Spurensuche in Ägypten

Olen Steinhauer versucht sich an den Wirren des arabischen Frühlings – „Die Kairo-Affäre“ wird damit zur Studie ohne Thrill

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Aufstände in Nordafrika, mit denen einige jahrzehntealte Diktaturen zerstört wurden, haben in der jüngeren Geschichte für einiges Aufsehen gesorgt. Ohne dass das Ende dieser Geschichten bereits klar ist – wie sollte es auch, werden doch hier in der Tat Kulturkämpfe ausgefochten –, für den Thriller bieten diese Ereignisse, Revolten und Revolutionen eine willkommene Spielfläche. Es existieren umfängliche Gemengelagen und Interessenskonflikte, in denen sich geheime Aktivitäten, die ja nun mal das Thema des Thrillers sind, umfassend entfalten können. USA, Russland, China, die alten und neuen Mächte, die um Einfluss und Macht kämpfen, und die Einzelnen, die in diesen Übergangssituationen ihr Überleben oder ihr Auskommen zu sichern versuchen: All das bietet Stoff genug für Jahrzehnte von Thrillern. Olen Steinhauer hat diese Chance erkannt und mit „Die Kairo-Affäre“ seine Geschichte zum arabischen Frühling erzählt, zumindest eine Detailgeschichte, die sich in diese Metavorgänge hinreichend einfügt.

Im Jahr 2011 werden Repräsentanten der libyschen Opposition, die im Exil leben, entführt und zum Teil tot aufgefunden. Diese unscheinbaren Nachrichten werden von einem CIA-Mitarbeiter wahrgenommen, der eine auffällige Ähnlichkeit mit einem Plan entdeckt, den er selbst kurz vorher entwickelt hat. Dessen Ziel: der Sturz des Gaddafi-Regimes, unterstützt durch den amerikanischen Geheimdienst.

Das Problem dabei: Der Plan wurde abgelehnt. Jetzt aber doch durchgeführt? Was den jungen Analytiker, der selbst Sohn eines libyschen Oppositionellen ist, folgern lässt, dass der CIA ohne sein Wissen seinen Plan doch durchführt. Allerdings nicht, um einen Aufstand zum Erfolg zu führen, sondern um ihn für seine Zwecke zu nutzen. Der Mann nimmt das zum Anlass, nach Ungarn zu reisen, um mit einem ehemaligen Kairoer CIA-Kollegen zu reden. Danach lässt er sich nach Libyen eskortieren, um sich dort bei erstbester Gelegenheit erschießen zu lassen. Ende der Geschichte? Nein.

Denn der in Ungarn stationierte CIA-Mann wird kurze Zeit später erschossen, ausgerechnet in dem Moment, als er seine Frau damit konfrontiert, dass sie ihn in ihrer Kairoer Zeit mit einem Kollegen betrogen hat. Als Abschied keine gute Szenerie. Dies motiviert die Frau dazu, nicht zu trauern, sondern sie versucht herauszufinden, wer ihren Mann eigentlich ermordet hat. Also fliegt sie kurzerhand nach Kairo und begibt sich auf Spurensuche, rennt herum und fragt Leute aus.

Herumrennen und Leute fragen ist ohnehin die Basis dieses Thrillers, was eben auch sein Problem ist. Steinhauer lässt noch ein, zwei weitere Figuren los (den Ex-Lover der Witwe und den Bewacher des CIA-Analysten), bringt auch noch ein bisschen Vergangenheit, Schuld und Verhängnis hinein (der in Ungarn ermordete CIA-Agent und seine Frau wurden irgendwie Anfang der 1990er-Jahre in den damaligen Serbienkonflikt verwickelt, um herauszubekommen, wie es da draußen in der Welt ist).

Das führt nun dazu, dass die Figuren eine Menge miteinander sprechen, was dann irgendwie zur Aufklärung des Ganzen beitragen wird. Und in der Tat gibt es nach einer Reihe von Variationen, die durchgespielt werden, schließlich ein Ergebnis. Ob das am Ende die Wahrheit ist, wird man als bewusste Unsicherheit des Genres in Kauf nehmen müssen.

Problem des Textes ist jedoch, dass er nicht nur die sukzessive Aufklärung eines bewusst verschleierten Falles vorantreibt, sondern auch noch verschiedene Möglichkeiten und verschiedene Perspektiven durcharbeiten will. Das macht er derart gründlich und ausführlich, dass die Erkenntnis selbst ein wenig untergeht, um nicht zu sagen: Man liest am Ende die Seiten so schnell wie möglich herunter, damit man mit dem Roman und seiner Auflösung endlich fertig ist. Das ist Lesearbeit, die sein muss, damit man den Lohn einfahren kann.

Dafür ist das Ergebnis aber am Ende ein bisschen zu banal. Keine Frage, es gibt genügend Leichen – das ist es nicht. Aber die Motivation (Geldgier und Überlebenstrieb), die hinter dem Ganzen steht, nivelliert die Fallhöhe doch entschieden. Da wünscht man sich im Gegenzug doch nun wieder das eine oder andere Schurkenregime mit seinen geheimnisvollen und ränkeschmiedenden Geheimagenten zurück, die im Interesse der ganz und gar nicht heroischen Weltmacht über Leichen gehen, die der eigenen, wie der anderen Leute.

In Zeiten des profanen Chaos‘ aber lösen sich die Intrigen der Weltmächte ins Private auf. Selbst die Diktatoren sind nur arme Würstchen, die um ihre Leben bangen und gar nicht so sinistren Wünschen und Begierden folgen. Was waren das also für Zeiten, in denen es im Thriller nicht nur Affären, sondern noch wirkliche Schweinereien gab.

Titelbild

Olen Steinhauer: Die Kairo-Affäre. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein.
Blessing Verlag, München 2014.
494 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783896675194

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