Theorie im Zeichen des Strukturalismus

Oliver Simons’ Einführung in Literaturtheorien als exemplarische Interpretation

Von Maik M. MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maik M. Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einführende Literatur erlebt in den Geistes- und Kulturwissenschaften eine erhöhte Nachfrage, seit im Rahmen neuer Studienordnungen Wissen verstärkt in komprimierter Form vermittelt und wieder abgerufen wird. Ein einführender Durchgang durch die literaturwissenschaftliche Theoriebildung seit 1900, wie sie Oliver Simons im vorliegenden Band der Junius-Einführungen unternimmt, steht dabei vor besonderen Problemen. Wie lässt sich die Vielfalt der Theorie-Architekturen auf eine Weise aufbereiten, die dem didaktischen Anspruch einer Einführung gerecht wird, ohne die Komplexität der Theorie dabei über Gebühr zu reduzieren?

Oliver Simons löst dieses Dilemma, indem er den Maßstab zur Darstellung, Anordnung und Gewichtung dem dargestellten Gegenstand selbst entnimmt: Die Dreipoligkeit des klassischen Zeichenbegriffs, jene Aufspaltung in Bedeutung (Signifikat), Zeichen (Signifikant) und Referent wird zum Kompositionsprinzip der gesamten Einführung erhoben. In drei Kapiteln werden die einschlägigen Theoretiker von der Hermeneutik über den Strukturalismus bis hin zu den kulturwissenschaftlich orientierten Ansätzen jeweils einer Ecke des semiotischen Dreiecks zugeordnet. Die Theorielandschaft wird gewissermaßen selbst semiotisch interpretiert.

Natürlich handelt es sich dabei um eine heuristische Konstruktion, die nicht in allen Aspekten ihren theoretischen Gegenständen gerecht wird. Darum geht es aber auch gar nicht. Die Orientierung der Darstellung am Schema des semiotischen Dreiecks ist deshalb besonders überzeugend, weil damit nicht nur die unterschiedlichen Grundperspektiven der verschiedenen Ansätze systematisch verdeutlicht, sondern auch Polaritäten, Unschärfen und implizite Bezugnahmen mitreflektiert werden können. Legt die Hermeneutik beispielsweise ihr Hauptaugenmerk auf Prozesse der Bedeutung, so erfolgt spätestens mit Peter Szondi oder Paul Ricoeur eine Öffnung zum grammatischen Zeichen. Und auch strukturalistische Theorien mit ihrem Interesse an der Materialität des Signifikanten bleiben zugleich auf eine Ebene der Bedeutung bezogen. Das dreieckige Grundgerüst der Darstellung erleichtert die vorläufige Einordnung von Theoriefeldern und hilft, deren spezifische Perspektiven, Möglichkeiten und Grenzen besser zu erfassen.

Oliver Simons organisiert die Darstellung im Großen und Ganzen zwar chronologisch, bezieht sich dabei aber nicht auf eine Abfolge vermeintlicher Lehrmeinungen und Schulen, sondern stellt die einschlägigen Theoretiker selbst ins Zentrum. Dabei wird deutlich, dass deren Entwicklung die Zuordnungen zu den geläufigen „-ismen“ immer wieder unterläuft. So überspannt das Werk von Roland Barthes im Zeichen eines semiotischen Begriffsinstrumentariums sowohl den Strukturalismus als auch den Poststrukturalismus. In der gemeinsamen Bezugnahme auf Heidegger und der Skepsis gegenüber der intentionalen Struktur der Sprache gibt es Berührungspunkte selbst zwischen Hans-Georg Gadamer und Jacques Derrida. An Beispielen wie diesen wird deutlich, dass die Folie des semiotischen Dreiecks keineswegs statisch gehandhabt, sondern immer wieder überschritten, in Frage gestellt und unterlaufen wird.

Innerhalb der pluralen Textur der Theoriediskurse werden in konziser Form wichtige Grundlinien herausgearbeitet und Brückenbögen gespannt. So sei die neuere Hermeutik wesentlich von der Spannung gekennzeichnet, einerseits auf die Herausforderung des linguistic turn zu reagieren und andererseits eine Neuorientierung mit der eigenen Theorietradition in Einklang zu bringen. Die Betrachtung der unterschiedlichen Ansätze, sei es Psychoanalyse, Ethnografie oder Diskurstheorie, erfolgt stets im Hinblick auf deren Relevanz für Literatur und Prozesse der Bedeutung und Interpretation, ohne sie zugleich darauf einzuengen. Anregend erscheint auch der Ansatz, die neueren diskurs-, gender- und medienorientierten Ansätze im Sinne des semiotischen Dreiecks als Annäherung an den Referenten und die außersprachliche Wirklichkeit zu deuten. Die starke Ausdifferenzierung der neueren Ansätze führt allerdings auch zu einer sehr starken Verknappung der Darstellungen im letzten Drittel.

Oliver Simons’ Einführung gelingt die Vermittlung von literaturtheoretischem Grundwissen und methodischer Kompetenz überzeugend, weil seine Darstellung selbst vollzieht, was sie inhaltlich zu vermitteln sucht: Ähnlich der Zeichentheorie erscheint auch die Theorielandschaft als relationales Gefüge, in dem die Bestimmung des Einzelnen von der Beziehung zum Kontext abhängt. Auch eine Literaturtheorie-Geschichte wird hergestellt, und das Ergebnis hängt weitgehend von theoretischen und methodischen Vorentscheidungen ab.

Titelbild

Oliver Simons: Literaturtheorien. Zur Einführung.
2. überarbeitete Auflage.
Junius Verlag, Hamburg 2014.
203 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783885060833

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