Von Arbeiterinnen und anderen AktivistInnen

Ralf Ruckus übersetzt den von Hao Ren herausgegebenen Bericht über Streiks in Südchina

Von Astrid LipinskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Astrid Lipinsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man muss als erstes über Formales reden: Es gibt ja diese hochgradig gender-sensiblen und frauenfreundlichen Männer; Ralf Ruckus ist einer von ihnen. Sein Thema, die Arbeiter und ihre Aktivitäten, macht es ihm zusätzlich schwer: Arbeiter und ihre Organisationen sind, nicht nur in China, ein Hort unreflektierter und allgegenwärtig dominanter Männlichkeit. Dass die Frauen ausgeblendet werden, ist für Ruckus allerdings keine Option. Das chinesische Original, das er übersetzt, hilft hier leider nicht: Üblicherweise ‚meint‘ die männliche Form wie im Deutschen beide Geschlechter. Nur wo absolut hundertprozentig Frauen drin sind, ergänzt das Chinesische ein „nü“, für Arbeiterinnen (nügong) oder die Minderzahl weiblicher Abgeordneter im Nationalen Volkskongress (23,4 % im 2013 gewählten NVK: nü daibiao). Ruckus will die Frauen sichtbar mit-meinen und entscheidet sich in seiner deutschen Übersetzung für das große Binnen-I. Die Leserin begreift schnell, dass bei ArbeiterInnen, anders als bei Arbeiterinnen entweder ein Mann dabei ist oder man es dem Herkunftstext nicht genau entnehmen kann. Die von Ruckus gewählte Methode macht Frauen sichtbar, das stimmt schon, aber den Text auch holprig zu lesen. Frau fragt sich die ganze Zeit, wieviele Frauen es denn nun waren? Mehr als eine? Die Mehrzahl? Denn vielfach, der Text sagt es, sind Chinas Produktionsarbeiterinnen und Hauptbetroffene weiblich.

Soviel zur Form, die vom Inhalt ablenken könnte, aber keinesfalls sollte. Der Übersetzer sollte prüfen, ob und welche Auswirkungen sein Binnen-I auf die Leser aus den nichtakademischen deutschsprachigen Gewerkschaftskreisen hat. Sollte der Stolperstein-Effekt sich bewahrheiten, wird damit weder den chinesischen Arbeitern noch den Arbeiterinnen ein Dienst erwiesen und diejenigen, die das Buch vor allem lesen sollten, werden abgeschreckt.

Aktualität

Ralf Ruckus übersetzt eine chinesische Textsammlung von 2011. An der wachsenden Zahl von Arbeiterprotesten gerade in den Sonderwirtschaftszonen im Süden Chinas hat sich aber in den vergangenen Jahren wenig bis nichts geändert. Für aktuellere Einzelfälle verweist das Buch außerdem zusätzlich auf die Website, auf der sich kontinuierlich Kommentare und Updates zu den im Buch berichteten Streiks finden lassen. Das Buch berichtet ein Dutzend Streiks ausführlich, davon fünf aus der Sicht von Arbeiterinnen. Im Gegensatz zu anderen Interview-basierten Untersuchungen mit einem großen Männer-Überhang sind die Frauen und die Stimmen der Frauen in dieser Studie gut repräsentiert, auch wenn der Frauenanteil nicht dem tatsächlichen Anteil (über 95%) der Frauen unter den Produktionsarbeitern entspricht.

Gründe für Streiks

„Streiks im Perlflussdelta“ ist auf Grundlage der wichtigsten Streikursachen gegliedert, die gleichzeitig als die zentralen identifiziert werden: Fabrikschließungen, Lohnsenkungen und Lohnerhöhungen. Dazu kommen eher unwichtige oder marginale Beschwerdegründe wie der Schmutz im Arbeiterwohnheim oder die Würmer im Kantinenessen des Betriebs. Die Berichte beklagen die mangelnde Organisation der Streiks bis hin zum Forderungskatalog: Weil keiner vorliegt, schaffen es irrelevante Kleinigkeiten auf die Beschwerdeliste, während die grundsätzlichen Mängelklagen verschwinden.

Die einzelnen Fallgeschichten belegen generelle Charakteristika der chinesischen Streiks:

- Frauen demonstrieren in der ersten Reihe, weil Polizisten sie als Frauen nicht körperlich anzugreifen wagen, und sie so die Männer hinter ihnen vor der Polizei schützen;

- Langjährige und im Betrieb gut vernetzte Angestellte können eher ein kollektives Streikbündnis erreichen als junge Jobhopper; weithin übliche hohe Fluktuation schadet nachhaltigen Streiks;

- Streiken lässt sich umso besser und wirksamer, je größer der Betrieb ist. Das bedeutet auch, dass nicht unbedingt dort gestreikt wird, wo am wenigsten bezahlt und am meisten Überstunden verlangt werden.

Weiji – Chancen und Risiken der Wahrnehmung durch Übersetzung

Dank der Förderung durch die Stadt Wien und die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt in Berlin sowie entsprechendem Interesse von Verlagsseite besteht mit „Streiks im Perlflussdelta“ die einmalige Gelegenheit, sich in deutscher Sprache und aktuell über Chinas Arbeitskonflikte, wie sie sich häufig als Kurznotizen in der Tageszeitung finden zu informieren. Nicht nur der Gewerkschaftsfunktionär, sondern auch der deutsche Manager mit dem Jobangebot aus China sollte es lesen: Weil er nämlich nicht nur der Perspektive der ArbeiterInnen ausgesetzt wird, sondern auch erfährt, um welche Winzigkeiten es ihnen häufig geht: Nicht die Unterbringung in Massenschlafsälen und das Zusammenpferchen von drei Personen pro Bett wird beklagt, sondern die einzige Toilette für Hunderte von ArbeiterInnen in der Fabrikhalle. Außerdem berichtet das Buch aus ihrem Alltag und dass die Krönung einer Woche voller Überstunden ein freier Tag ist.

Das ist mehr, als ein nicht Chinesisch Sprechender sonst in gedruckter Form über diese Dinge erfahren kann. Wer sich allerdings fragt, was die „Arbeitsbehörde“ der Regierung ist und wer „Leiter des Bezirkskomitees“ ist, außer dass beide Stellen den Staat vertreten, muss in den chinesischen Originaltext blicken, kann sich aber relativ sicher sein, dass sich „Komitee“ hier nicht auf eine Untergliederung der Kommunistischen Partei bezieht.

Titelbild

Ren Hao: Streiks im Perlflussdelta. ArbeiterInnenwiderstand in Chinas Weltmarktfabriken.
Herausgegeben und übersetzt aus dem Englischen von Ralf Ruckus.
Mandelbaum Verlag, Wien 2014.
200 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783854766339

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