schwerpunkt der Geschichte auf dem ersten Jahr der Dodds in Berlin, mit dem dramatischen Höhepunkt des blutigen Sommers 1934, der William Dodd schließlich die Augen über den barbarischen Charakter der Nazi-Diktatur öffnet, so hat Larson offensichtlich Bedenken, an dieser Stelle sein Buch einfach zu beenden, und hetzt plötzlich – da bereits über 400 Seiten geschrieben sind – in einer Art erzählerischem Schnelldurchlauf durch die restlichen Jahre bis hin zu Dodds Ablösung als Botschafter im Dezember 1937. Die bedeutsamen Ereignisse der Zwischenzeit, wie die militärische Besetzung des Rheinlands im Frühjahr 1936 oder wenige Monate darauf die Olympischen Sommerspiele vor Dodds Haustür in Berlin, werden in wenigen Nebensätzen abgehandelt. Der Autor hätte zugunsten eines konsequenten Endes besser auf dieses oberflächliche Abhaken von geschichtsträchtigen Daten verzichtet. Stattdessen breitet Larson auch noch seitenlang die wechselvollen Nachkriegsbeziehungen von Martha Dodd aus, die vollkommen losgelöst vom eigentlichen Thema des Buchs sind. Da gerät das Ende fast zwangsläufig trivial, wenn es über Marthas ersten Ehemann heißt: „Bassett, der alte, treue Bassett überlebte sie um weitere sechs Jahre.“ Die über weite Strecken des Buchs so überzeugende Erzählstrategie, sich der großen Historie über das Private, und zwar dem Familienleben der Dodds, zu nähern, geht am Ende nicht auf – eben weil die unseligen „Biester“ da schon längst von der Bildfläche verschwunden sind.

Titelbild

Erik Larson: Tiergarten - In the Garden of Beasts. Ein amerikanischer Botschafter in Nazi-Deutschland.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Löcher- Lawrence.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2013.
511 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783455503043

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