Zwischen rauchenden Schloten, Fernsehern, VW-Käfern, Blümchenkleid und Petticoat

Bilder euphorischer Kruppianer in der Nachkriegszeit im Sammelband „Wirtschaft! Wunder! Krupp in der Fotografie 1949-1967“

Von Carolin KinderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carolin Kinder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Blickt man über Jahrhunderte zurück, so hat das Unternehmen Krupp sicherlich sowohl in städtebaulicher und verkehrsspezifischer als auch in kultureller Hinsicht einen großen Teil zu dem beigetragen, was Essen heute als Kulturhauptstadt und „Kruppstadt“ repräsentiert. Eine Zeitreise in die „Kruppstadt“ ermöglichte eine Ausstellung mit Fotografien aus der Nachkriegszeit 1949-67, die vom 5. Juli bis zum 23. November 2014 in der Villa Hügel in Essen zu besuchen war. Die ausgestellten Fotografien zeigten das Unternehmen im „Wirtschaftswunder“ und in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg. 70 Prozent der Firma wurden im Krieg zerstört, außerdem erlitt Krupp einen immensen Image-Schaden durch das Engagement für die Waffenherstellung während des Nationalsozialismus.

Anlässlich dieser Ausstellung ist in Zusammenarbeit von Alfried Krupp von Bohlen und seiner Halbach-Stiftung ein Sammelband erschienen, der die Zeitreise, flankiert durch zahlreiche Informationen über die Wirtschaftswunderjahre und die Rolle der Fotografie in diesem Zusammenhang, dokumentiert. Er beinhaltet sechs Aufsätze, die in vier Themenbereiche gegliedert sind, und einen Anhang mit einer Auswahl von Fotografien der Ausstellung sowie einer kurzen Biographie der Fotografen.

Der erste Beitrag „Rückwärtsdynamik. Krupp im Wirtschaftswunder“ von Ralf Stremmel bietet die Hintergrundinformationen, die für die Ausstellung thematisch von Bedeutung sind. 1949 stabilisierten vor allem die Exportmärkte das Wachstum vieler deutscher Unternehmen. Aber auch die Öffentlichkeitsarbeit war für die Firma Krupp unabdingbar, da wieder ein positives Image aufgebaut werden musste. Zeitgleich änderte sich das Leben der „Kruppianer“ enorm: Die Arbeitszeit verkürzte sich auf eine Fünf-Tage-Woche, sukzessive stieg der Wohlstand an. Im zweiten Essay „Krupp, das Ruhrgebiet und die Bilder“ rückt Sigrid Schneider das Potential der Fotografien und ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit in den Blick. Sie bildeten ideologische Konstrukte, welche die Ruhrgebietsidentität stark geprägt und den Mythos „Krupp“ entscheidend befördert haben. Daran knüpft auch Manuela Fellner-Feldhaus mit ihrem Aufsatz „‚Bilderdienst’. Fotografien von und über Krupp“ an und erläutert die Bedeutung der Bildwerbung in den Wirtschaftswunderjahren. Hefte mit Fotostrecken, die das Unternehmen Krupp zeigen, wurden nicht nur an jeden Senator in Amerika versendet, sondern auch an die Mitarbeiter des Bundestages. Vordergründig bilden sie die Erfolgsgeschichte Krupps ab, um auf diese Weise auch das Firmenimage im In- und Ausland wieder herzustellen.

„Fotografie im Aufschwung. Neue technische Möglichkeiten“, ein Beitrag von Klaus Pollmeier, thematisiert die Modernisierung technischer Möglichkeiten der Fotografie. Aber nicht nur die Technik und die Qualität der Bilder wurden optimiert: Neben den Werksfotografen wurden in den 50er und 60er Jahren auch externe Fotografen zugelassen, die ihre Expertise einbrachten und dadurch die Qualität der Bilder steigerten. Mit dieser Entwicklung befasst sich Uwe Niggemeier in seinem Aufsatz „Als Fremder im Werk. Anmerkungen eines Industriefotografen“.

Der Sammelband schließt mit einigen Zitaten aus einem Interview mit Erich Lessing, einem Fotografen der amerikanischen Illustrierten Fortune, der einst eine Fotoreportage über Krupp verfasst hat und speziell für die geplante Ausstellung im Jahr 2011 interviewt worden ist.

Der Aufbau des Sammelbandes ähnelt einer Spirale: Der erste Aufsatz beginnt mit den historischen Hintergrundinformationen, alle folgenden Beiträge fokussieren schließlich immer detailreicher das Thema „Fotografie“. Dem Leser wird deren enorme Bedeutung, besonders im Hinblick auf das Wirtschaftswunder, vermittelt, denn nicht zuletzt dank ihres Einsatzes in der Öffentlichkeit gelang Krupp in der Nachkriegszeit buchstäblich ein Phoenix-Aufstieg aus der Asche.

Literaturangaben sind gelegentlich innerhalb eines Anmerkungsapparates oder im Fließtext vorhanden, was dem Leser die eigenständige Recherche und die konkrete Nachvollziehbarkeit der einzelnen Beiträge erschwert; ein vollständiges und systematisches Quellen- und Literaturverzeichnis wäre wünschenswert gewesen. Im Hinblick auf die Ausstellung ist die Lektüre des Sammelbands indes äußerst lohnend, erweist sich sogar als notwendig, da die vor Ort präsentierten Fotografien lediglich mit Überschriften versehen waren.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung: Wirtschaft! Wunder! Krupp in der Fotografie 1949-1966.
Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2014.
80 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783837512212

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