Nachdenken statt Krieg führen!

Zur richtigen Zeit erschienen: die Einführung in die „Philosophie der internationalen Politik“ von Frank Dietrich und Véronique Zanetti

Von Sönke AbeldtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sönke Abeldt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Blick in die Auslandsseiten der Zeitungen: Krieg in der Ukraine, Flüchtlings-Dramen im Mittelmeer, Boko-Haram-Terror in Nigeria, Streit um das transatlantische Freihandelsabkommen – und da war doch noch die Forderung nach mehr militärischer Verantwortung Deutschlands in der Welt. In der aktuellen globalen Gemengelage kommt das Buch „Philosophie der internationalen Politik“ von Frank Dietrich und Véronique Zanetti wie gerufen. Das Werk aus der Reihe „Zur Einführung“ aus dem Junius-Verlag ist ein brillanter philosophischer Kommentar zu wichtigen internationalen Debatten.

Das Philosophen-Duo aus Bielefeld und Düsseldorf steigt in die normativen Dimensionen der internationalen Politik ein und stellt grundsätzliche Fragen: Welche Rechte und Pflichten sollen sich Staaten untereinander einräumen, und wie sind einzelne Menschen davon betroffen? Worauf basiert die Souveränität eines Staates, und darf sie von außen angetastet werden? Nach welchen Grundsätzen sollen zwischenstaatliche Beziehungen (rechtlich) gestaltet, und wie sollen Lasten und Nutzen globalen Handelns verteilt werden? Es stehen ausgewählte Felder der internationalen Politik im Fokus: Véronique Zanetti hat die Kapitel über „Krieg, humanitäre Intervention und Terrorismus“ sowie über „Weltarmut und Hunger“ geschrieben. Frank Dietrich nimmt sich die Themen „Sezession“, „Migration“ und „Klimawandel“ vor.

Der schmale Band setzt mit einem Grundthema der internationalen Politik ein: Krieg und seine Rechtfertigung. Véronique Zanetti blickt zunächst historisch auf die Lehren zum „gerechten“ Krieg zurück. Gemeint waren ursprünglich Kriege zwischen Staaten. Heute sollte hingegen von „neuen Kriegen“ gesprochen werden: unklare innerstaatliche Konfliktlinien, viele substaatliche und paramilitärische Akteure, undurchsichtige finanzielle und kriminelle Interessen. Zanetti widmet sich dem Problem, ob sich ein Staat mit Waffengewalt in innere Konflikte eines anderen Staates einmischen darf. Besteht ein Recht auf humanitäre Intervention? Wer darf dieses Recht in Anspruch nehmen: Individuen oder Staaten?

Wie auch immer die Entscheidung ausfällt: Militärische Eingriffe sind für die Autorin eine „Provokation der Ethik“, selbst wenn sie im Namen der Menschenrechte geschehen. Der „tiefe Widerspruch“ bestehe darin, dass der Tod von Unschuldigen in Kauf genommen werde, um andere vor staatlichen Verbrechen zu schützen. Zanetti merkt außerdem an, dass häufig das ius post bellum vernachlässigt worden sei. Der eingreifende Staat sei verantwortlich für die Stabilisierung der Ordnung und das peace building nach dem Krieg.

Prüfstein Ukraine

Wie eine philosophische Folie zur Ukraine-Krise liest sich das von Frank Dietrich verfasste Kapitel über Sezession. Seine Frage lautet: Darf eine Bevölkerungsgruppe „den Herrschaftsanspruch des bestehenden Staates zurückweisen und eine unabhängige politische Gemeinschaft gründen“? Dietrich, der 2010 eine Studie zu „Sezession und Demokratie“ veröffentlichte, erläutert drei Positionen. Eine Abspaltung ließe sich erstens so begründen: Eine Gruppe müsse den Staat verlassen, weil sie permanentem Unrecht ausgesetzt ist. Zweitens können sich Separatisten als „Nation“ sehen und ein Recht auf Selbstbestimmung reklamieren. Drittens kann eine Sezession auch per Volksabstimmung beschlossen werden. Ist sie damit aber schon gerechtfertigt?

Zwar behandelt Dietrich die Unabhängigkeitswahlen in der Ost-Ukraine nicht explizit – dafür sind die Entwicklungen dort zu aktuell. Doch spannend wäre es sicher zu testen, welche Begründungsmuster im Ukraine-Konflikt zum Tragen kommen: sowohl von Seiten der Separatisten als auch vom Mutterstaat, der einen drohenden Staatszerfall militärisch zu verhindert versucht. Auf der Handlungsebene spielen philosophische Diskussionen wohl keine Rolle mehr: Im Bürgerkrieg sprechen die Waffen. Letztlich erweist sich die Ukraine-Krise als Konflikt zwischen den USA, der Europäischen Union einerseits und Russland andererseits. Sollte sich Russland entschließen, die abtrünnigen Gebiete staatlich anzuerkennen, dreht sich die Rechtslage; dann könnte ein militärisches Vorgehen gegen die Separatisten als Angriff gegen einen souveränen Staat gewertet werden, so Ralph Janik in einem juristischen Internet-Kommentar. Gegenüber dieser machtpolitischen Dynamik geraten philosophische Begründungsdebatten ins Hintertreffen.

Zu idealistisch?

Der Vorwurf liegt auf der Hand: Bleibt Philosophie im Idealismus stecken? Und übernehmen die Realisten das Feld? Auf das Problem weisen Dietrich und Zanetti schon in ihrer Einleitung hin. Sie stoßen darauf auch in den weiteren Kapiteln. Weltarmut: Die ungleiche Verhandlungsmacht zwischen den Staaten sowie internationale Regime der ökonomischen Verteilung verstetigen die Kluft zwischen Arm und Reich. Klimawandel: Staatliche Einzelinteressen blockieren wirksame Klimaabkommen.

Dennoch, so die Autoren, laufe der Realismus „Gefahr, Frieden mit der schlechten Wirklichkeit zu machen“. Philosophie der internationalen Politik müsse nicht notwendig auf „ein moralisches Ideal als kritischen Bewertungsmaßstab“ verzichten. Dietrich und Zanetti wollen sich an die Perspektive des „normativen Individualismus“ halten. Politische Regeln, Institutionen und Entscheidungen sollen also daran gemessen werden, ob sie basale Freiheitsrechte beachten.

Trotz dieser methodischen Engführung wird selbst der Realist das Buch mit Gewinn studieren: Die gut durchdachten Kapitel bieten eine Bestandsaufnahme der Themenfelder, liefern saubere Begriffsarbeit und wägen kritische Punkte differenziert ab. Wichtige völkerrechtliche sowie philosophische (liberale, egalitäre, nationale, utilitaristische, realistische, verteilungstheoretische) Ansätze kommen zu Wort. Der Leser profitiert doppelt: Zum einen erhält er einen klaren Überblick über die ausgewählten Diskussionen in der internationalen Politik. Zum anderen geben die Autoren einen hervorragenden Grundkurs für konkretes philosophisches Denken. Tatsächlich steckt eine Menge Ethik in der internationalen Politik.

Titelbild

Frank Dietrich / Véronique Zanetti: Philosophie der internationalen Politik. Zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2014.
192 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783885060819

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