Gegen den „Pakt des Vergessens“

Jason Webster wandelt in seinem Buch „¡Guerra!“ auf den Spuren der jüngsten spanischen Vergangenheit

Von Eleonore AsmuthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eleonore Asmuth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der anglo-amerikanische Journalist und Autor Jason Webster bewohnt mit seiner spanischen Frau, der Flamenco-Tänzerin Salud Botella, ein kleines Haus in den Bergen unweit von Valencia. Hier genießt er die Leichtigkeit des spanischen Lebens: Die Sonne, das gute Essen und den Wein. Die Heiterkeit und Leidenschaft der Menschen ziehen ihn magisch an – so wie ihm, geht es vielen Ausländern, die in Spanien eine zweite Heimat finden.

Eines Tages jedoch entdeckt er in unmittelbarer Nähe seines Anwesens einen Ort, der einst im Krieg der „zwei Spanien“ die letzte Verteidigungslinie der Republikaner gegen die anrückenden Truppen Francisco Francos darstellte. Diese Erfahrung wirkt prägend auf den in Kalifornien geborenen Schriftsteller und er schreibt: „Gewalt und Blut hatten meine perfekte Welt befleckt“. Aufgerüttelt von diesem Erlebnis unternimmt Webster eine Reise im Schatten des Spanischen Bürgerkriegs, jenen Konflikts, der das Land zwischen 1936 und 1939 gewaltsam verwüstete und eine zutiefst gespaltene Gesellschaft hinterließ.

Der Spanische Bürgerkrieg, der als Konflikt auf der iberischen Halbinsel die ideologische Blockstellung des Zweiten Weltkriegs vorwegnahm, besaß eine breite internationale Dimension und Ausstrahlung. Er hinterließ eine Fülle von literarischen Zeugnissen im Ausland – erinnert sei hier nur an Georges Orwell oder Ernest Hemingway – geriet jedoch in Spanien selbst im Stile des pacto de olvido in Vergessenheit und wird von der spanischen Gesellschaft bis heute eher verschwiegen und verdrängt als im Sinne einer geschichtsdidaktischen Erinnerungskultur aufgearbeitet.

Genau in diese Wunde legt Webster seinen Finger, wenn er sich – auf der Suche nach dem wahren Spanien fernab seiner romantisierenden Vorstellung – auf seiner Reise durch das Land zu den symbolträchtigen Orten des Bürgerkriegs begibt und Zeitzeugen gleichermaßen wie Angehörige der nachfolgenden Generationen zu den blutigen Ereignissen des Konflikts befragt. Dabei agiert der Autor jedoch stets mit dem richtigen Maß an Sensibilität und Empathie: „Für die Menschen außerhalb Spaniens war der Bürgerkrieg eine Episode der Geschichte; aber hier war er Teil der Lebensläufe der Menschen.“

So liest sich Websters autobiographischer Bericht wie eine ausgewogen abgestimmte Mixtur aus Reisereportage und geschichtlicher Darstellung. Geschickt verknüpft er dabei seine persönlichen Erlebnisse und Begegnungen auf seinem Streifzug mit einer verständlich dargelegten Abhandlung der wichtigsten punktuellen Ereignisse des Krieges sowie mit stimmigen Porträts einiger Schlüsselfiguren der Auseinandersetzung. Wie ein Mosaik entfaltet sich für den Leser zunehmend ein Panorama des Spanischen Bürgerkriegs, das durch die Augen eines Außenstehenden betrachtet und kommentiert wird.

Viele Begebenheiten, von denen Webster in seinem Buch erzählt, wirken auf den gemeinen Spanien-Liebhaber schockierend und verstörend. Mit der Freisetzung dieser Emotionen, die beim Lesen des Berichts automatisch aufkommen, taucht der Leser tief in die Gefühlswelt des Autors ein, dessen großes Motiv – der Gegensatz von einem romantischen Spanienbild und der darunter verborgenen dunklen Vergangenheit – immer wieder entfaltet wird. Dass sich diese Dichotomie am Ende auflösen lässt, ist vielleicht die größte Stärke dieses Buches.

So ist Jasons Websters „¡Guerra!“ nicht nur eine weitere literarische Auseinandersetzung mit dem Spanischen Bürgerkrieg, die – dies sei noch gesagt – durch einen umfassenden Anhang bestehend aus einer Chronologie, einem Personen- und Ortsverzeichnis sowie einem Quellen- und Literaturverzeichnis sowohl historisch fundiert als auch lebendig gestaltet ist, sondern auch ein Plädoyer dafür, Spanien in seiner Gesamtheit und nicht nur aufgrund seiner Sonnenseiten zu lieben. Zu dieser Erkenntnis gelangt Webster schließlich im Gespräch mit einer Freundin: „Die einzige Art, wie man de verdad lieben kann“, sagte Kiki, „ist alles zu sehen, was am Geliebten zu sehen ist. Wer sich die Rosinen herauspickt, wird sich immer betrügen. Man muss die Dinge – ob nun ein Land, eine Person, eine Idee, sogar sich selbst – so sehen, wie sie sind, in all ihrer Komplexität.“

In diesem Sinne leistet „¡Guerra!“ einen weiteren Beitrag zur Aufarbeitung der jüngsten spanischen Geschichte, der sich gegen das Verschweigen und das Vergessen richtet und seine Leser für die noch heute andauernde Problematik sensibilisiert.

Titelbild

Jason Webster: ¡Guerra! Eine Reise im Schatten des Spanischen Bürgerkriegs.
Aus dem Englischen von Tobias Raubuch.
Conte-Verlag, Saarbrücken 2011.
320 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783941657328

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