Chancenlose Freundschaft

In „Iman“ von Ryad Assani-Razaki suchen drei Jugendliche nach einem besseren Leben

Von Martin BeckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Becker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gewalt und Brutalität bestimmen das Leben von Tounami. Als Kind verkauft, lernt er bei der Menschenhändlerin zuerst Alissa kennen, die er Jahre später wieder treffen wird. Tounami wird von seinem Besitzer schwer misshandelt und von Iman gerettet. Tounami verliert durch die Misshandlungen ein Bein, doch Iman kümmert sich aufopferungsvoll um ihn. Von nun an sind die beiden Freunde. Iman erlebt ebenfalls Gewalt durch seinen Stiefvater und leidet an dem distanzierten Verhältnis zu seiner Mutter, die versucht, ihn durch ihre Kälte zu schützen. Diese Freundschaft wird durch Alissa auf eine harte Probe gestellt, denn beide Jungen finden Alissa äußerst anziehend. Diese Konstellation endet in einer Katastrophe, doch ist der Roman mehr als eine einfache Liebesgeschichte.

Er erzählt aus verschiedenen Perspektiven von Hoffnung auf ein besseres Leben inmitten von brutaler Gewalt in einem namenlosen afrikanischen Land. Alissa hat sich lange mit ihrem Leben als Haussklavin abgefunden und emanzipiert sich von ihrer Herrin. Sie beginnt eine Ausbildung zur Schneiderin und versucht, unabhängig zu werden. Iman hat einen weißen Europäer zum Vater, den er nicht kennt und projiziert seine Hoffnungen auf Europa. Für die Flucht nach Europa würde er sein Leben hinter sich lassen. Tounami denkt wenig an die Zukunft, doch als er Alissa wiedersieht, verliebt er sich sofort in sie.

Der Roman beschwört immer wieder die Kraft der Freundschaft und wie wichtig sie für die menschliche Identität ist:

„Aber wer war ich für mich selbst? Keiner hat mich je dazu aufgefordert, mir diese Frage zu stellen, denn alle hatten eine eigene Antwort darauf, eine Antwort, die sie mir wie mit einem glühenden Brandeisen auf den Körper prägten. Iman war der Erste, der mich dazu anregte, mir Gedanken über mich selbst zu machen. Denn er nannte mich seinen Freund.“

Am Ende sind aber alle drei alleine. Die Hoffnung wird durch Gewalt und die eigene Unfähigkeit über Gefühle und Wünsche zu reden, zerstört. Der Roman zeichnet ein düsteres Bild vom Leben, in dem Freundschaft und Liebe nicht stark genug sind.

Leider wirken die Figuren dabei oft stark konstruiert und nicht immer lebensecht. Während sie auf der einen Seite ihre Gefühle genau reflektieren können, sind sie nie in der Lage, sie zu kommunizieren. Auch die ausführlich erzählte Familiengeschichte von Iman wirkt ein wenig zu lang. Die religiöse Großmutter, die sich in das von Gott verhängte Schicksal fügt, und die Mutter, die sich durch ihren europäischen Liebhaber schließlich emanzipiert und einen eigenen Friseursalon eröffnet, sind zwei (zu) deutlich markierte alternative Lebensentwürfe, die für die Jugend nicht mehr infrage kommen. Darüber hinaus wirken die Selbstreflexionen von Alissa über ihre Rolle als Frau stereotyp, wenn sie in einem inneren Monolog über ihre Beziehung zu Tounami sagt:

„Du bist der Himmel, zu dem ich auffliege, die Oberfläche des Sees, die ich verzweifelt zu erreichen versuche, um nicht zu ertrinken. Ich habe das Haus meiner Mama verlassen, meine einzige Sicherheit im Leben, und bin zu dir gekommen. Denn du ziehst mich an wie eine Glühbirne die Libelle. Tounami, du bist mein Licht. Das wurde mir in dem Moment klar, als ich deine Hütte betrat und mir als Erstes überlegte, wo ich meine Nähmaschine hinstellen würde.“ Die Erzählung driftet oft in diese Art von Pathos ab und kommt auch nicht ohne geradezu schicksalhafte Wendungen aus, die der Erzählung trotzdem nicht den Anstrich von Märchen geben, den der Klappentext beschwört.

Dennoch gibt der Roman von Ryad Assani-Razaki interessante Einblicke in menschliche Lebenswirklichkeiten, die sich in ihrer Suche nach Freundschaft und Liebe nicht von europäischen unterscheiden. Erst die gesellschaftlichen Umstände machen diese Suche zu einer Tragödie.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Ryad Assani-Razaki: Iman. Roman.
Übersetzt aus dem Französisch-Kanadischen von Sonja Finck.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014.
316 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132543

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