Alphatier auf dem absteigenden Ast

Hanif Kureishi spielt in „Das letzte Wort“ mit seinen Lesern Verstecken

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sechs Jahre nach seinem letzten Roman „Das sag ich dir“ meldet sich Hanif Kureishi, der prominenteste Vertreter des sogenannten „Black British Writing“, mit einem neuen Buch zurück. Zur Abwechslung lässt Kureishi diesmal den urbanen Raum Londons hinter sich und führt seine Leser aufs Land, wo es immerhin 20 Meilen bis zum nächsten Pub sind. Fans des Autors müssen dennoch keine Sorge haben, auf einmal im bukolischen Jane-Austen-Gebiet gestrandet zu sein – auch zwischen den Stallungen des 70jährigen Schriftstellers Mamoon Azam, der jenseits der Metropole sein Dasein als „verschrobener Satzgourmet“ fristet, sagen Fuchs und Hase einander nicht Gute Nacht, sondern treffen sich zum fröhlichen Saufen und Kopulieren, wie man bereits von anderen Werken Kureishis gewöhnt ist.

Protagonist des Romans ist der aalglatte, ödipal geschädigte und mit unbändigem sexuellen Appetit gesegnete Journalist Harry Johnson – wer mag, darf sich von dem Namen an Holly Martins erinnert fühlen, die Hauptfigur in Carol Reeds „Der dritte Mann“ (1949). Auch dieser Lohnschreiber geriet bekanntlich in den Bann eines überlebensgroßen, im Film von Orson Welles gespielten Charismatikers. Johnson wird beauftragt, die autorisierte Biographie Azams zu schreiben, nistet sich einige Wochen auf dem Gut des launischen Autors ein und wühlt bald in dessen Romanen, Tagebüchern und abgelegten Liebschaften. Trotz aller Verehrung für den mit epischen Familienromanen und kontroversen Essays bekannt gewordenen Titan überwiegt in Harry bald der Wunsch, sich zu profilieren – aus Mamoon wird einer, „der nur gelebt hatte, damit Harry ein Buch über ihn schreiben konnte“. Die Marschrichtung gibt der skandalversessene Verleger vor: „So mag das Volk seine Künstler – bloßgestellt, Hose runter, Arsch in die Höhe, vor Fremden scheißend, mit Serienmördern hinter schwedischen Gardinen.“

Angefacht von Harrys Wunsch, eine Leiche in Mamoons Keller ausfindig zu machen, mündet dieses Duell der Generationen, Wertesysteme und Machos folgerichtig in eine offene Konfrontation. Nicht nur mit der auf eine unkritische Monumentalisierung des lebenden Denkmals bedachten Ehefrau befindet sich Harry bald im Clinch, sondern auch mit dem wortkargen Mamoon selbst, der kaum Persönliches preisgibt. „Sie sind im Geschäft des Erinnerns“, doziert das müde gewordene Alphatier, „ich spiele das Spiel des Vergessens“. Wie aus der ungleichen Konfrontation doch noch ein Duell auf Augenhöhe wird, schildert Kureishi mit sarkastischem Witz und jenen doppelbödigen Dialogen, die ihn auch zu einem gefragten Drehbuchautor gemacht haben. Obwohl die meisten Kapitel auf dem Land angesiedelt sind, spielt Kureishi seine besten Qualitäten als kritischer Beobachter des Zeitgeschehens immer wieder aus – präzise Beschreibungen und pointierte Seitenhiebe auf das Großbritannien der Gegenwart, „dieses kleine, niedliche, im Absaufen begriffene Eiland“, finden sich zuhauf. Vor allem die Verlags- und Leselandschaft, in der die ehrwürdige Form der Biographie zum Auffangbecken für C-Prominenz und ihre Schmutzgeschichten verkommen ist und in der bloß noch zählt, „die Maske abzureißen, damit am Ende nur bleiche Knochen blieben“, wird nicht mit Kritik geschont.

In den britischen Feuilletons waren die Vorbilder von Kureishis Figuren jedenfalls schnell entlarvt: Mamoon ist deutlich dem Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul nachempfunden, der von seinem Biographen Patrick French („The World is what it is“, 2008) als manisch eifersüchtiges, jähzorniges und egomanisches Männlein, das seine aufopferungsvolle erste Ehefrau ins Grab trieb, dekonstruiert wurde – einige der grausigsten und unschmeichelhaftesten Details dieses Schriftstellerlebens finden sich ungefiltert in „Das letzte Wort“ wieder. Auch einige Elemente der Biographie Salman Rushdies, dessen eigene, giftige Memoiren unter dem Titel „Joseph Anton“ 2012 erschienen sind (und der bereits in Kureishis „Schwarzem Album“ eine große Rolle gespielt hat), hat der Autor seinem brillanten Derwisch beigegeben. Man erfährt unter anderem, dass Mamoon in seiner Karriere Preise und Auszeichnungen ebenso gesammelt hat wie Fatwas.

Sich selbst schont Kureishi freilich genauso wenig und kokettiert offensiv mit seinem Ruf als lustgetriebener Egozentriker. Die Geschichte der Entfremdung von der eigenen Ehefrau war bereits im Zuge der Veröffentlichung von „Intimacy“ (1998) öffentlich breitgetreten worden und findet sich hier im Handlungsstrang um Harrys Verlobte Alice, die holzschnittartigste Figur im ganzen Roman, abermals adaptiert. Zuletzt hatte Kureishi 2014 für eine harmlose Kontroverse gesorgt, als er, der sein Brot unter anderem als Dozent in Creative-Writing-Kursen verdient, bei einem Vortrag in Bath verlauten ließ, er halte solcherlei Bildungsangebote für vollkommene Zeitverschwendung und 99 Prozent seiner Studenten für gänzlich unbegabt. Den selbstreflexiven Gag, das Unterrichten der enthusiastischen Schreibdilettanten als schlimmstes Stadium des beruflichen Schriftstellerabstiegs zu bezeichnen, findet der Autor dann so gut, dass er ihn in „Das letzte Wort“ gleich dreimal unterbringt.

Kureishis siebter Roman, den Henning Ahrens großartig und ohne Verlust von Nuance und Sprachwitz ins Deutsche übertragen hat, mag nicht so unangestrengt cool und welterfahren wie sein bekannter Vorgänger „Der Buddha aus der Vorstadt“ (1990) sein, und sein Spiel um Verbergen und Enthüllen mag er stellenweise zu selbstverliebt und kokett treiben (das Los fast aller Schlüsselromane), als Beweis der Virtuosität und des nicht versiegenden Witzes seines phänomenal begabten Autors ist es jedoch ein äußerst empfehlenswertes, stellenweise gar brillantes Buch geworden.

Titelbild

Hanif Kureishi: Das letzte Wort. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Henning Ahrens.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
336 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783100022400

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