Lachen tötet nicht

Ruth Landshoff-Yorcks Widerstands-Roman „Sixty to Go“ liegt nach 70 Jahren erstmals in deutscher Sprache vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine kleine, „wild zusammengewürfelte Gruppe“ von WiderstandskämpferInnen verschiedener Nationalitäten und sozialer Klassen um Johannes Tarner und die Comtesse Maria de Roseraye kämpfte 1941 an der Côte d’Azur gegen die verhassten Nationalsozialisten. „Sie arbeiteten zusammen und teilten Freude ebenso wie Leid“, einen „Kopf der Gruppe“ aber gab es nicht. Ihr Beitrag zum antifaschistischen Widerstand bestand darin, Verfolgten mit gefälschten Papieren, vorübergehenden Unterkünften und ähnlichem die Flucht nach Spanien und so in die USA zu ermöglichen.

Zusammengeführt wurden sie von Ruth Landshoff-Yorck, und zwar in ihrem Exil-Roman „Sixty to Go“. Sechzig Menschen müssen sie noch in Sicherheit bringen, um ihr Etappenziel von fünfhundert Geretteten zu erreichen, was ihnen gestatten würde, feierlich eine Flasche Napoléon, 1865 zu öffnen.

Zwar heißt es zu Beginn des Romans, er handele nicht in einer „Zeit für persönliche Gefühle“. Die haben seine Figuren aber selbstverständlich dennoch. Meist sind es positive, wie Freundschaft Zuneigung und Liebe. Negative Gefühle hegen die WiderstandskämpferInnen natürlich ebenso. Sie sind jedoch vor allem politisch motiviert und gelten den Nazis und ihren Kollaborateuren. Für alle, die nicht mit den Faschisten sympathisierten, war „das Leben anstrengend“, „was immer man auch tat“, und die von allen nur Darling genannte Comtesse ist mit den ihren mehr damit beschäftigt zu überleben, als weiteren Flüchtlingen zu helfen, wobei dies nicht allen gelingen wird. Die besagte Flasche Brandy wird zwar tatsächlich schon bald zur Hälfte geleert. Doch aus einem ganz anderen Grund als dem erhofften. Denn zu der Gruppe stoßen unvermutet die Polin Ester und der Amerikaner Bill.

Nicht nur fiktive Figuren, auch einige historische Personen und Persönlichkeiten bevölkern den Roman. So wird am Beispiel des im Februar 1941 in Paris ermordeten deutsch-österreichischen Sozialisten Rudolf Hilferding die Haltung vieler PolitikerInnen und Intellektueller kritisiert, die die nationalsozialistischen Horden in der ersten Zeit nach der Machübernahme vor allem „lächerlich“ fanden. „Aber Lachen tötet nicht“, wissen die KämpferInnen der Resistance sehr genau.

Dass die widerlichste Gestalt schleimige ‚Komplimente‘ an die Heldinnen des Romans verteilt, wundert nicht. Dem Sexismus ihrer Zeit erliegen jedoch auch sympathischere Figuren wie etwa Bill, der Darling, als sie seine Flucht plant, bescheinigt: „Sie sehen süß aus‚ wirklich süß, wenn Sie so ernsthaft reden“. Immerhin riskiert sie Leib und Leben für ihn und andere. Doch nicht einmal der Subtext des Romans lässt eine Kritik an seiner machohaften Art erahnen. Vielmehr flicht Landshoff-Yorck solche Sexismen so selbstverständlich in die Handlung ein, wie sie damals gewesen sind.

Als Literatin mit dem entsprechenden Sprachgefühl kritisiert die Autorin hingegen sehr wohl die Sprache der Nationalsozialisten. So etwa wenn Tarner sich erinnert, früher sei Deutsch „eine schöne Sprache“ gewesen, „poetisch und ausdrucksstark, lieblich und wohlklingend, mal kräftig und sachlich, mal sanft wie ein Lied“. Die Nazis aber „sprechen kein Deutsch“. Jedenfalls hatte er „noch immer keinen Nazi getroffen, der Deutsch sprach. Was sie sprachen, war ein Bastard, ein Wechselbalg der Sprache.“

Zwar floh Landshoff-Yorck selbst in die USA, dies jedoch bereits 1937, während der Roman 1941 – zur Zeit des Krieges, der Besatzung und des Vichy-Regimes – handelt. Sie kannte also weder die Resistance noch den Fluchtweg aus eigenem Erleben. Dennoch ist ihr ein überaus wahrhaftig wirkender Roman gelungen, voller authentischer Details französischer Küstenstädte, ihrer Häuser und Hotels. Diese Authentizität wird durch zahlreiche Photos, auf denen die im Roman erwähnten Ortschaften, Häfen und Gebäude zu sehen sind, noch gesteigert.

Der Roman erschien 1944 in den USA und richtet sich dementsprechend an ein amerikanisches Publikum, das gewissermaßen in der Figur Bill personifiziert ist. Nun, nach siebzig Jahren, liegt endlich auch eine deutsche Übersetzung vor. Zwei weitere Exil-Romane Landshoff-Yorcks warten noch darauf, dass ihnen dieses Glück zuteil wird. Das deutsche Lesepublikum ebenfalls.

Titelbild

Ruth Landshoff-Yorck: Sixty to go. Roman vom Widerstand an der Riviera.
Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Doris Hermanns.
AvivA Verlag, Berlin 2014.
251 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783932338632

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