Shakespeare jugendfrei
Sylvia Schopfs kindgerechte Nacherzählungen von Shakespeare-Dramen
Von Stefani Brusberg-Kiermeier
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseShakespeares Theaterstücke in einer passenden und angemessenen Weise für Kinder zu präsentieren, ist ein lobenswertes Unterfangen, das im englischen Sprachraum auf eine jahrhundertealte Geschichte zurückblicken kann, in Deutschland sozusagen aber selbst noch „in den Kinderschuhen“ steckt. Diese Entwicklung in der englischen Sprache, die mit den Nacherzählungen von Charles und Mary Lamb zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann und über vereinfachte Klassiker in preiswerten Ladybird-Büchlein bis hin zu Hodder Children’s Books reicht, hat sich in den letzten Jahrzehnten durch verschiedene Reihen vereinfachter Klassiker verstärkt und internationalisiert. Schulbuch- und andere Verlage bieten zahlreiche Versionen von Shakespeares Stücken als Easy Reader oder Graded Reader für Schulkinder und Jugendliche an, zum Teil in Ausgaben, die an Comics oder Mangas angelehnt sind oder sich aufgrund der großen Rolle der Illustrationen als Graphic Novels verstehen.
Die Verfasserinnen und Verfasser von Kinder- und Jugendbüchern, die auf Shakespeares Dramen basieren, sehen sich insbesondere mit drei grundsätzlichen und schwierigen Fragen konfrontiert: Wie kann der Inhalt der Stücke – gerade angesichts des Grauens und der Gewalt, die in vielen Stücken eine große Rolle spielen – für eine bestimmte Altersgruppe angemessen aufbereitet werden? Auf welche Weise arrangiert man einen Text in stark verkürzter Form, der im Original allein aus wörtlicher Rede besteht? Und wie geht man mit der veralteten Sprache des berühmten Barden um – und dies auch angesichts der Tatsache, dass so manche Aussage einer Shakespeareschen Figur ihren Weg als Sprichwort nicht nur in die englische, sondern sogar in die deutsche Sprache gefunden hat? Shakespeares Dramen dienen also als eine Art „Steinbruch“, wie Matthias Merkl das kürzlich bezeichnet hat,[1] aus dem sich jede und jeder die Brocken heraus bricht, die sie oder ihn besonders faszinieren und die dann mit einer bestimmten Absicht zur vereinfachten Ausgabe „gemeißelt“ werden. Die Verfasserin dieses Kinderbuchs, Sylvia Schopf, ist in dieser Hinsicht gewissenhaft vorgegangen und hat uns sogar ihre „Steinbrüche“ – das heißt die deutschen Versionen der Shakespeare-Texte in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel, Ludwig Tieck und anderen – in einem Quellenverzeichnis aufgelistet. Der eine oder andere bekannte Ausspruch findet so in einer an Schlegel/Tieck angelegten Form Eingang in die Nacherzählung. Unverständlich bleibt angesichts der textlichen Gewissenhaftigkeit der Verfasserin, warum sie in der kurzen Biographie Shakespeares von der Wissenschaft widerlegte Klischeevorstellungen von der schlechten Ehe des Barden oder der angeblich ungeklärten Autorenfrage erwähnt.
Wie fast alle vereinfachten Ausgaben für Kinder und Jugendliche handelt es sich bei Sylvia Schopfs Kinderbuch um Nacherzählungen in der dritten Person. Die Verfasserin hat acht Shakespeare-Dramen ausgewählt, deren Nacherzählungen fast durchgängig eine Länge von jeweils 13 Seiten haben und die in der Chronologie ihrer wahrscheinlichen Entstehung angeordnet sind. Die Wahl von Romeo und Julia, Ein Sommernachtstraum, Hamlet, Macbeth und Der Sturm überrascht nicht, da sie sicherlich zu den bekanntesten der Dramen Shakespeares gehören. Überraschender ist die Wahl von Der Widerspenstigen Zähmung, Wie es euch gefällt, und Antonius und Cleopatra. Während es lobenswert ist, dass die Verfasserin sich auch diesen Theaterstücken zugewandt und sie Kindern zugänglich gemacht hat, verwundert die Kürze der Nacherzählung des titelgebenden Stücks Wie es euch gefällt mit nur neun Seiten ebenso wie das Fehlen von Othello, gerade angesichts der Tatsache, dass der Buchrücken mit den Themen „Liebe, Trauer, Hass und Eifersucht“ wirbt und Othello sicherlich das bekannteste Beispiel für eine Erzählung voller Eifersucht ist.
Durch die Nacherzählung eines Dramas ergeben sich in der Regel zahlreiche Probleme in Bezug auf die Wahrhaftigkeit der Vermittlung, denn natürlich macht es einen Unterschied, ob eine Figur zum Beispiel behauptet, Geister zu sehen, oder ob der Erzähler oder die Erzählerin aussagt, dass tatsächlich Geister erschienen sind. Auch kann durch vorschnelle Wertung einer Figur, zum Beispiel als „gut“ oder „böse“, ein Bild eines Charakters entstehen, der der Figur im Originaldrama nicht gerecht wird beziehungsweise sie verfälscht. Im Großen und Ganzen haben die Verfasserin und die Illustratorin alle diese Schwierigkeiten gut gelöst. Sie haben für die Sprache sowie für die Zeichnungen Wege gefunden, den Leserinnen und Lesern die Historizität oder Märchenhaftigkeit der Dramen zu vermitteln und sie auf eine spannende Reise durch die Welt des jeweiligen Theaterstücks mitzunehmen. Die Sprache ist zum Teil leicht altertümlich, aber auf eine so geschickte Weise, dass keine Verwirrung entsteht und zugleich Wortschatzarbeit geleistet werden kann. Die geschmackvollen Illustrationen einzelner Figuren ähneln sich jedoch zum Teil – ein Problem vieler vereinfachter Shakespeare-Text-Ausgaben, so dass Bianca und Celia gleich aussehen. Den Nacherzählungen gelingt es fast durchgehend, den Anspruch der Verfasserin einzulösen, die „inhaltlichen Kernaussagen des Stücks“ wiederzugeben. An einigen Stellen wünscht sich die Shakespeare-Forscherin allerdings einen Hinweis auf die Scheinhaftigkeit des Verhaltens von Figuren beziehungsweise eine ausgewogenere Beurteilung. So wird innerhalb der Nacherzählung zum Beispiel nicht deutlich, dass Bianca und Lucentio absichtlich heimlich hinter den Rücken ihrer Väter heiraten und deshalb wohl kaum so sanft und folgsam sind, wie sie sich den Anschein geben. Die Bezeichnung einer so energiegeladenen und kraftvollen Figur wie die der widerspenstigen Katharina als „böse Käthe“ (in den Erklärungen) sollte in einem Kinderbuch im Jahre 2014 eigentlich nicht mehr vorkommen.
Abschließend lässt sich sagen, dass es sich bei Wie es Euch gefällt: Shakespeare für Kinder um ein hochwertiges, geschmackvoll gestaltetes Kinderbuch handelt, das sich sehr gut zum Vorlesen eignet. Es kann als erster Kontakt mit der Dramenwelt Shakespeares dienen und die Kinder mit einigen der berühmtesten Figuren der Weltliteratur bekannt machen. Mit Hilfe von Erklärungen können die Vorlesenden den Kindern bei diesem Einstieg helfen und zudem wertvolle Wortschatzarbeit leisten. Schön wäre es außerdem, wenn die Vorlesenden jeweils das gesamte Drama kennen würden und die Kinder mitunter noch stärker auf die spielerischen Elemente der Stücke und insbesondere auf die Wechselwirkungen von Schein und Sein hinweisen könnten.
Anmerkungen:
[1] Matthias Merkl, „Reconsidering ‚Culture‘ in Shakespeare’s Works: Challenges and Possibilities for the Competence-oriented English Classroom“, in: Shakespeare in the EFL Classroom. Hrsg. von Maria Eisenmann und Christiane Lütge (Heidelberg: Winter, 2014), S. 61-74, vgl. S. 62.