Patriotische Frauen, heldische Männer?

Christa Hämmerle enthüllt in einem Sammelband „Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erfreuliche und unerfreuliche Jahrestage haben zumindest eines gemein: Ihrer wird gedacht. Sind sie von wissenschaftlichem Interesse, erscheinen zudem mit einiger Verlässlichkeit verschiedene Monografien und Sammelbände. So auch anlässlich der 100. Jährung des Beginns des Ersten Weltkriegs.

Zu den zahlreichen Publikationen die des „Großen Krieges“ gedenken – wie er bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs genannt wurde –, zählt ein Sammelband, dessen Beiträge allesamt von einer Autorin verfasst wurden. Die Historikerin und Gender-Forscherin Christa Hämmerle hat für ihn eine Reihe ihrer einschlägigen Aufsätze und Studien der letzten Jahre zusammengestellt. Unter dem Titel „Heimat/Front“ beleuchtet die Autorin „Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn“, anhand derer sie aufzeigt, dass das „Erklärungspotential“ einer „synthetischen Darstellung“ der Frauen- und Geschlechtergeschichte des Krieges „umfassend ist und auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge zielt“. Weder die damalige „Kriegsgesellschaft“ noch die Folgen des Krieges können der Österreicherin zufolge „ohne Berücksichtigung der analytischen Kategorie“ Geschlecht „ausreichend erfasst und verstanden“ werden. Denn bereits der Erste Weltkrieg sei als „‚totaler‘ Krieg“ geführt worden und habe zu diesem Zweck „die Mobilisierung der gesamten Gesellschaft“ betrieben. Allerdings setzte bald nach seinem Ende ein „öffentliches Vergessen“ der weiblichen „Kriegsaktivitäten“ ein. Vielleicht ließe sich sogar spezifischer sagen, sie wurden in dem Maße vergessen, wie die Frauen an den Herd zurückgedrängt wurden. Zwar hatte es bereits während des Krieges einige Stimmen gegeben, die vor den der Arbeit in Munitionsfabriken oder als Krankenschwester an der Front „angeblich innewohnenden Gefahren für das ‚Wesen‘ oder die ‚Natur der Frau‘“ warnten oder den Frauen „unlautere Motive unterstellten“. Doch wurden diese Frauen in den Kriegsjahren andererseits nicht nur von der offiziellen Propaganda „vielbesungen“.

Der Vorstellung, dass während des Krieges weit mehr Frauen in Lohnarbeit standen als zuvor, wiederspricht Hämmerle allerdings. Vielmehr sei nur eine „auffallende Verschiebung der Frauenarbeit hin zu kriegswichtigen Bereichen“ zu konstatieren. Gleichwohl „bemühte man sich während des Krieges, und umso mehr unmittelbar einsetzend mit seinem Ende, um eine Re-Etablierung der früheren Ordnung und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung“.

Die Kriegspropaganda schuf zwei geschlechterspezifische „Idealbilder“. Sie zeigten „heldisch kämpfende“ Männer und Frauen, die ihnen „voll patriotischer Inbrunst“ den Rücken freihielten. Beide Bilder wurden jedoch von der „Kriegsrealität“ sehr schnell „konterkariert und aufgehoben“. So kamen etwa mehrere Tausend „Kriegskrankenschwestern“ in unmittelbarer Front- und Gefechtsnähe zum Einsatz.

Ihren Gewalterfahrungen gilt der erste Aufsatz des Bandes. Hämmerle untersucht in ihm autobiografische Texte österreichischer Kriegskrankenschwestern, um deutlich zu machen, „dass die Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg in der Tat zu einem Alptraum werden konnte“. Hämmerle betont die „Ambivalenz und Komplexität“ des Daseins dieser Frauen. Während die Kriegspropaganda ihre „aufopfernde und fürsorgende oder liebende ‚Weiblichkeit‘“ verklärte, wurden sie unter anderem von Seiten der kämpfenden Truppen abgewertet, etwa in dem man sie sexualisierte. Hinzu kamen die unmittelbaren Kriegsgrausamkeiten, mit denen die Frauen nicht nur in Form schwerstverletzter, verstümmelter oder sterbender Soldaten konfrontiert waren. Die Autorin zeigt, dass die „vielfältigen Gewalterfahrungen“ dieser Frauen als „zentrales Leitmotiv“ in ihre autobiographischen Texte eingegangen sind. Der „Horror und der Vernichtungsgewalt des ‚modernen‘ Krieges“ konnten bei den Kriegskrankenschwestern zu ebenso „anhaltender Traumatisierung“ führen wie bei den kämpfenden Soldaten. Tatsächlich, so resümiert, Hämmerle, waren viele dieser Frauen zu Beginn des Krieges „geradezu davon beseelt, ‚dem teuren Vaterland zu dienen‘“, wie sie aus den Erinnerungen einer Kriegskrankenschwester zitiert. Doch zerstoben diese „Kriegsbereitschaft oder sogar die viel zitierte ‚Kriegsbegeisterung‘“ unter den Bedingungen der Kriegsrealität sehr bald.

Ähnliches zeigte sich auch in manchen Feldpostkorrespondenzen mit den Lieben zuhause. Ihnen wendet sich die Autorin in einem anderen Aufsatz am Beispiel der „Feldpostbriefe eines Ehepaares“ zu, das sich zu Neujahr 1914 kennengelernt hatte, sich 1915 verlobte, im April 1917 heiratete und im Frühjahr des folgenden Jahres eine Tochter bekam. In den Monaten und Jahren, die er an der Front war, schrieben beide einander „häufig, mitunter täglich“. In ihren Briefen zeigt sich – wenig erstaunlich –, dass die Feldpost dennoch „nur eine partielle, ständig irritierte Kommunikation ermöglichte, die nicht mehr als einen fragilen Faden darstellte, der häufig zerrissen wurde – und entsprechend verunsicherte“. Darüber hinaus zeigen sie jedoch ebenfalls, dass solche Paare zwar einerseits die „im ideologischen Diskurs geschürte Dichotomie von ‚Heimat‘ und ‚Front‘“ übernahmen, um ihre Konflikte auszutragen, sie jedoch andererseits „mit größter Intensität das Verbindende und Gemeinsame abseits der Realität des Krieges“ suchten. So seien die Briefe nicht nur ein „Ausdruck der Verleugnung“ der Realitäten in der Kriegsgesellschaft, sondern auch eine Form des „Widerstands“ gegen sie.

Neben den Kriegskrankenschwestern beleuchtet Hämmerle am Beispiel „weiblicher (Selbst-)Mobilisierung und die Wiener Arbeitsstuben“ einen anderen kriegswichtigen Einsatzbereich der Frauen. Diesmal weit hinter der Front. In diesem Text weist die Autorin auf „die große Bereitwilligkeit der ‚gemäßigten‘ bürgerlichen und der katholischen, aber auch der sozialdemokratischen Frauenbewegungen“ hin, „sich aktiv für den Krieg zu engagieren“. Allein der radikale Flügel der Frauenbewegung setzte sich vom Kriegsausbruch an und über seine gesamte Dauer hinweg gegen den Krieg ein. Das zu Beginn so enthusiastische Kriegs-Engagement der anderen Frauen beschränkte sich dagegen weithin auf die ersten beiden Kriegsjahre. In den Folgejahren steig die Zahl gegen die Weiterführung des Kriegs protestierender Frauen vielmehr stetig an. Die Kriegsämter versuchten, dem zunehmenden weiblichen Unmut durch die Einrichtung von „Frauenreferaten“ Herr zu werden, die bezeichnenderweise „überwiegend mit Vertreterinnen der ‚gemäßigten‘ Frauenbewegung besetzt wurden“.

In den letzten beiden Texten wendet sich die Autorin stärker dem männlichen Geschlecht zu. Der erste behandelt die Frage, ob der Kriegsteilnehmer und spätere Autor Fritz Weber zu Recht als ‚österreichischer Remarque‘ gepriesen wird. Wie man von Hämmerle erfährt, rückte Weber im Mai 1915 als Artillerist ein und brachte es während des Krieges „vermutlich bis zum Hauptmann“. In den 1920er-Jahren und mehr noch ab 1930 entwickelte er sich zum „fleißigen Romancier und Journalisten“. Als sein „wesentlichstes“ Buch bezeichnete er der Autorin zufolge den 1931 erstmals erschienen Roman „Das Ende der Armee“. Hämmerle tritt nun sehr überzeugend der Annahme einer „Remarque’schen Seite Fritz Webers“ entgegen, die „schon in zeitgenössischen Rezensionen seiner Werke konstruiert“ wurde, und zeigt nachdrücklich, dass Weber aus einer „historisch-kritischen und textanalytischen Perspektive“ vielmehr als „österreichischer Ernst Jünger“ erkennbar wird.

Auch die ersten Abschnitte des letzten Beitrags befassen sich mit Weber. Der Titel des Textes „Krank, feige, muthlos…“ zitiert sogar sein Buch „Das Ende der Armee“. Tatsächlich gilt das Interesse der Autorin hier jedoch weniger dem vermeintlichen „österreichischen Remarque“, als vielmehr der Frage „einer ‚Krise der Männlichkeit‘ nach dem Ersten Weltkrieg.“ Dabei vertritt sie die Auffassung, dass das „Forschungskonzept ‚Krise der Männlichkeit‘“ insbesondere dazu genutzt werden sollte, „das so aufschlussreiche Spannungsverhältnis zwischen Quellenaussagen und längerfristigen Entwicklungen des Geschlechterverhältnisses auszuloten“. Denn so könne gezeigt werden, „dass die Rede von einer ‚Krise der Männlichkeit‘ stets auch gesellschaftliche Funktionen hatte.“

Sicherlich kann der Band aufgrund seiner Konzeption kein geschlossenes Bild der Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkrieges in Österreich-Ungarn bieten, noch intendiert er dies. Doch wirft er einige sehr erhellende Schlaglichter darauf und beleuchtet somit ein nicht nur von der Geschichtswissenschaft bislang noch immer zu wenig bearbeitetes Feld.

Titelbild

Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des ersten Weltkriegs in Österreich- Ungarn.
Böhlau Verlag, Wien 2014.
279 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783205794714

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