Auschwitz als Teil deutscher Identität

Kritische Beobachtungen zum Stand der Erinnerungspolitik im Land der Täter

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck


Das Ganze ist das Unwahre.

Theodor W. Adorno

Nachruf auf eine berühmte Rede

Anlässlich des Todes von Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker konnte man den derzeitigen Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) in der „Tagesschau“ sagen hören, der verstorbene Staatsmann habe ihn „mit der Generation der Väter versöhnt“. Gabriel sagte dies wohlgemerkt nicht nur als führender Politiker der amtierenden deutschen Regierungskoalition. War sein Vater doch bekennender Nationalsozialist. Der großherzig auf die Schlichtung und Vermittlung von Konflikten gestimmte Sohn sorgte nicht zuletzt damit für Irritationen, dass er neulich als amtierender deutscher Wirtschaftsminister den Dialog mit den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlands“ (Pegida) suchte.

Mit seiner zitierten Bemerkung spielte Gabriel auf eine berühmte Rede an. Richard von Weizsäcker hatte am 8. Mai 1985, zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, unter dem Titel „Erlösung heißt Erinnerung“ im Deutschen Bundestag verkündet, es handele sich um das Datum der „Befreiung“ der Deutschen vom „menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Dieser 8. Mai habe „uns alle befreit“.

Was fortan als mutiger Tabubruch mit den konservativen Kreisen der Bonner Republik galt, die den 8. Mai weiterhin als Niederlage verstanden wissen wollten, erscheint nach Gabriels Bemerkung in einem neuen Licht. Richard von Weizsäckers Rede war aus der Perspektive des derzeitigen Vizekanzlers nichts weiter als eine Wendung hin zu jenem selbstentschuldenden Geschichtsverständnis, das in der Berliner Republik zur Banalität geworden ist: Wer 1945 „befreit“ wurde, muss wohl selbst zu den Opfern des Krieges gehört haben, zu den Unterdrückten des „menschenverachtenden Systems der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Aus dieser Sicht kann man sich offenbar selbst mit einem offen rechtsextremen Vater wie dem Gabriels versöhnen.

Sieht man sich die zitierte Rede Weizsäckers genauer an, so fällt auf, dass sie allen damaligen Adressaten gerecht zu werden versuchte. Also sogar Betonkopf-Konservativen der 1980er-Jahre wie dem damaligen CDU/CSU-Bundestagsvorsitzenden Alfred Dregger. Gewiss: Die Worte des Bundespräsidenten waren in ihrer Vieldeutigkeit wohlformuliert, sie sind bis heute als Standard-Übung in der Ambivalenz deutschen Holocaust-Gedenkens lesbar. Ähnlich wie bei Helmut Kohls Besuch an SS-Gräbern in Bitburg wenige Tage zuvor, am 5. Mai 1985, bei dem der US-Präsident Ronald Reagan die Ehrung deutscher Täter symbolisch unterstützte, indem er dem Bundeskanzler auf diesem Friedhof die Hand gab, stellt auch Weizsäcker das Gedenken für Täter und Opfer in seiner Rede letztlich gleichwertig nebeneinander:

Neben dem unübersehbar großen Heer der Toten erhebt sich ein Gebirge menschlichen Leids,
Leid um die Toten,
Leid durch Verwundung und Verkrüppelung,
Leid durch unmenschliche Zwangssterilisierung,
Leid in Bombennächten,
Leid durch Flucht und Vertreibung, durch Vergewaltigung und Plünderung, durch Zwangsarbeit, durch Unrecht und Folter, durch Hunger und Not,
Leid durch Angst vor Verhaftung und Tod,
Leid durch Verlust all dessen, woran man irrend geglaubt und wofür man gearbeitet hatte.

Heute erinnern wir uns dieses menschlichen Leids und gedenken seiner in Trauer.

Im Kontext der begeisterten Erinnerung an diese berühmte Ansprache in den aktuellen Nachrufen auf den Redner fällt ins Auge, dass ihr Autor zumindest stellenweise denjenigen Zuhörern Tribut zollte, die nach 1945 behaupteten, von nichts gewusst zu haben. Diese Leute sollten bloß fleißig gewesen sein, gute Bürger, die alles verloren hatten, woran sie „irrend“ festgehalten und wofür sie „gearbeitet“ hatten: „Die meisten Deutschen hatten geglaubt, für die gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und zu leiden“, betonte Weizsäcker allen Ernstes, wenn er auch später in seiner Rede darauf hinwies, dass Adolf Hitler von Anfang an keinen Zweifel an seinen Plänen gelassen hätte. „Und nun sollte sich herausstellen: Das alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient“, so Weizsäcker weiter. Ganz so, als sei dies auch nur irgendwem in Deutschland erst am 8. Mai 1945 plötzlich klar geworden, nach jener zwölf Jahre währenden, sukzessiven Diskriminierung, Deportation und Ermordung der Juden nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Als sei den Nationalsozialisten erst in diesem Moment aufgegangen, was hier vorging, nach sechs Jahren Vernichtungskrieg und einer pausenlosen Propaganda für die bedingungslose Liquidierung von Sinti und Roma, Homosexuellen, von kranken und behinderten Menschen, von Polen, Russen, Griechen, Italienern und Franzosen. 

De mortuis nil nisi bene: Richard von Weizsäcker war im Vergleich zu manchem seiner Vorgänger und Nachfolger ein überaus umsichtiger, ja nobel agierender Bundespräsident. Vor allem aber war er ein begnadeter Redner. Dennoch fallen gewisse Widersprüchlichkeiten an dem auf, was er am 8. Mai 1945 im Bonner Bundestag zu sagen hatte. Die Mehrdeutigkeiten seiner Rede hatten mit der Biografie des Politikers zu tun. Als junger Mann hatte Weizsäcker am Vernichtungskrieg im Osten Europas teilgenommen. Der Redner selbst war also alles andere als ein ahnungsloses, getäuschtes Opfer gewesen, das man vor Hitler ‚gerettet‘ hatte. Weizsäcker war Soldat der nationalsozialistischen Wehrmacht, die nicht etwa ‚befreit‘, sondern mit einem Verlust von Millionen Menschenleben und unabsehbaren materiellen Schäden in ganz Europa mühsam besiegt werden musste. Der Alt-Bundespräsident war damit Teil eines Kollektivs, das unter anderem 20-40 Millionen Sowjetbürger ermordete und die Shoah tatkräftig mitorganisierte. Der junge Rekrut nahm 1943 an der Leningrader Blockade teil, in deren Folge über eine Million Bürger der russischen Großstadt elend verhungerten.

So muss auch Weizsäckers in der Rede folgende Relativierung der Behauptung eines deutschen Schocks über die begangenen Verbrechen bei Kriegsende zwiespältig bleiben. Wird doch auch diese rhetorische Volte mit der Schutzbehauptung des Redners gekoppelt, als junger Soldat unschuldig geblieben zu sein: „Wer seine Ohren und Augen aufmachte, wer sich informieren wollte, dem konnte nicht entgehen, daß Deportationszüge rollten. Die Phantasie der Menschen mochte für Art und Ausmaß der Vernichtung nicht ausreichen. Aber in Wirklichkeit trat zu den Verbrechen selbst der Versuch allzu vieler, auch in meiner Generation, die wir jung und an der Planung und Ausführung der Ereignisse unbeteiligt waren, nicht zur Kenntnis zu nehmen, was geschah.“

Man muss diese vage Selbstanklage, die insgesamt eher danach klingt, als habe der Redner eine weiße Weste vorzuweisen, mit Blick auf die historischen Tatsachen weiter präzisieren: Obwohl Weizsäcker Männer aus den Kreisen des Widerstands gegen Adolf Hitler kannte, war der junge Soldat im Krieg bis zuletzt loyal geblieben. Er war nicht nur ein Mitläufer im „menschenverachtenden System“ gewesen, sondern hatte seinen Vater Ernst von Weizsäcker nach dem Krieg bei den Nürnberger Prozessen als Hilfsverteidiger unterstützt: Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und Brigadeführer der SS wurde in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt, weil er unter anderem an der Deportation französischer Juden nach Auschwitz mitgewirkt hatte. 

Der spätere deutsche Bundespräsident von Weizsäcker ging aber 1985, wie zitiert, in der zentralen Passage seiner Rede sogar noch einen Schritt weiter. Er redete nicht nur von sich selbst, sondern betonte, „alle“ Deutschen seien 40 Jahre zuvor „befreit“ worden. Auch die Nachgeborenen waren in der logischen Konsequenz dieser Sprachregelung jede ethische  Verantwortung für die Aufarbeitung der Verbrechen des „Dritten Reichs“ ein für allemal los. Waren es doch offenbar ‚Andere‘ gewesen, die sechs Millionen Juden umgebracht hatten, nicht aber etwa Angehörige der eigenen Familie, mit denen man sich hätte kritisch auseinandersetzen müssen. „Opa war kein Nazi“ – dieses Schlagwort der kumulativen Heroisierung im deutschen Familiengedächtnis fand an dieser Stelle der Rede von 1985 seinen geschichtspolitisch überaus folgenreichen Ausdruck.

Weizsäcker selbst sollte als Soldat der „Aktion Barbarossa“ also nicht nur an der „Planung und Ausführung der Ereignisse unbeteiligt“ geblieben sein. Es war vielmehr ein nebulöses, unpersönliches „System“, das eine „Gewaltherrschaft“ über alle Deutschen ausübte und den Holocaust auf dem Gewissen hatte. Nicht ganz zufällig dürfte es genau diese Passage der Rede gewesen sein, die in den vergangen Tagen nach dem Tod Richard von Weizsäckers erneut durch die Medien ging. Nicht in Erinnerung gerufen wurden hingegen jene Bemerkungen des Staatsmannes, die diese zentrale Sentenz wieder teilweise relativierten: „Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“ Oder auch: „Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten.“

Was denn nun? Waren die Deutschen 1945 „befreit“ oder in „Haftung genommen“ worden? Weizsäckers rhetorische Botschaften wiesen zugleich in vollkommen unterschiedliche Richtungen. In die Geschichte der Bundesrepublik gingen jedoch nur diese zwei Sätze ein und avancierten zu einem regelrechten ,Erinnerungsort’ deutscher Geschichtspolitik: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ So erklärt sich, was Sigmar Gabriel in seinem spontanen Interview-Nachruf auf Richard von Weizsäcker ganz unverblümt aussprechen konnte: Der verstorbene Politiker hatte ihn mit seinem Bonmot aus seinem Konflikt mit dem eigenen Nazi-Vater entlassen, ihn mit der „Generation der Väter versöhnt“.

Night will fall: Shitstorms zum Gedenken am 27. Januar

Die Gefahr einer Wiederholung des Zivilisationsbruchs der Shoah wird durch nichtssagende bis zweideutige Politikerstatements wie dem Gabriels kaum gebannt werden können. Wie wir letzten Monat erneut gesehen haben, werden in Europa bereits wieder Juden ermordet, weil sie Juden sind. Das Mitleid für die jüdischen Opfer hielt sich nach dem Pariser Massaker in der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und in dem koscheren Supermarkt merklich in Grenzen. Östlich des Rheins sieht es kaum besser aus: Auch in Deutschland haben mittlerweile 48 Prozent eine „schlechte Meinung über Israel“, wobei es bei den Befragten zwischen 18 und 54 Jahren sogar 54 Prozent sind, wie der Spiegel meldet.

Dass dieses Nachrichtenmagazin in der Woche des Jahrestags der Befreiung von Auschwitz mit Erinnerungsprotokollen von 19 Überlebenden von Auschwitz aufmachte, war sicher gut. Seltsam mutete allerdings eine Bemerkung in dem einführenden Artikel an, der diesen Erinnerungsdokumenten vorangestellt wurde. Heißt es darin doch am Ende, ein „Wissen um Auschwitz“ könne keinesfalls „verstehen“ bedeuten: „Denn wer sich als Zuhörer oder Leser tief in das Innere dieser Mordmaschine begibt, steht am Ende doch wieder vor einem Rätsel“.

Tatsächlich sprechen die abgedruckten Erinnerungen der Opfer im Spiegel eine klare Sprache. Rätselhaft ist hier gar nichts: Deutsche haben in Auschwitz einzigartige Gräuel begangen, und bis heute tun sich die Nachkommen eben dieser Täter immer noch auffällig schwer damit, sich diese Schuld einzugestehen. Nach wie vor wird behauptet, die Eltern oder Großeltern hätten ‚von nichts gewusst‘ oder hätten im Krieg selbst auch so einiges mitgemacht, von dem man offenbar immer noch glaubt, diese Erlebnisse seien mit der Shoah aufzurechnen.

Renate Harpprecht, die mit ihrer Schwester Anita Lasker-Wallfisch Auschwitz und Bergen-Belsen überlebte, berichtet im Spiegel: „Ich bin inzwischen gern bereit zu erzählen, aber wenn ich das tue, kommt bei den Älteren in Deutschland häufig eine lange Geschichte, wie schwer man doch damals hatte, als man im Krieg ausgebombt oder vertrieben wurde. Diese merkwürdigen Vergleiche kann ich kaum ertragen.“

Doch es sind nicht nur diese Älteren, deren ungebetenes Dauergeschwätz vom eigenen Leid in Deutschland schwer auszuhalten ist. Es sind auch die Jüngeren, die gerne im Geiste unkritischer BWL-Studenten und potentieller AfD-Wähler „daherreden wie eine Mischung aus Fernsehreklame und Bernd Lucke“ (Thomas Blum, Konkret 02/2015). Zu beobachten war dies etwa anhand der bizarren Reaktionen auf einen auf den ersten Blick mainstreamkompatiblen Tagesschau-Kommentar der Moderatorin Anja Reschke, die sich im Sinne ihrer ‚deutschen Identität‘ dagegen ausgesprochen hatte, einen „Schlusstrich“ unter die NS-Vergangenheit zu ziehen. Die Antwort war einer der üblich gewordenen Shitstorms, in dem vor allem auch jüngere Zuschauer ihrer Empörung Luft machten: Man dürfe als Deutscher gar nicht mehr „stolz“ auf sein Land sein, wurde da gemault. Außerdem hätten die Amerikaner die Indianer umgebracht, und nicht zuletzt setzten die Israelis in Palästina das fort, was Hitler ihnen vor 70 Jahren angetan habe.

Diese unhistorischen, antiamerikanischen und antisemitischen Vergleiche folgten noch dazu auf jene ARD-Dokumentation, von der Anja Reschke in ihrem Kommentar im Kern gesprochen hatte: „Night will fall – Hitchcocks Lehrfilm für die Deutschen“ zeigt Filmmaterial aus Bergen-Belsen, auf dem britische Soldaten das festzuhalten versucht hatten, was sie in dem Konzentrationslager im April 1945 vorgefunden hatten. Während deutsche Frauen in der unmittelbaren Nachbarschaft lachend unter blühenden Kirschbäumen saßen, türmten sich im Lager stinkende und verwesende Leichenberge.

Diese Diskrepanz, die von einer tatsächlich kaum fassbaren Teilnahmslosigkeit der deutschen Zeitgenossen gegenüber den grausamsten Verbrechen der Weltgeschichte zeugt und sich in der heutigen aggressiven Abwehr auch der jüngeren Medienkonsumenten gegenüber der Erinnerung an die Shoah fortsetzt, gilt es zu problematisieren: Der Hass, mit dem in Deutschland auch heute wieder Migranten und Juden von einer wachsenden Zahl von Menschen diskriminiert werden, muss bekämpft werden, und zwar nicht nur zu Terminen wie dem am vergangenen 27. Januar oder am kommenden 8. Mai.

Nicht nur bei den sogenannten Pegida-Demonstrationen versucht sich eine halluzinierte ‚Volksgemeinschaft‘ der Deutschen neu zu formen, in all ihrer Widersprüchlichkeit und in ihrer lächerlichen Unsinnigkeit, die den Beteiligten dazu verhilft, sich rationalen Argumenten gegenüber aggressiv zu verweigern. Dass jemand wie Sigmar Gabriel dort auch noch mitdiskutieren will, verwundert nicht. Halten doch gerade auch Politiker wie er weiter an jenem alten Traum von einer deutschen ‚Einheit‘ fest, obwohl eine solche Idee nach 1945 bei einer nüchternen Betrachtung der Tatsachen der Shoah ein für allemal undenkbar geworden ist.

„Wir sind ein Volk“: Diese gespenstische Illusion einer deutschen Imagined Community nach Auschwitz kennt mittlerweile viele Ausdrucksformen. Grotesk sind sie alle. Selbst der folgenreiche Einfall, durch eine ‚ehrliche‘ Erinnerung an die Judenvernichtung und ein ambivalent gehaltenes Schuldbekenntnis ex negativo abermals eine verantwortungsvolle deutsche ‚Schicksalsgemeinschaft‘ zu begründen, bleibt problematisch. Diese Propaganda fand ihren Ausdruck in Joschka Fischers Behauptung von 1999, der erste deutsche Angriffskrieg nach 1945 gegen Serbien folge dem Grundsatz „Nie wieder Auschwitz!“, sie kehrte wieder in Gerhard Schröders vielzitierter Bemerkung zu einem Holocaust-Denkmal, zu „dem alle gerne hingehen“, und sie begegnete uns zuletzt in Anja Reschkes Hinweis in der ARD, für sie persönlich präge die Erinnerung an Auschwitz ihre „Identität als Deutsche“. Der Spruch kam von dem amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck, der am 27. Januar vor dem Bundestag betonte: "Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz."

Diese diplomatische Vereinnahmung des Shoah-Gedenkens für die Konstitution der Berliner Republik, die heutigen Pegida-Deutschen geradezu linksradikal erscheinen mag, fand sich bereits bei Richard von Weizsäcker, ein halbes Jahrzehnt vor dem Mauerfall. Sie entstand also noch in der alten Bundesrepublik, in einer Rede, in der die allgemeine Zerknirschung über die Niederlage der Kapitulation von 1945 zum Ursprung eines Neuanfangs umgedeutet wurde: „Wir Deutschen sind ein Volk und eine Nation. Wir fühlen uns zusammengehörig, weil wir dieselbe Geschichte durchlebt haben.“