Den Klassenkampf werden Andere besorgen

Eva Demskis „Scheintod“ erscheint bereits im dritten Verlag

Von Daniel LucasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Lucas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass ein Buch eine zweite oder dritte Auflage erfährt, ist nicht allzu ungewöhnlich. Das Erscheinen in einem dritten Verlag schon eher. Nach seiner Erstveröffentlichung im Carl Hanser Verlag 1984 und seiner Wiederveröffentlichung im Schöffling Verlag im Jahr 2000 ist der Roman pünktlich zu seinem 30. Geburtstag im Berliner Insel Verlag erneut aufgelegt worden. Den Titel scheint es irgendwie nach Norden zu ziehen. Es stellt sich nur die Frage, ob es notwendig ist, ihn immer wieder neu zu veröffentlichen.

Zum Inhalt: Nach dem Tod eines jungen Anwalts der linken Szene muss dessen Frau, von welcher er schon längere Zeit getrennt lebte, sich den unausweichlichen Formalitäten stellen, die das Ableben eines Menschen mit sich bringt. Die zwölf Tage zwischen seinem Tod und der Beisetzung werden zu einer Reise in die gemeinsame Vergangenheit. Gleichzeitig verwischen Klienten des Mannes das Bild von ihm, Polizei und RAF halten die Frau davon ab, trauernde Witwe zu sein. Zwölf Tage, wiedergegeben in zwölf Kapiteln, um den Schwiegereltern, den Freunden und sich selbst gerecht zu werden.

Demski schreibt in ihrem Roman zurückhaltend, eher beobachtend und doch empathisch, nicht ins Protokollhafte verfallend. Sie versucht weder dem Politischen noch dem Privaten den Vorrang zu geben. Auf diese Weise entsteht ein Spannungsfeld zwischen der eigenen, subjektiven Trauer und dem Versuch, den Ansprüchen der Anderen zu genügen.

Man sollte diesen Roman jedoch nicht als die Liebesgeschichte lesen, als welcher er im Klappentext angepriesen wird. „Scheintod“ ist kein Text einer Liebe in Zeiten der politischen Unruhen, sondern eine Reflexion über das Verhältnis des Individuums zur Gruppe. Wirklich durchdringen kann man dieses Buch nur, wenn man ein empathisches Verständnis von den Diskussionslinien innerhalb der radikalen Linken hat – damals wie heute. Es wäre deswegen falsch zu behaupten, dass die politische Komponente bei der aktuellen Lektüre weiter zurückträte – wie es beispielsweise Peter Mohr in seiner Rezension zur Wiederveröffentlichung im Schöffling Verlag in dieser Zeitschrift behauptet hat. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass die politischen Debatten von erstaunlicher Aktualität sind.

Neben diesem politischen Strang ist aber auch das Verhältnis vom Menschen zur Welt ein zentrales Thema von „Scheintod“. Der Einzelne, der lebt, ist Teil eines Netzes. Er hinterlässt Andere, wenn er nicht mehr ist. Dass die Welt sich mit dem Tod nicht ändert, sondern aufhört, wie Wittgenstein im „Tractatus logico-philosophicus“ behauptet, gilt entsprechend nur für den Toten. Für die, die noch in der Welt sind, ist der Tod im Stande, alles zu verändern.

Diese Romanwelt, mit ihren linken Aktivisten, den Verrückten und Exzentrikern, der repressiven Polizei und den katholischen Schwiegereltern, bietet keine Antworten – weder auf Fragen der politischen Theorie und Praxis noch zum Umgang mit dem Tod und dem Sterben. Was sie jedoch bietet, ist ein kurzer Blick in das Frankfurt der 1970er Jahre und in die Widersprüche der menschlichen Existenz.

Es ist ein lesenswerter Roman, aber eben kein Werk, welches unbedingt gelesen werden muss.  Eine Verschwendung von Papier und Zeit kann man dem Insel Verlag jedoch auch keinesfalls vorwerfen, ist es Demski doch vor 30 Jahren gelungen, einen Roman zu verfassen, der eine traurige Zeitlosigkeit besitzt: Was eine Wiederauflage erklärt, aber nicht unbedingt rechtfertigt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Eva Demski: Scheintod. Roman.
Insel Verlag, Berlin 2014.
399 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783458175933

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