Ein Wissenschaftler als Hiob

Ein weiterer Band der Ausgewählten Werke Max Brods ist erschienen – mit einem Vorwort von Stefan Zweig

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Max Brod, wissen wir, hat sich über die letztwillige Verfügung seines Freundes Franz Kafka hinweggesetzt und dessen Manuskripte nicht verbrannt. Franz Kafkas Werke fehlen heute in keinem Literaturkanon, während die Texte des Bestsellerautors der zwanziger und dreißiger Jahre zumeist nur mehr in Bibliotheken zu finden sind, und heute kaum noch gelesen werden. Es ist ein Verdienst der Herausgeber Hans-Gerd Koch und Hans Dieter Zimmermann, dass Brods wichtigste Werke wieder neu zugänglich gemacht werden.

Der hier zu besprechende Roman enthält ein Vorwort von Stefan Zweig aus dem Jahr 1927, ein informatives Nachwort von Roland Reuß, eine editorische Notiz und einen knappen, doch präzisen, Überblick über das Leben des 1884 in Prag geborenen Autors, der 1968 in Tel Aviv starb.

„Tycho Brahes Weg zu Gott“ erschien noch vor der Buchausgabe seit 1915 in sechs Lieferungen in der von René Schickele herausgegebenen Zeitschrift „Die weißen Blätter“. 1917 hat sich die Buchausgabe in Kurt Wolffs Verlag bereits über 50.000 Mal verkauft. Dieser Erfolg ermöglichte es Max Brod, andere Autoren im Verlag zu etablieren, etwa auch Franz Kafka. Diesem hat er den Roman gewidmet: „Meinem Freunde Franz Kafka“.

Max Brod war an der Renaissance interessiert, seine drei historischen Romane spielen in dieser Epoche. Zwei Jahre nach dem „Tycho“ erscheint „Rëubeni. Fürst der Juden“ und 1948 schließlich „Galilei in Gefangenschaft“. Diese Trilogie erhielt den Titel „Kampf um Wahrheit“. Offensichtlich ist, dass es Max Brod dabei nicht um historische Wahrheit geht, auch wenn etwa Stefan Zweig in dem ihm typischen Duktus meint, dass nur wenige Werke „so durchaus den Geist, das Gefühl des Mittelalters“ vermittelten. Brod, als deutschsprachiger Jude Angehöriger einer Minderheit in der Minderheit des damaligen Prag, geht es letztlich um für ihn und seine Zeitgenossen aktuelle Fragen. Es geht um die Suche nach Heimat, die Erfahrung von Sinnlosigkeit, um Liebe und Wissenschaft. Deshalb hält Zweig schließlich auch zurecht fest, dass es falsch wäre „Tycho Brahes Weg zu Gott“ nur als historischen Roman zu lesen, wo er doch mehr „Darstellung eines religiös und moralisch Gegenwärtigen, als einer zeitentfernten Kultur“ sei.

Es ist in etwa das letzte Lebensjahr Tycho Brahes, von der ersten Begegnung der beiden Astronomen Brahe und Kepler auf dem unweit von Prag gelegenen Schloss Benatek, wo Brahe zu dieser Zeit residierte, am 4. Februar 1600, bis zu dessen Übersiedlung nach Prag. Später hat Max Brod versucht, darauf die Aufmerksamkeit zu lenken, dass er sich in der Darstellung Keplers von Adalbert Einstein, den er aus dessen Prager Zeit kannte, inspirieren habe lassen. Für die Lektüre scheint dieser Hinweis allerdings nicht besonders hilfreich, zumal Kepler durchgängig nur von Außen beschrieben wird  als ein Mensch, der sich „nur mit Rechnereien“ abgibt. Brahe erkennt die wissenschaftliche Bedeutung Keplers und hadert mit seinem Leben. Er wird dargestellt als ein vielseitig begabter Mensch, der versucht, seine Stellung in Gesellschaft, Familie und Wissenschaft zu bestimmen. Als aus seinem Heimatland Vertriebener, von Kindern und Ehefrau unverstandener und in der Wissenschaft vom Scheitern Bedrohter kämpft er, das Ende des Lebens vor Augen, darum, den Stellenwert seines Daseins zu bestimmen: „Den Sinn, mein Gott und Herr, den Sinn“.

Max Brod breitet diese Fragestellung auf der Folie religiösen Denkens aus. Das beginnt mit dem einleitenden Motto aus der Genesis, in dem er Jakobs Kampf mit dem Engel zitiert, und endet mit der Gleichsetzung Tychos mit dem Hiob der Bibel. Die Frage nach Wahrheit und Sinn des Lebens wird so jeder Banalität enthoben und in einer Größe sichtbar, die heutzutage für viele antiquiert erscheint. Man kann gerade darin einen Grund sehen, diesen historischen Roman heute wieder neu in die Hand zu nehmen.

Bemerkenswert ist, wie selbstverständlich Brahe in dieser Erzählung in seinem letzten Lebensjahr eine geistige Entwicklung durchmacht, die in seiner zufälligen Begegnung im Vorzimmer des Kaisers mit dem berühmten Rabbi Löwe ben Bazalel gipfelt. Brahe erscheint dabei „das Volk der Juden, heimatlos und flüchtig wie er, stets angefeindet wie er, in seiner Lehre mißverstanden wie er und dennoch daran festhaltend, ausgeraubt und verwundet wie er, dieses Volk der Mißerfolge, förmlich als ein Symbol seines eigenen Lebenswandels“. So fügt er sich in die Reihe der Gerechten, die dafür da sind, „um Gott zu dienen und um ihn zu stützen“. Es geht ihm nicht mehr um Anerkennung, sondern darum, „im Namen Gottes, zur Aufrichtung und Erlösung der Welt“ beizutragen.

Deutlich wird, dass Max Brod in diesem Roman auch über sich selbst schreibt. Über seine jüdische Außenseiterrolle und seinen Bezug zum Judentum. Offensichtlich setzt seine Wendung zum Zionismus bereits in der Zeit der Arbeit an diesem Manuskript ein. 1939 ist er nach Palästina emigriert, von wo aus er den Werken seines Freundes Franz Kafka mit ihrer Herausgabe zur Weltgeltung verhalf.

„Tycho Brahes Weg zu Gott“ wird solche Weltgeltung nicht mehr erringen. Der Roman ist weniger ein Zeugnis für die Mentalität des Mittelalters (wie Zweig gemeint hat), als ein wichtiges Buch, das hilft den Beginn des 20. Jahrhunderts besser zu verstehen. Die in dem Roman eingeschlossene, recht turbulente Liebesgeschichte um Brahes Tochter Elisabeth steuert dazu auch etwas Unterhaltung bei.

Titelbild

Max Brod: Tycho Brahes Weg zu Gott. Roman.
Mit einem Vorwort von Stefan Zweig.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013.
328 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835313347

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