Die Lösung aller Probleme

Petros Markaris hat mit „Zahltag“ einen weiteren Roman zur griechischen Krise vorgelegt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die Griechenlandkrise nicht so schnell vorbei sein würde, hat man sich vielleicht gedacht, aber dass sie nun eine weitere Runde dreht, ohne dass ein bisschen Beruhigung einkehrt, ist für alle Beteiligten unangenehm bis bedrohlich. Umso aufschlussreicher ist, was einem renommierten griechischen Autor wie Petros Markaris dazu einfällt. Denn Krisenzeiten sind auch Hochzeiten fürs Kriminelle, könnte man sich denken. Wenns den Leuten schlecht geht, streiten sie mehr und bringen sich mehr um oder versuchen auf andere Weise an das nötige Überlebensmittel Geld zu kommen.

Aber dem ist nicht so: Der Start in den Roman „Zahltag“ ist erst einmal recht beschaulich und verblüffend. Statt Morde aufzuklären, wird der Held Markaris‘, Kostas Charitos, zu einem Selbstmord nach dem anderen gerufen: Rentnerinnen, die sich umbringen, weil die Rente vorne und hinten nicht reicht, Liebespaare, die lieber aus dem Leben scheiden, als sich von Jahr zu Jahr tiefer in Schulden zu verstricken und sich mit ihren trüben Zukunftsaussichten noch mehr das Leben versauen.

Charitos und seine Leute nehmen immerhin die Gelegenheit wahr, aufzuräumen und Akten dahin zu schaffen, wohin sie gehören, ins Archiv. Ungelöste, kalte Fälle gibt es auch nicht, so dass wenig anderes übrig bleibt, als sich so die Zeit zu vertreiben. Für einen Krimi ein aufregender Auftakt. (Und wer würde nicht das Problem kennen, dass nie Zeit für die Ablage ist, Himmel!)

Aber dann fängts doch endlich an, ein Mord. In einem der historischen Athener Friedhöfe wird ein ermordeter Prominentenarzt gefunden. Der Mann ist mit Schierling umgebracht worden, allerdings nicht in einem Becher, der ihm gereicht worden wäre, sondern mit einer Spritze. Immerhin, so modern darfs dann sein. Das Motiv klärt sich einigermaßen rasch. Man höre und staune, der Mann hat Steuern hinterzogen. Anscheinend fürs vergangene Jahr allein 250.000 Euro. Das behauptet wenigstens ein selbst ernannter „nationaler Steuereintreiber“, der den Mann in einem Schreiben ultimativ dazu aufgefordert hat, den ausstehenden Betrag umgehend zu zahlen, sonst gehe es ihm ans Leben. Was dann auch geschehen ist.

Nachdem ein zweiter Mord geschehen ist und die Medienberichterstattung begonnen hat, steigen auf einmal die freiwilligen Steuerzahlungen rasant an, bis auf einen Wert von 7,8 Mio. Euro. Das wäre ein gesamtes zu versteuerndes Einkommen von knapp 17 Mio. Euro, den griechischen Höchststeuersatz von 46 Prozent angenommen. Das ist viel Geld, und wenn man den Zahlen, die man nachlesen kann, glauben darf, dann sind solche Einkommen in Griechenland sehr selten und der Staat ist auf jeden Cent angewiesen, den er aus Einkommen – mit Recht – beanspruchen darf. Lassen wir ihm das.

Auf der anderen Seite, was ist eigentlich aus den ganzen Superreichen geworden, die es früher auch mal in Griechenland gab? Onassis zum Beispiel. Der Mann ist lange tot, aber hat er keine Erben? Sind jetzt schon unsympathische Prominentenärzte mit Kunstsammlung und Ferienhaus superreich? Es kommt wohl ganz darauf an.

Und wie haben diese Leute denn nun Steuern hinterzogen? Das erste Opfer hat – womöglich – bar kassiert, statt offiziell abzurechnen, aber das wird nur behauptet. Dann hat er die Häuser, die er hat (eine Villa und ein Ferienhaus) den Töchtern überschrieben, die im Ausland leben und keine Steuererklärung abgegeben haben. Das funktioniert so einfach in Griechenland? Interessant. Und welche Einkommen werden nun aus dem Wohn- und dem Ferienhaus generiert?

Das zweite Opfer – ein ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär – hat freilich schon mehr auf dem Kerbholz: Er hat vom System profitiert, aha, ausländischen Investoren Hindernisse in den Weg gelegt, um selbst dann das Geschäft zu machen (klar zu sehen an den Geländewagen, den alle Familienmitglieder heute fahren). Da fragt man sich schon, warum es Griechenland so schlecht geht, wenn nur die Griechen die Geschäfte machen.

Einer von denen, die gezahlt haben, hat es sogar gewagt, gegen die Forderungen des Finanzamtes zu klagen, um damit und mit anderen juristischen Tricks seine Steuerzahlungen hinauszuschieben. Merkwürdiger Weise taucht nirgendwo ein Fall auf, in dem das Finanzamt unberechtigte Forderungen aufgestellt hätte – als wenn es so etwas noch nicht gegeben hätte. Steuerhinterzieher sind anscheinend die neuen Extrem-Bösewichter. Und das Finanzamt ist das Gute.

Hand aufs Herz, wer glaubt denn sowas? Und wer glaubt an einen solchen „nationalen Steuereintreiber“? Es mag sein, dass die Steuerkultur in Griechenland ganz besonders schlimm ist, aber dass dort das Finanzamt ganz machtlos und die Steuerzahler ganz unwillig sind, hört sich nicht sehr plausibel an. Immerhin ist Markaris aber so klug und lässt seinen Steuereintreiber seinen Anteil einfordern, was dann wenigstes das Motiv klar macht. Es geht also doch um Geld. Man ist fast schon wieder erleichtert. Die Übergabe klappt allerdings nicht, so dass die Mordserie weitergeht und es zu einigen Eskalationen kommt.

Am Ende steht schließlich doch die Aufklärung, zwar nicht des Falles der Superreichen, aber immerhin des Täters selbst, der das Opfer einer im Roman recht breit getretenen Korruption im Lande ist. Allerdings ist die Lücke zwischen Anlass und Motiv doch arg groß. Denn wie man auf die Idee kommen kann, sich an den korrupten Griechen (die es ja geben mag) dadurch zu rächen, dass man ein paar angebliche oder tatsächliche Steuerhinterzieher umbringt oder sie dazu bringt, eine behauptete Steuerschuld zu zahlen, ist eben doch nicht plausibel.

Aber das verweist nur darauf, dass es Markaris nicht um seine Fälle geht, sondern um ein Gesellschaftspanorama und darum, wie denn aus der Misere zu kommen ist. Wie es scheint, sieht er den wichtigsten Baustein dazu in der persönlichen Integrität, gepaart mit dem Willen, sich gegen die Krise zu stemmen. Seine Tochter, die sich gegen einen Job bei der UN-Flüchtlingshilfe und für ein Engagement im Lande entscheidet, ist dafür das Paradebeispiel. Ihre Geschichte ist die eigentliche, die Markaris in „Zahltag“ erzählt. Vielleicht sollte er lieber doch keine Krimis schreiben?

Titelbild

Petros Markaris: Zahltag. Ein Fall für Kostas Charitos. Roman.
Übersetzt aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Diogenes Verlag, Zürich 2012.
420 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783257068412

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