Eine bedeutende Verlegerpersönlichkeit

„Siegfried Unseld. Sein Leben in Bildern und Texten“ ist ein hervorragendes Kompendium der europäischen Literatur-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts

Von Clemens GötzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clemens Götze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinem künstlerischen und auch intellektuell anspruchsvollen Verlagsprogramm hat der 2002 verstorbene Verleger Siegfried Unseld das geistige Leben im deutschsprachigen Raum jahrzehntelang maßgeblich beeinflusst. Autoren wie Hermann Hesse, Max Frisch, Thomas Bernhard und Peter Handke verhalfen dem Suhrkamp Verlag zu großem Ansehen. Am 28. September wäre Unseld 90 Jahre alt geworden.

Der aus diesem Anlass erschienene Band „Siegfried Unseld. Sein leben in Bildern und Texten“ illustriert das beachtliche Lebenswerk eines der wohl bedeutendsten Verleger-Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts. Hier wird Lebensgeschichte zur Verlagsgeschichte, anhand derer man vorzüglich die gesellschaftspolitischen Entwicklungen der Bundesrepublik seit den 1950er-Jahren ablesen kann. Der äußerst ansehnliche Band mit Leinen und Fadenheftung in Manier etwa des Henschelverlages zu Diven wie Marlene Dietrich oder Romy Schneider zeichnet durch Bilder (von Fotos über Dokumente bis zu privaten Aufzeichnungen), die von Äußerungen Unselds kommentiert werden, eine bildgewaltige Autobiografie des großen Verlegers – und man gewinnt dabei beinahe den Eindruck eines Ausstellungsbegleitbandes, so detailreich und gut recherchiert zeigt sich das Werk. Klug gesetzte Kommentare, höchst interessante Zitate und sorgfältig ausgewählte Dokumente geben dem Band eine gediegene und vom Erscheinungsbild fast wissenschaftliche Note, ohne dabei jedoch mit Informationen zu erschlagen.

Siegfried Unseld, seit Beginn der 1950er-Jahre Mitarbeiter im Suhrkamp Verlag und ab 1959 Verleger, formierte mit Beginn der 1960er-Jahre die Neuausrichtung des Traditionshauses, die durch Modernisierung und Expansion neue Wege einschlug. 43 Jahre wirkte Unseld bei Suhrkamp und machte aus dem Haus einen Verlag mit Kultstatus, dessen Einfluss auf das europäische Geistesleben und den deutschen Literaturbetrieb unbestritten hoch war und schließlich zu mehr als nur eine Marke, nämlich zu einer Institution avancierte. Dessen Charakteristika – eine Programmleitlinie, die im literarischen wie theoretischen Bereich auf Entdeckungen vertraut, Veröffentlichung von Autoren und nicht von Einzelbüchern, Buchreihen, die sich an die unterschiedlichsten Leserkreise wenden, Debattenbücher zur Durchsetzung aufklärerischer Positionen, Vermittlung von Literatur und Theorie aus allen Weltgegenden – garantieren dem Verlag bis heute ein „Alleinstellungsmerkmal“. Diese Leistung Unselds zu würdigen, machte einen solchen Prachtband geradezu notwendig.

Nicht selten sieht man Unseld in diesem Buch am Rednerpult stehen, ein Bild des öffentlichen Mannes, der nicht nur durch seine Verlegertätigkeit am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, sondern sich gleichsam wie ein Mentor mit seinen Autoren umgibt, nicht aber, weil deren Glanz auf ihn abstrahlte, sondern, weil Unseld damit lediglich zeigte, wer er war: Ein herausragender Intellektueller mit einem Gespür für Texte und Marktentwicklungen wie auch Leserbedürfnisse. Über Unselds persönliche Beziehung zu seinen Autoren geben an anderer Stelle weitere Zeugnisse Aufschluss, beispielsweise der Briefwechsel des Verlegers mit seinem keineswegs immer einfachen Autors Thomas Bernhard.

Konzipiert als Chronik in Wort und Bild erzählt der Band viele sehr unterschiedliche Geschichten, die über die bloßen Lebensläufe seiner wichtigsten Protagonisten hinausgehen: Die Unternehmensgeschichte von Suhrkamp war stets (und ist es bis heute) eine, die von Debatten und Diskursen, von Missionen und Machtkämpfen geprägt ist. Man erfährt Hintergründe über Verlagspolitisches und Unternehmensphilosophisches wie die Lancierung der Suhrkamp-Taschenbuchreihe oder den Erwerb des Insel Verlags, den Lektorenaufstand von 1968 die Beziehungen des Verlegers zu seinen Autoren, so etwa über den Einfluss von Hans Magnus Enzensberger als literarischer Berater. Bei der Fülle an Ereignissen eines beachtlichen Lebens und einer erfolgreichen Verlagsgeschichte ist es bei einer Publikation dieser Art nur verständlich, dass vieles nur schemenhaft abgebildet werden kann. Immerhin ist der Band ja auch keine Biografie im klassischen Sinne, sondern eine äußerst gelungene Komposition aus Bild und Text, die zum Nachlesen und Vertiefen anregt.

Viel Privates zum Mensch Unseld erfährt man allerdings nicht, zumindest nicht in dem Umfang, wie man es sich als Leser vielleicht erhofft hätte. Unselds Leben erscheint hier wie eine Bilderbuchkarriere der Nachkriegszeit. Mit einigen Anekdoten, versteht sich. Amüsant etwa die Passage zu Unselds Promotion über Hermann Hesse und sein Geschick, sich bei Suhrkamp zu empfehlen, um sich danach als unentbehrliche rechte Hand zu etablieren.

Nur an wenigen Stellen könnte man nachdenklich werden, beinahe gerührt – etwa bei der Entfremdungsgeschichte Unselds mit seinem Sohn, die im Zerwürfnis 1993 endete. Das Folgekapitel einer gelungenen Kronprinzenepisode bleibt dabei jedoch ausgespart. Kein Wunder also, dass der Verleger bei dieser Hommage keineswegs überkritisch ausgeleuchtet wird; dies liefe dem Projekt freilich zuwider. Doch das stört den interessierten Leser keineswegs, bieten sich ihm doch jede Menge Anekdoten und Schmankerl rund um den Suhrkamp Verlag und die Zeitgeschichte. Ein regelrechter Schmöker für lange Herbstnachmittage, an denen man mühelos in eine Welt eintauchen kann, die Lebens-, Verlags- und Kulturgeschichte in wohlsortierten Dosen aufbereitet.

Titelbild

Raimund Fellinger / Matthias Reiner (Hg.): Siegfried Unseld. Sein Leben in Bildern und Texten.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
335 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783518424605

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